Antidepressiva: Wie Amitriptylin das Erinnerungsvermögen beeinträchtigen kann

Caspar David Frierich. (1774 - 1840). Mondaufgang am Meer. © public domain.

Caspar David Frierich. (1774 – 1840). Mondaufgang am Meer.
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Medikamente, die den REM-Schlaf unterdrücken stören Lernprozesse.

Amitriptylin wird oft zur Behandlung von Depressionen, aber auch zur Schmerzbehandlung, zur vorbeugenden Behandlung von Migräne und Spannungskopfschmerz, bei Trigeminusneuralgie, Schlafstörungen, Reizdarmsyndrom, Fibromyalgie und posttraumatischen Belastungsstörung eingesetzt. Sein Wirkmechanismus gegen Depressionen beruht auf der Unterdrückung des REM-Schlafes. Dieser Effekt kann gravierende Folgen haben, wie Wissenschaftler nun herausgefunden haben. Denn während des REM-Schlafes träumen wir nicht nur am intensivsten, sondern während dieser Schlafphasen verfestigen sich auch unsere Erinnerungen im Gedächtnis. Deshalb kann eine Unterdrückung des REM-Schlafes das Lernen beeinträchtigen und zu Gedächtnislücken führen.

Menschen mit Depressionen sind antriebslos und machen auf andere einen müden und schlappen Eindruck. Doch dieser Schein trügt: Innerlich sind die Betroffenen stark angespannt und ihr Gehirn arbeitet auf Hochtouren. Deshalb besteht eine der wirksamsten Therapien dieser Krankheit in der Unterdrückung des REM-Schlafs. Aber dieser Wirkmechanismus beeinträchtigt die kognitiven Fähigkeiten der Patienten: In den REM-Schlafphasen verfestigen wir Erinnerungen in unserem Langzeitgedächtnis und fördern damit das prozedurale Lernen. Bei diesem Lernprozess erwerben wir Fertigkeiten, die wir automatisch, ohne nachzudenken einsetzen, wie Klavierspielen oder Fahrradfahren.

Bisher war bereits bekannt, dass depressive Menschen Probleme mit dem prozeduralen Lernen haben und ihr Risiko an kognitiven Störungen oder Demenz zu erkranken erhöht ist. Dieter Kunz und sein Team an der Charité in Berlin stellten sich die Frage ob diese Symptome zum Krankheitsbild der Depression gehören oder ob sie möglicherweise erst durch die Antidepressiva hervorgerufen werden. Um diese Frage zu klären führten die Wissenschaftler eine Studie durch. Sie baten 25 gesunde Teilnehmer sich visuelle Muster zu merken. Anschließend erhielten die Probanden entweder ein Placebo oder das Antidepressivum Amitriptylin. Am nächsten Abend wurde ihr Lernerfolg getestet. Das Ergebnis war eindeutig: Die Studienteilnehmer die nur das Placebo erhalten hatten konnten die Muster deutlich schneller erkennen als diejenigen, die Amitriptylin eingenommen hatten.

„Unsere Ergebnisse lassen vermuten, dass kognitive Störungen bei depressiven Patienten durch das Antidepressivum Amitriptylin zumindest mit verursacht werden. Das Eindringen von psychoaktiven Substanzen in die komplizierten Schlafabläufe kann eine Vielzahl der bekannten Nebenwirkungen wie kognitive Defizite, Gewichtszunahme und morgendliche Apathie erklären“, sagt der Schlafforscher Kunz. Weiterhin betont er: „Die Entwicklung von neuen Substanzen, die nicht nur tagsüber das Befinden von depressiven Menschen verbessern, sondern auch deren Schlafqualität fördern, ist voranzutreiben.“

Charité Universitätsmedizin Berlin, 02.09.2014.

Originalpublikation:

Goerke M, Cohrs S, Rodenbeck A, Kunz D. Differential effect of an anticholinergic antidepressant on sleep – dependent memory consolidation. Sleep 2014 May 01. Doi: 10.5665/sleep.3674

Weiterführende Informationen:

Spektrum der Wissenschaft: Depression: Die Mär vom Glückshormon

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