Bereits stammesgeschichtlich alte Organismenarten erkrankten an Krebs

Jedes Jahr wird bei rund 450.000 Menschen in Deutschland Krebs neu diagnostiziert. Und natürlich hoffen alle diese grausame Krankheit zu besiegen. Aber wie realistisch ist diese Hoffnung? Wissenschaftler der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) traten vor kurzem einen ernüchternden Beweis an: „Krebs ist so alt wie das vielzellige Leben auf der Erde und lässt sich wohl nie ganz ausrotten“, ordnet Thomas Bosch seine neuesten Forschungsergebnisse ein.

Die Gene, die für das Ausbrechen der Krankheit verantwortlich sind, bestehen seit urzeiten

Die Ursache für Tumorerkrankungen sind Mutationen in den sogenannten Krebsgenen. Seit wann in der Evolution Tumore auftreten, ist eine Frage, mit der sich Tomislav Domazet-Lošo und Diethard Tautz vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön bereits seit einigen Jahren beschäftigen. Mit modernen bioinformatischen Methoden versuchen sie dieses Rätsel zu lösen. „Bei der Suche nach dem Ursprung der Krebsgene haben wir unerwarteter Weise herausgefunden, dass viele dieser Gene von den ersten Tierarten abstammen“, erläutert Domazet-Lošo. „Unsere Daten sagten voraus, dass schon die ersten vielzelligen Tiere die meisten der Gene hatten, die beim Menschen Krebs auslösen können.“ Bisher fehlte den Wissenschaftlern noch ein direkter Beweis dafür, dass diese ersten Tierarten tatsächlich Tumore bekommen und auch der an diesem Prozess beteiligte molekulare Mechanismus lag noch im Dunkeln.

Ein Tumor-tragender Hydra-Polyp (rechts) neben einem gesunden Tier (links). © Klimovich/ CAU

Ein Tumor-tragender Hydra-Polyp (rechts) neben einem gesunden Tier (links).
© Klimovich/ CAU

Tumor-Ursache: Nicht richtig funktionierender programmierter Zelltod

Dem Forschungsteam um den Evolutionsbiologen Thomas Bosch ist es jetzt gelungen, einen neuen Einblick in die Ursprünge von Krebs zu gewinnen. Seit Jahren erforscht er am stammesgeschichtlich alten Polypen Hydra welche Eigenschaften seine Stammzellen haben und wie bei ihm die Regulation des Gewebewachstums funktioniert. „Jetzt haben wir in zwei unterschiedlichen Hydra-Arten, einem korallenähnlichen Organismus, tumortragende Polypen entdeckt“, fasst Bosch das erste Ergebnis der neuen Studie zusammen. Damit sei bewiesen, dass primitive und alte Tierarten tatsächlich an Tumoren leiden können.

Auch die zelluläre Ursache der Tumore konnten die Forscher klären: Wie sie zeigen konnten, waren Stammzellen, die zur geschlechtlichen Differenzierung programmiert sind, der Grund für die Tumorbildung. Sie hatten sich massenhaft vermehrt und konnten anschließend nicht mehr auf natürlichem Wege durch programmierten Zelltod beseitigt werden. Interessanterweise erkranken nur weibliche Hydra-Polypen an diesen Tumoren. Sie könnten damit dem Eierstockkrebs beim Menschen ähneln.

Ein Stammzellmarker-Gen ist im Tumorgewebe besonders stark aktiv. © Klimovich/ CAU

Ein Stammzellmarker-Gen ist im Tumorgewebe besonders stark aktiv.
© Klimovich/ CAU

„Bei der weiteren molekularen Analyse der Tumore stießen wir auf ein Gen, das im Tumorgewebe drastisch hochreguliert ist und das den programmierten Zelltod normalerweise verhindert“, beschreibt Alexander Klimovich, Ko-Erstautor der aktuellen Studie die zweite Erkenntnis der Forscher. „Da eine nicht funktionierende Zelltod-Maschinerie auch bei vielen Krebsarten des Menschen für Wachstum und Ausbreitung der Tumore verantwortlich gemacht wird, tauchen hier frappierende Ähnlichkeiten zum Krebs bei Menschen auf“, so Klimovich weiter.

Als drittes konnten die Wissenschaftler zeigen, dass auch diese Tumorzellen invasiv sind. Das heißt, wenn die Tumorzellen in einen gesunden Organismus übertragen werden, können sie dort wachsen und einen Tumor bilden. Aus seiner Forschung an Hydra-Arten schlußfolgert Bosch daher: „Auch die invasive Eigenschaft von Krebszellen ist stammesgeschichtlich uralt.“

Krebs ist ein stammesgeschichtlich uraltes Phänomen

Jedes Jahr werden gewaltige Summen für die Krebsforschung ausgegeben. Alleine in den USA wurden 2012 über 500 Milliarden Dollar dafür bereitgestellt. Die weltweiten Forschungen ergaben verbesserte Vorbeugungs-, Diagnose- und Behandlungsmethoden, die durchaus Erfolge verbuchen können. Aber gerade bei einigen weit verbreiteten Krebskrankungen gibt es kaum Fortschritte. Auch heute erliegt immer noch jeder zweite Betroffene seinem Krebsleiden. Allein in Deutschland stirbt jeder Vierte an Krebs, Tendenz steigend (World Cancer Report 2014). Diese Zahlen veranlassten das National Institute of Health, USA, dazu ein Netzwerk zur Krebsbekämpfung ins Leben zu rufen (Physical Science-Oncology Centers). Diese Initiative soll die Forschungszentren aus verschiedenen Fachdisziplinen aus dem Gebiet der Krebsforschung zusammen bringen. Paul Davies, ein bekannter Theoretischer Physiker und Autor, leitet eines dieser Zentren in Phoenix, Arizona. In einem Interview mit der englischen Zeitung The Guardian (2012) sagte er, dass man Krebs erst im Kontext seines biologischen Urspungs wird richtig verstehen können.

Die neuen Erkenntnisse aus der Hydra-Forschung könnten laut Bosch ein großer Schritt auf dem Weg zum Verständnis dieses evolutionsbiologischen Ursprungs sein: „Unsere Forschungen bestätigen erneut, dass alte Tiere wie die Hydra-Polypen beim Verständnis so komplexer Probleme wie ‚Krebs‘ extrem aufschlussreich sind. Außerdem macht es unsere Studie unwahrscheinlich, dass der in den siebziger Jahren ausgerufene ‚War on Cancer‘ jemals gewonnen werden kann. Aber unseren Feind von seiner Entstehung an zu kennen, ist der beste Weg, ihn zu bekämpfen, und viele Schlachten zu gewinnen“, so Bosch.

Exzellenzcluster Entzündungsforschung, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel , 24. Juni 2014.

 

Originalpublikation:

Tomislav Domazet-Loso, Alexander Klimovich, Boris Anokhin, Friederike Anton-Erxleben, Mailin J. Hamm, Christina Lange & Thomas C.G. Bosch (2014) Naturally occurring tumours in the basal metazoan Hydra. Nature Communications. doi:10.1038/ncomms5222

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