Über das Schmelzverhalten von Proteinen zur Abklärung möglicher Nebenwirkungen von Medikamenten

In chronischen myeloischen Leukämiezellen gelang es den Wissenschaftlern, die Nebenwirkungen von Krebsmedikamenten in lebenden Zellen zu beobachten. | © Ramon Simon-Lopez, gemeinfrei

In chronischen myeloischen Leukämiezellen gelang es den Wissenschaftlern, die Nebenwirkungen von Krebsmedikamenten in lebenden Zellen zu beobachten. | © Ramon Simon-Lopez, gemeinfrei

Jedes neue Krebsmedikament kann die Überlebenschancen von Patienten erhöhen. Leider verursachen jedoch viele dieser Medikamente schwere Nebenwirkungen, deren Ursache oft unbekannt ist. Ein internationales Wissenschaftlerteam hat nun eine neue Methode entwickelt, mit der mögliche Nebenwirkungen auf Zellebene aufgeklärt und vorhergesagt werden können.

Die meisten Krebsmedikamente rufen neben der erhofften Wirkung auf Krebszellen oft gravierende, schmerzhafte Nebenwirkungen hervor. Zu den bekanntesten Nebenwirkungen gehören Haarausfall, Übelkeit und Immunschwäche. Dabei können die Nebenwirkungen jedoch von einem vergleichsweise harmlosen Kribbeln in den Händen bis zu schweren Nervenstörungen, wie dem Verlust des Tastsinns oder der Ausprägung einer Lichtempfindlichkeit reichen. Alle diese Effekte schränken die Lebensqualität erheblich ein. Die Ursache für diese Nebenwirkungen ist in der Wirkungsweise der Medikamente begründet: Sie wirken nicht nur auf die gewünschten Zielproteine in den Krebszellen. sondern beeinträchtigen auch die Funktion weiterer Proteine in gesunden Zellen. Das kann in seltenen Fällen sogar eine Steigerung des gewünschten Effekts hervorrufen. Meist bewirkt es jedoch in erster Linie unerwünschte Nebenwirkungen. Ließen sich diese „falschen“ Ziele eines neuen Medikaments während der Entwicklungsphase ermitteln, könnten seine Nebenwirkungen vorhergesagt werden. Man wüsste, ob, warum und vor allem wie ein Medikament Nebenwirkungen hervorruft. Dieses Wissen könnte man dann dazu nutzen, um Medikamente mit möglichst wenigen Nebenwirkungen zu entwickeln.

Einem internationalen Wissenschaftlerteam gelang es nun ein einfaches aber ausgeklügeltes Verfahren zu entwickeln mit dessen Hilfe diese Fragen geklärt werden können. Dazu erhitzten sie Leukämiezellen auf Temperaturen zwischen 40 und 70 Grad und identifizierten dabei neue Zielproteine von Medikamenten. Durch die Hitze schmelzen die Proteine in den Zellen. „Jedes der vielen verschiedenen Proteine in einer Zelle hat ein eigenes, charakteristisches Schmelzverhalten. Das können wir messen“, erklärt Mikhail Savitski von der Firma Cellzome. „Geben wir den Zellen nun Krebsmedikamente, binden diese an bestimmte Proteine und verändern sie. Diese Veränderungen schlagen sich auch im Schmelzverhalten nieder, was wir wiederum messen können.“ Im Idealfall binden die Medikamente nur an die gewünschten Zielproteine. In den allermeisten Fällen binden sie jedoch außerdem an Proteine, die nicht (nur) in Krebszellen, sondern auch in gesunden Zellen vorkommen. Das Ergebnis sind die berüchtigten Nebenwirkungen. Mit Hilfe der Protein-Massenspektrometrie konnten die Wissenschaftler die durch die Bindung der Medikamente hervorgerufenen Veränderungen des Schmelzverhalten der Proteine verfolgen. „Die Effekte eines Medikaments lassen sich so genau erfassen. Wir hoffen damit in Zukunft viele Nebenwirkungen erklären oder sogar vorhersagen zu können“, sagt Bernhard Küster, Leiter der beteiligten Forschergruppe am DKTK Standort der TU München.

Im Rahmen ihrer Studie haben die Wissenschaftler bereits einige Krebsmedikamente getestet und dabei herausgefunden an welche Zielproteine sie in den Zellen binden. Darunter befand sich auch das Medikament Vemurafenib, mit dem vor allem Patienten mit schwarzem Hautkrebs, dem Melanom, behandelt werden. Es soll das Krebsprotein B-Raf blockieren. Viele Patienten, die Vemurafenib einnehmen, entwickeln eine schmerzhafte und das Leben einschränkende Lichtempfindlichkeit. Den Wissenschaftlern gelang es nun, mit Hilfe ihrer neuen Methode, ein bisher nicht als Ziel dieses Wirkstoffs bekanntes Protein zu identifizieren: das Enzym Ferrochelatase. Es wird für die Herstellung des Blutfarbstoffs Häm benötigt. Wird gesunden Zellen Vemurafenib verabreicht, bindet das Medikament an das Enzym Ferrochelatase und hemmt so dessen Funktion. Die Bindung von Vemurafenib an das Enzym wirkt sich direkt auf dessen Schmelzverhalten aus, was die Forscher mit der neuen Methode messen können. Die Wirkung des Funktionsverlust der Ferrochelatase kennt man bereits von einer anderen Krankheit: Der kutanen Porphyrie. Patienten, die an dieser Krankheit leiden haben eine genetisch bedingte Stoffwechselstörung, die sich in einer sehr starken und schmerzhaften Lichtempfindlichkeit der Haut äußert. Auch bei ihnen funktioniert die Ferrochelatase nicht richtig. Diese Erkenntnis hat unmittelbare klinische Relevanz und lässt Bernhard Küster hoffen: „Dank unserer Ergebnisse sollte es in Zukunft möglich sein, Wirkstoffe so zu entwickeln, dass sie nicht mehr an das Enzym Ferrochelatase binden und damit die Patienten keine Lichtempfindlichkeit mehr als Nebenwirkung von Krebsmedikamenten befürchten müssen.“

Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), 09.10.2014

 

Mikhail Savitski, Friedrich Reinhard, Holger Franken, Thilo Werner, Maria Fälth Savitski, Dirk Eberhard, Daniel Molina, Rozbeh Jafari, Rebecca Bakszt Dovega, Susan Klaeger, Bernhard Kuster, Pär Nordlund, Marcus Bantscheff, Gerard Drewes: Tracking cancer drugs in living cells by thermal profiling of the proteome. Science 2014. DOI 10.1126/science.1255784.

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