Warum die Schildkröte ihre Rippen in den Panzer umwandeln konnte

Grüne Meeresschildkröte. © Brocken Inaglory. CC BY-SA 3.0

Grüne Meeresschildkröte. © Brocken Inaglory. CC BY-SA 3.0

Schildkröten verfügen über einen ungewöhnlichen Atemmechanismus. Denn sie können ihre Rippen nicht für die Atmung nutzen, da sie diese zum Brustpanzer umgewandelt haben. Daher müssen sie ihre Lungen mithilfe besonderer Muskeln mit Luft versorgen. Wissenschaftler haben nun herausgefunden, wie sich die Atmung dieser Reptilien im Laufe der Evolution entwickelt hat.

Schildkröten sind durch ihren Panzer vor Feinden geschützt, doch dafür mussten sie besondere Anpassungen entwickeln: Ihre Rippen wandelten sie in den schützenden Knochenpanzer um. Vermutlich hat keine andere Tierart eine solche Entwicklung vollzogen, da die Rippen bei den meisten Wirbeltieren eine entscheidende Rolle bei der Atmung spielen.

Obwohl sich die Wissenschaft schon lange mit den skurrilen Reptilien beschäftigt, verstehen wir erst seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wie Schildkröten ohne Rippen überhaupt atmen können. Die Muskeln für die Einatmung sitzen an den Flanken der Tiere, wo sich auch die Beine befinden. Diese Muskeln ragen wie eine Halbkugel in den Panzer hinein. Wenn sie sich zusammenziehen, werden sie abgeflacht. Der dabei entstehende  Hohlraum führt zu einem Unterdruck, der Luft in die Lungen einströmen lässt. Weitere Muskeln umhüllen den Eingeweidesack der Schildkröten und pressen bei ihrer Kontraktion gegen die inneren Organe, wodurch die Luft wieder aus der Lunge heraus strömt.

Der noch ungepanzerte Vorfahre der Schildkröten verfügte bereits über den ungewöhnlichen Atemmechanismus

Aber wie und wann hat sich dieser eigentümliche Atemmechanismus entwickelt? Um diese bisher noch offene Frage zu klären verglichen die Forscher die für die Ventilation bei Schildkröten zuständige Muskulatur mit dem Atmungssystem ihrer evolutionären Vorfahren. Unter anderem einem rund 260 Millionen Jahre altes Fossil aus Südafrika.

Eunotosaurus africanus, so der Name des Vorfahren, besitzt noch Rippen und hatte daher noch keinen Panzer. Er verfügt aber bereits über die gleiche Atemmuskulatur, wie moderne Schildkröten. Eunotosaurus africanus ist also das fehlende Bindeglied zwischen dem frühen Bauplan von Reptilien und den modernen Schildkröten – quasi eine Art Archaeopteryx der Schildkröten. Durch den Vergleich moderner und fossiler Schildkrötenarten konnte das Forscherteam nun nachweisen, wie sich das ungewöhnliche Atemsystem im Lauf der Jahrmillionen entwickelt haben könnte. Als sich im Laufe der Evolution die Rippen der Tiere zunehmend verbreiterten und sich dadurch ihr Rumpf versteifte erwies sich ihr ungewöhnlicher Atemmechanismus immer mehr als Vorteil.

Den Panzer entwickelten die Schildkröten erst etwa 50 Millionen Jahre später

In der Evolution entwickelte sich also zuerst der ungewöhnliche Atemmechanismus. Nur weil er bereits vorhanden war konnten die Schildkröten später ihren schützenden Panzers bilden. „In der Theorie ist natürlich klar, dass die Schildkröten nicht zuerst ihre Rippen umgestalteten und sich dann »fragten«, wie sie noch atmen können“, sagt Markus Lambertz, Doktorand am Institut für Zoologie der Universität Bonn. Überraschend sei jedoch, dass sich das Atemsystem bereits 50 Millionen Jahre vor dem Auftreten der ersten gepanzerten Schildkröten entwickelt habe.

Rheinische Friedr4ich-Wilhelms-Universität Bonn, 07.11.2014

 

Originalpublikation:
Tyler R. Lyson, Emma R. Schachner, Jennifer Botha-Brink, Torsten M. Scheyer, Markus Lambertz, G.S. Bever, Bruce Rubidge, Kevin de Queiroz (2014): Origin of the unique ventilatory apparatus of turtles, Nature Communications 5: 5211, DOI: 10.1038/ncomms6211

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