Sedimente eines türkischen Sees geben Aufschluss über Klimakapriolen der letzen 600.000 Jahre

Frühling auf der Insel Akdamar im Vansee. Im Hintergrund die armenische Kirche zum Heiligen. Kreuz. ©  gozturk. CC BY 3.0

Frühling auf der Insel Akdamar im Vansee. Im Hintergrund die armenische Kirche Zum Heiligen. Kreuz. © gozturk. CC BY 3.0

Wer Vorhersagen über die Zukunft machen will, muss über die Vergangenheit Bescheid wissen. Ein internationales Forscherteam konnte anhand von Bohrungen auf dem Grund des Vansees in der Osttürkei einzigartige Einblicke in die Klimageschichte der letzten 600.000 Jahre gewinnen. Demnach schlug das Klima auch schon in der Vergangenheit Kapriolen. Darüber hinaus gab es zahlreiche Erdbeben und Vulkanausbrüche. Die Ergebnisse der Bohrungen könnten eine Grundlage für künftige Risikoabschätzungen liefern.

In den Sedimenten des Vansees lassen sich die helleren, kalkhaltigen Sommer- deutlich von den dunkleren, tonreichen Winterschichten – auch Warven genannt – unterscheiden. Ein internationales Forscherteam hat im Jahr 2010 in 360 Metern Tiefe ein 220 Meter mächtiges Sedimentprofil aus dem Seegrund gewonnen und die Warven analysiert. Dabei handelt es sich um einen einzigartigen wissenschaftlichen Schatz: Denn an den Bohrkernen lassen sich die jeweiligen Klimabedingungen, Erdbeben und Vulkanausbrüche der vergangenen 600.000 Jahre in hervorragender Qualität ablesen.

Das Wissenschaftlerteam hat insgesamt rund 5.000 Proben analysiert. „Die Ergebnisse zeigen, dass das Klima in den vergangenen Hundertausenden Jahren Achterbahn gefahren ist. Innerhalb weniger Jahrzehnte konnte das Klima kippen und von Eiszeiten auf Warmzeiten und umgekehrt umschalten“, berichtet der Paläoökologe Thomas Litt vom Steinmann-Institut der Universität Bonn und Sprecher des internationalen Forscherkonsortiums PALEOVAN. Lückenlose kontinentale Klimaarchive aus der Eiszeit, die mehrere Hundertausende von Jahren umfassen, sind weltweit extrem selten. „Bislang gab es im gesamten Nahen Osten und in Zentralasien keine so weit in die Vergangenheit zurückreichende Kontinentalbohrung“, sagt Thomas Litt. Auf der Nordhalbkugel reichen die Klimadaten von Eisbohrkernen aus Grönland maximal 120.000 Jahre zurück. Das Vansee-Projekt schließt damit eine Lücke im wissenschaftlichen Klimaprotokoll.

Die Sedimente lassen auf sechs Zyklen aus Kalt- und Warmzeiten schließen

Die Wissenschaftler konnten in den Ablagerungen des Vansees Hinweise auf insgesamt sechs Zyklen aus warmen und kalten Perioden finden. Der Paläoökologe und sein Team analysierten die in den Sedimenten konservierten Pollen. Mit einem Mikroskop konnten sie bestimmen, von welchen der, um den ostanatolischen See herum vorkommenden Pflanzen der Blütenstaub stammt. „Pollen sind erstaunlich widerstandsfähig und überdauern in den Sedimenten geschützt auch sehr lange Zeiträume“, erläutert Thomas Litt. Das Alter der einzelnen Schichten bestimmten die Forscher mit radiometrischer Datierung, bei denen der radioaktive Zerfall der Elemente als geologische Uhr genutzt wird. Anhand der vorgefundenen Pollen und den Ergebnissen der Altersbestimung ermittelten die Wissenschaftler, wann am Vansee die für Warmzeiten typischen Eichenwälder wuchsen und wann sich dort eiszeitliche Kältesteppen aus Gräsern, Beifuß und Gänsefußgewächsen ausbreiteten.

Mithilf der damals vorkommenden Pflanzenarten und deren Klimaansprüche können Wissenschaftler ziemlich genaue Angaben über die Temperaturen und Niederschläge der einzelnen Epochen machen. So kann man in den Warven des Vansees wie in einem tausende Seiten langen Archiv das Klima der Vergangenheit ablesen. Den Forschern zufolge gehen die von ihnen ermittelten Klimaschwankungen vor allem auf periodische Schwankungen der Erdbahn und der damit verbunden Veränderungen der Sonneneinstrahlung zurück. Aber sie konnten auch den Einfluss von Nordatlantikströmungen nachweisen. „Durch die Analysen der Vansee-Sedimente erhalten wir eine Vorstellung davon, wie ein Ökosystem auf abrupte Klimaschwankungen reagiert. Diese Grundlagen helfen, mögliche Szenarien zu künftigen Klimafolgewirkungen zu entwickeln“, führt der Paläoökologe aus.

Risiken für Erdbeben und Vulkanausbrüche in der Region Van

Solche Risikoabschätzungen lassen sich auch zu anderen Naturgewalten machen. „Vulkanascheablagerungen von einer Mächtigkeit bis zu zehn Metern in den Vansee-Ablagerungen zeigen uns, dass es vor rund 270.000 Jahren ordentlich gerumst hat“, sagt der Paläoökologe. Bei seinen Bohrungen stieß das Team auf rund 300 unterschiedliche vulkanische Tufflagen. Das ergibt statistisch gesehen immerhin alle 2000 Jahre einen explosiven Vulkanausbrauch in der Region. Und wie Deformationen in den Ablagerungsschichten zeigen, treten dort auch häufiger stärkere Erdbeben auf. „Die Gegend um den Vansee ist sehr dicht besiedelt. Die Daten aus den Bohrkernen zeigen, dass Vulkanaktivitäten und Erdbeben ein relativ großes Risiko für die Region bergen“, sagt Litt. Nach Medienberichten kamen in der Provinz Van im Oktober 2011 durch ein Beben der Stärke 7,2 mehr als 500 Menschen ums Leben, mehr als 2500 wurden verletzt.

Rheinische Friedrich-Wilhems-Universität Bonn, 17.11.2014

 

Originalpublikation:

Results from the PALEOVAN drilling project: A 600‘000 year long continental archive in the Near East, Quaternary Science Reviers, Volume 104, DOI: 10.1016/j.quascirev.2014.09.026

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