Die janusköpfige Bluttransfusion

Operation. © Ralf Roletschek. GNU Free Documentation License, version 1.2.

Operation. © Ralf Roletschek. GNU Free Documentation License, version 1.2.

Bluttransfusionen stehen zunehmend unter Verdacht, gravierende Nachteile mit sich zu bringen. Eine Vielzahl von Studien kamen zu dem Ergebnis, dass Patienten umso eher starben, je mehr Blutkonserven sie erhielten. Aber wie eindeutig sind diese Studien? Und welche Konsequenzen ergeben sich daraus?

Nach massivem Blutverlust stellt sie oft die einzige Möglichkeit dar, Leben zu retten: Die Bluttransfusion. Nur mithilfe der Übertragung von Spenderblut kann in einem solchen Fall die Sauerstoffversorgung des Patienten gesichert werden. Jedes Jahr werden in Deutschland vier bis fünf Millionen Transfusionen durchgeführt. Versuche, Blut künstlich herzustellen sind bisher immer wieder an der komplexen Zusammensetzung dieses Lebenssaftes gescheitert. Doch der, inzwischen weit verbreitete, Einsatz von Bluttransfusionen erweist sich zunehmend als janusköpfig. In den letzten Jahren mehren sich Hinweise, dass sich Bluttransfusionen, entgegen der weit verbreiteten Annahme, auf das Wohlbefinden der Patienten nicht nur positiv auswirken: Mehrere Ärzte kommen zu dem Schluss, dass Patienten, die Bluttransfusionen erhielten nicht nur ein erhöhtes Risiko haben nach einem operativen Eingriff eine Infektion zu entwickeln, sondern auch eher Lungen- oder Nierenschäden sowie einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erleiden. Darüber hinaus soll bei ihnen die Gefahr erhöht sein, dass eine bereits überwunden geglaubten Krebserkrankung wieder neu ausbricht oder sich Metastasen bilden. Durch diese Komplikationen verlängert sich der Aufenthalt im Krankenhaus. Darüber hinaus soll sogar die Sterberate der Patienten, die eine Bluttransfusion erhielten im Vergleich zu denen, die keine erhielten deutlich erhöht sein.

Diese beunruhigenden Forschungsergebnisse haben die ARD dazu veranlasst über das Thema eine Reportage mit dem Titel „Böses Blut – Kehrtwende in der Intensivmedizin“ zu drehen (Video siehe unten).

Erythrozytenkonzentrat.© Pflegewiki-User Würfel derivative work:Midnightsnack. CC BY-SA 3.0

Erythrozytenkonzentrat.© Pflegewiki-User Würfel
derivative work:Midnightsnack. CC BY-SA 3.0

Bei den allermeisten in dem Film zitierten Studien handelt es sich allerdings nur um Beobachtungsstudien und nicht um randomisierte Studien. Beobachtungsstudien haben aber immer den Nachteil, dass ihre Ergebnisse von den Erwartungen der Personen beeinflusst werden, die die Studie durchführen. Mit solchen Studien kann man einen kausalen Zusammenhang nicht belegen, da es sich bei den Ergebnissen um reine Korrelationen handelt, die durch einen dritten, unabhängigen Faktor verursacht sein können. Beispielsweise kann man aus der Tatsache, dass in Sommern mit hohem Speiseeiskonsum viele Sonnenbrände auftreten, nicht schlussfolgern, dass Eisessen Sonnenbrand verursacht, selbst wenn die Zahl der Sonnenbrände proportional mit dem Speiseeiskonsum ansteigt. Wie die Autoren dieser Studien zugeben können ihre Ergebnisse auch dadurch erklärt werden, dass kränkere Patienten mehr Bluttransfusionen erhalten und bei diesen Patienten deshalb mehr Komplikationen auftreten und ihre Sterblichkeit erhöht ist. Dann wären die Bluttransfusionen nicht ursächlich für die beobachteten Phänomene, sondern nur eine Folge des schlechteren Gesundheitszustands der betroffenen Patienten.

Deshalb ist auch in der Literatur umstritten, ob Transfusionen eher schaden oder nutzen. Eine in Kanada bereits 1999 durchgeführte randomisierte Studie konnte keine wesentlichen Unterschiede für die Überlebensrate bei einer restriktiven Transfusionspraxis im Vergleich zu einer lockereren Transfusionspraxis beobachten (Hébert et al. 1999). Die Autoren schließen daraus, dass es besser wäre weniger Transfusionen durchzuführen, da eine vermehrte Gabe von Transfusionen keine Vorteile mit sich bringt. Zwei kleine randomisierte Studien, die den Effekt einer strikteren Transfusionspraxis untersuchten kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen: Cooper et al. 2011 fanden, dass weniger Bluttransfusionen bei ihren 45 Patienten mit akutem Herzinfarkt mit einer höheren Überlebensrate verbunden waren. Während Carson et al. 2013 zu dem genau entgegengesetzten Ergebnis kommen: Sie beobachteten bei ihren 110 Patienten mit akutem Koronarsyndrom, dass Patienten, die mehr Transfusionen erhielten eher überlebten. Wie schwer eine Entscheidung für oder gegen mehr Bluttransfusionen fallen kann lässt sich gerade am Beispiel von Patienten mit Koronarsyndrom gut zeigen. Denn einerseits kann eine Zugabe von roten Blutkörperchen lebensrettend für die Patienten sein, indem sie den so verletzlichen Herzmuskel mit dem dringend benötigten Sauerstoff versorgt. Andererseits kann jedoch der durch die Transfusion verursachte Anstieg des Blutvolumens Lungenödeme auslösen (Carson & Hebert, 2014). Und es gibt sogar Studien, die einen positiven Effekt von Bluttransfusionen auf die Überlebensrate der Patienten zeigen (Wu et al 2012. Ann Surg.). Eine große randomisierte Studie, die in England durchgeführt wird soll nun klären, ob es für Patienten mit Gastrointestinalen Blutungen besser ist die Zahl der Bluttransfusionen einzuschränken, oder nicht (Kahan 2013, Trials).

Die Autoren, die negative Effekte nach Bluttransfusionen beobachteten erklären sich deren Auftreten durch Immunreaktionen gegen die transfundierten fremden Blutzellen oder deren Bruchstücke. Tatsächlich könnten die verabreichten Blutzellen, die in der Blutbahn erscheinen von den Immunzellen als fremd erkannt und angegriffen werden. Wenn Erythrozyten-Konzentrate länger als ein paar Tage gelagert werden zersetzen sich die roten Blutkörperchen zunehmend und könnten möglicherweise auch Immunreaktionen auslösen. In Deutschland dürfen Erythrozytenkonzentrate bis zu 40 Tage lang aufbewahrt werden. Berra et al. 2012 haben jedoch gezeigt, dass gesunde Personen, denen 40 Tage altes Eigenblut transfundiert wurde in den ersten vier Stunden zwar einen Anstieg an Nitrit im Blut aufwiesen, aber keinen erhöhten Cytokinspiegel haben. Ein erhöhte Menge an Cytokinen würde man jedoch bei einer Immunreaktion erwarten. Diese scheint also zumindest in den ersten vier Stunden nach einer Eigenbluttransfusion nicht aufzutreten. Leider haben die Autoren der Studie das Blut der Probanden nicht noch einmal zu einem späteren Zeitpunkt untersucht. So erlaubt die Studie keine Aussage über Langzeitwirkungen der Bluttransfusionen.

Auch die Frage, ob Bluttransfusionen die Krebsrate erhöhen ist in der Literatur umstritten. Eine Studie etwa konnte einen Anstieg der Krebsdiagnosen bis zu einem Jahr nach der Transfusion beobachteten, nicht jedoch für längere Zeiträume (Riedl et al. Transfusion. 2013). Die Autoren vermuten, dass diese Patienten wahrscheinlich bereits zum Zeitpunkt ihrer Bluttransfusion an einer bisher noch nicht diagnostizierten Krebserkrankung oder einer Vorstufe litten. Viele Krebserkrankungen oder deren Vorstufen können eine Blutarmut auslösen und so könnte es im Zuge der Behandlung dieser Anämie schließlich zur Entdeckung der Krebserkrankung gekommen sein. So fanden die Forscher in ihrer Studie denn auch, dass die Zahl der Krebsfälle des Verdauungstraktes besonders erhöht war. Gerade diese Krebsarten, sowie Vorstufen von Darmkrebs können mit chronischen Blutungen und folglich Anämien einher gehen. Die Autoren betonen ausdrücklich, dass ihre Ergebnisse nicht die These stützen, dass Bluttransfusionen zur langfristigen Entstehung von Krebs beitragen, indem sie Entzündungen, eine Immunmodulation und eine Entstehung von Infektionen fördern (Riedl et al. Transfusion. 2013).

Die Faktenlage ist also alles andere als eindeutig. Dennoch ist es sicher sinnvoll soweit wie möglich auf Bluttransfusionen zu verzichten, da sie verschiedenste Nebenwirkungen mit sich bringen könnten. Dabei zeigt der Film gute Alternativen zu einer laxen Transfusionpraxis auf: operationsvorbereitend können die Hämoglobinwerte des Patient durch eine Eisengabe optimiert werden, so dass er gut vorbereitet zu seiner Operation erscheint und so eine Transfusion möglichst vermieden werden kann. Und sollte ein Patient während der Operation viel Blut verlieren kann er sein eigenes Blut mithilfe eines Cell Savers (deutsch Zellretters) zurück bekommen. Allerdings ist dieses Verfahren sehr viel aufwändiger und kostenintensiver als eine Bluttransfusion. Auch deshalb wäre es hilfreich zu wissen, wie gefährlich Bluttransfusionen tatsächlich sind. Denn möglicherweise würde eine Umstellung von von Bluttransfusionen auf Cell Saver zu einer weiteren Kostenexplosion im Gesundheitssystem führen.

von Ute Keck

Hier der vor kurzem im ARD gezeigte Film: „Böses Blut – Kehrtwende in der Intensivmedizin“

 

Weiteres zum Thema:

Interview mit dem österreichischen Anästhesisten Hans Gombotz, Leiter der Abteilung für Anästhesiologie und Intensivmedizin am AKH Linz: „In Österreich wird zu schnell Blut verabreicht“

Frankfurter Neue Presse: Ein ganz besonderer Saft

Patient Blood Management

Erstmals in Deutschland: umfassendes Patientenblut-Management

Patientenblut-Management: Kluger Umgang mit einem wertvollen Gut

Evidence-based medicine: Save blood, save lives

 

Literatur:

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Berra L, Coppadoro A, Yu B, Lei C, Spagnolli E, Steinbicker AU, Bloch KD, Lin T, Sammy FY, Warren HS, Fernandez BO, Feelisch M, Dzik WH, Stowell CP, Zapol WM. Transfusion of stored autologous blood does not alter reactive hyperemia index in healthy volunteers. Anesthesiology. 2012 Jul;117(1):56-63. doi: 10.1097/ALN.0b013e31825575e6.

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Conservative versus liberal red cell transfusion in acute myocardial infarction (the CRIT
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Studie, die einen positiven Effekt von Bluttransfusionen auf die Überlebensrate gefunden hat:

Wu WC1, Trivedi A, Friedmann PD, Henderson WG, Smith TS, Poses RM, Uttley G, Vezeridis M, Eaton CB, Mor V
Association between hospital intraoperative blood transfusion practices for surgical blood loss and hospital surgical mortality rates. Ann Surg. 2012 Apr;255(4):708-14. doi: 10.1097/SLA.0b013e31824a55b9.

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