Molekulares Lineal erlaubt Bakterien maßgeschneiderte Schutzanzüge auszubilden

Struktur eines Lipopolysaccharids. ©  Mike Jones. CC BY-SA 3.0.

Struktur eines Lipopolysaccharids. Das O-Antigen besteht aus einem Polysaccharid, das aus einer langen Zuckerkette besteht. © Mike Jones. CC BY-SA 3.0.

Viele Bakterien tragen eine eine Art Schutzanzug, der sie vor chemischen und mechanischen Verletzung bewahrt und ihnen dabei hilft sich vor dem Immunsystem zu verbergen. Diese Schutzhülle der Einzeller besteht aus langen Ketten, die sich aus einzelnen Bausteinen zusammensetzen. Ein internationales Forscherteam hat nun herausgefunden, wie es den Bakterien gelingt, die Ketten in der passenden Länge herzustellen: Sie bedienen sich dabei gewissermaßen eines molekularen Lineals.

Viele Bakterien schneidern sich eine Art Schutzanzug, mit dem sie widrigen Umweltbedingungen, wie Chemikalien oder mechanischer Beanspruchung trotzen können. Die dafür eingesetzten Lipopolysaccharide stellen sie selbst her, indem sie Bausteine aus fettähnlichen (Lipo-) und Zucker-Bestandteilen (Polysaccharide) zu Ketten zusammenfügen. „Anhand der Zusammensetzung und der typischen Länge der Lipopolysaccharide lassen sich Bakterienarten unterscheiden“, sagt Gregor Hagelüken vom Institut für Physikalische und Theoretische Chemie der Universität Bonn. Diese Schutzhülle spielt auch bei Infektionen eine wichtige Rolle: Sie stellt die erste Kontaktstelle zwischen Bakterium und Wirt dar. Darüber hinaus dient sie als Schutz vor einer Zerstörung durch das Immunsystem des Wirts. Aus der Schutzhülle können außerdem beim Absterben der Bakterien giftige Substanzen, so genannte Endotoxine, freigesetzt werden.

Da die Kette Wiederholung der Zucker-Bausteine enthält ließe sich diese im Prinzip beliebig verlängern. „Theoretisch könnten Bakterien ein unendlich langes Lipopolysaccharid synthetisieren. Sie würden dann aber wahrscheinlich verhungern, weil sämtliche Ressourcen für die Schutzhülle aufgebraucht würden“, erläutert Hagelüken. Bisher war es den Wissenschaftlern ein Rätsel, wie es den Einzellern gelingt, Ketten in einer definierten Länge herzustellen. Diese Frage konnte das internationale Forscherteam nun beantworten: Die Bakterien verfügen über eine Art molekulares Lineal, mit deren Hilfe sie bestimmen können, wann die von ihnen synthetisierten Ketten die richtige Länge erreicht haben.

Ein molekulares Lineal aus drei miteinander verdrillten Proteinsträngen

Wie schon länger bekannt ist, initiiert ein WbdA genanntes Protein als Starter das Aneinanderhängen der einzelnen Bausteine. Sein Gegenspieler WbdD beendet als Stopper wieder den Verknüpfungsprozess. „Das Lineal ist aus drei ineinander verwundenen Proteinsträngen aufgebaut und dient als Abstandshalter zwischen Starter und Stopper. Erst wenn die Lipopolysaccharidkette lang genug ist und das Ende des Lineals erreicht, kann WbdD die Kettenbildung beenden“, sagt Hagelüken. Das produzierte Lipopolysaccharid ist dann genauso lang wie das Lineal.

Hagelüken hat zunächst an der Universität St. Andrews (Schottland) im Labor von James Naismith begonnen, mit kristallographischen Methoden die räumlichen Strukturen der beteiligten Moleküle zu untersuchen. Nach seinem Wechsel an die Universität Bonn führten sie die Forschungsarbeiten weiter. Zusammen mit den ausgetüftelten Methoden der anderen Forschungsgruppen, wie zum Beispiel Synchrotron-Kleinwinkelstreuung und -Circulardichroismus, konnte schließlich der Aufbau der verschiedenen Moleküle und ihr Zusammenspiel aufgedeckt werden. „Erst anhand der Strukturbilder kamen wir auf die Idee, dass die Bakterien ein molekulares Lineal verwenden“, sagt Hagelüken.

Um ihre Hypothese zu überprüfen variierten die Forscher die Länge des Lineals

Die kanadischen Forscher überprüften die Hypothese, indem sie die Länge des Lineals in lebenden Zellen des Modellbakteriums Escherichia coli veränderten. Die Ergebnisse bestätigten ihre Vermutung: Verkürzten die Forscher das molekulare Lineal der Einzeller, so waren auch die Polysaccharidketten kürzer, die die entsprechend manipulierten Bakterien produzierten. Gaben die Forscher dagegen einen längeren Abstandshalter vor, so fielen die von den Bakterien für ihren Schutzanzug gebildeten Ketten entsprechend länger aus. „Das ist ein schönes Beispiel dafür, wie die Kombination aus Methoden verschiedener Forschergruppen schließlich zum Ziel führt“, freut sich Hagelüken.

Das Ergebnis aus der Grundlagenforschung hat auch praktische Bedeutung: Solche Kettenbildungen kommen in der Natur häufig vor und kommen darüber hinaus auch in der chemischen Industrie zur Anwendung. „Deshalb ist denkbar, dass solche molekularen Lineale auch für chemische Synthesen in der Industrie interessant sein könnten“, erläutert Hagelüken. Aber auch für die Medikamentenentwicklung könnten die neuen Erkenntnisse von Interesse sein: Die Schutzanzüge sind lebenswichtig für die Bakterien. Deshalb stellen die molekularen Lineale einen möglichen Angriffspunkt für neue Medikamente dar, mit denen man die Schutzanzüge löchrig machen könnte.

Rheinische Friedrich-Wilhelms Universität Bonn, 16.12.2014

 

Originalpublikation:

Hagelueken G, Clarke BR, Huang H, Tuukkanen A, Danciu I, Svergun DI, Hussain R, Liu H, Whitfield C, Naismith JH. A coiled-coil domain acts as a molecular ruler to regulate O-antigen chain length in lipopolysaccharide. Nat Struct Mol Biol. 2015 Jan;22(1):50-6. doi: 10.1038/nsmb.2935 Epub 2014 Dec 15.

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