Alternative Zuckerverwertung hilft Zellen oxidativen Stress zu bewältigen

Zuckerkristalle unter dem Polarisationsmikroskop.  © public domain.

Zuckerkristalle unter dem Polarisationsmikroskop.
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Wenn eine Zelle oxidativem Stress ausgesetzt ist wird ihr normaler Zuckerstoffwechsel blockiert. Bisher war man davon ausgegangen, dass es sich dabei um einen unspezifischen Nebeneffekt handelt. Wie Wissenschaftler nun herausgefunden haben, stellt die Unterbrechung des normalen Zuckerstoffwechsels unter Stressbedingungen jedoch vielmehr eine gezielt eingesetzte Überlebensstrategie der Zellen dar. Sie wird durch einen hochspezifischen Mechanismus herbeigeführt, der sich in der Evolution früh entwickelt hat und bereits von Bakterien genutzt wird. Krebszellen könnten davon möglicherweise besonders profitieren.

Glucose liefert Energie und Bausteine für die Zellen in unserem Körper. Wissenschaftler wissen schon seit langem, dass unter oxidativem Stress, der etwa bei Entzündungen oder Vergiftungen auftreten kann, der normale Abbau der Glucose ins Stocken gerät. Denn eines der zentralen Enzyme beim Zuckerabbau, die GAPDH (Glycerinaldehyd-3-phosphat-Dehydrogenase), hat eine besondere Eigenschaft: Sie wird ungewöhnlich schnell und effizient durch Wasserstoffperoxid (H2O2) oxidiert und auf diesem Wege inaktiviert. Immunzellen setzten bei chronischen entzündlichen Reaktionen dauerhaft H2O2 frei – ein charakteristisches Kennzeichen für den oxidativen Stress.

Doch warum wird GAPDH durch H2O2 so viel leichter und schneller abgeschaltet als andere Enzyme? Und was bedeutet die Unterbrechung des Zuckerstoffwechsels für die Zelle? „Bislang dachte man, dass die oxidative Inaktivierung von GAPDH nur die schicksalhafte Begleiterscheinung seiner allgemein hohen Reaktivität ist“, sagt Tobias Dick vom Deutschen Krebsforschungszentrum. „Denn damit GAPDH effizient Zucker abbauen kann, hat das Enzym ein hochreaktives Zentrum. Dieses reagiert unspezifisch mit H2O2 und hemmt sich dabei selbst“, beschreibt der Wissenschaftler den gängigen Erklärungsversuch. Will die Zelle aus Zucker effektiv Energie gewinnen, muss sie also zwangsläufig in Kauf nehmen, dass der Zuckerstoffwechsel bei oxidativem Stress gestört wird – so die bisherige Annahme.

Das internationales Forscherteam um Tobias Dick konnte nun zeigen, dass diese Hemmung jedoch keineswegs unspezifisch ist: Die Wissenschaftler entdeckten einen bisher unbekannten Mechanismus, der die Reaktion von GAPDH mit H2O2 hoch spezifisch herbeiführt.

Wie die Forscher mithilfe von Laborexperimenten und Computersimulationen herausfanden, ist die hohe Empfindlichkeit von GAPDH für H2O2, entgegen allen bisherigen Annahmen, kein Nebeneffekt der allgemeinen GAPDH-Reaktivität. Stattdessen beschleunigt GAPDH seine eigene oxidative Hemmung, spezifisch und unabhängig von seiner Aktivität im Zuckerstoffwechsel.

„Wir waren überrascht festzustellen, dass sich dieser spezielle Mechanismus von GAPDH in fast allen Lebewesen findet, von Bakterien bis zum Menschen. Alles deutet darauf hin, dass er für das Überleben unter Stressbedingungen eine grundlegende Rolle spielt“, erklärt Tobias Dick.

Die Wissenschaftler erzeugten daraufhin ein genetisch verändertes GAPDH, das seine Rolle im Zuckerstoffwechsel zwar ganz normal erfüllen kann, jedoch nicht durch H2O2 gehemmt werden kann. In der, bei Forschern als Modellorganismus beliebten Bäckerhefe (Saccharomyces cerevisiae) ersetzten sie das gewöhnliche Enzym durch die oxidations-unempfindliche Variante. Unter normalen Umständen war kein Unterschied auszumachen: Der Zuckerabbau und das Wachstum der Zellen verliefen identisch.

Doch unter oxidativem Stress hatten die Zellen mit dem normalen, oxidations-empfindlichen GAPDH einen erheblichen Wachstumsvorteil: Wie die Forscher zeigten, führte die oxidative Blockade von GAPDH zu einer alternativen Verwendung des Zuckers. Dieser alternative Weg förderte vor allem die Bildung von NADPH, einem Molekül, das der Oxidation entgegenwirkt und der Zelle dabei hilft, mit dem oxidativen Stress fertig zu werden. Auf diese Weise verschafft die Unterbrechung des normalen Zuckerabbaus der Zelle einen wichtigen Überlebensvorteil. Dies erklärt auch, warum sich die oxidative Hemmung der GAPDH in der Evolution der Lebewesen früh entwickelt hat und seither erhalten geblieben ist.

Als nächstes möchten die Forscher untersuchen, ob auch Krebszellen von der oxidativen Hemmung der GAPDH profitieren. David Peralta, der Erstautor der Studie, erläutert: „Krebszellen verwerten besonders viel Zucker und stehen zudem unter erhöhtem oxidativem Stress. Wir vermuten deshalb, dass sie sich die oxidative Hemmung der GAPDH für ihre Zwecke zunutze machen. Diesen Mechanismus abzuschalten, könnte Krebszellen besonders hart treffen.“

Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), 15.01.2015

 

Originalpublikation:
David Peralta, Agnieszka K Bronowska, Bruce Morgan, Éva Dóka, Koen Van Laer, Péter Nagy, Frauke Gräter, Tobias P Dick (2015). A proton relay enhances H2O2 sensitivity of GAPDH to facilitate metabolic adaptation. Nature Chemical Biology 2015, DOI: 10.1038/nchembio.1720

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