Bereits Babys lernen im Schlaf

Nur scheinbar untätig: Im Schlaf festigt das Babygehirn zuvor Gelerntes und verallgemeinert es. © Manuela Friedrich

Nur scheinbar untätig: Im Schlaf festigt das Babygehirn zuvor Gelerntes und verallgemeinert es.
© Manuela Friedrich

Entgegen dem Schein ruht das Babygehirn im Schlaf keineswegs. Vielmehr nutzt es die Phase der ruhenden Sinneseinflüsse, um zuvor Gelerntes zu verarbeiten. Wissenschaftler haben nun herausgefunden, dass sich Babys durch ein kurzes Schläfchen die Namen von Gegenständen besser merken. Außerdem können sie erst nach dem Schlaf zuvor gelernte Namen auf neue, ähnliche Gegenstände übertragen. Ihr Gehirn bildet also im Schlaf verallgemeinernde Kategorien. So wird Erlebtes in Wissen umgewandelt. Diese Kategoriesierung ist eng mit einer typischen rhythmischen Aktivität des schlafenden Gehirns verbunden.

Schlafen ist für unser Gehirn keineswegs eine ruhige Phase. Denn in diesem Zustand, in dem unser Gehirn vom Informationsfluss aus unseren Sinnesorganen weitgehend abgeschnitten ist, sind viele Regionen unseren Gehirns besonders aktiv. Die meisten Hirnforscher gehen heute davon aus, dass das Gehirn im Schlaf zuvor Erlebtes noch einmal abruft und so in neue Gedächtnisinhalte umwandelt und in das bestehende Gedächtnis einfügt. Dabei werden Verbindungen zwischen Nervenzellen verstärkt, neu geknüpft oder auch abgebaut. Schlaf ist also für unser Gedächtnis unverzichtbar.

Dies ist den Max-Planck-Forschern in Leipzig zufolge bereits im Säuglings- und Kleinkindalter der Fall. Um den Einfluss von Schlaf auf das frühkindliche Gedächtnis zu untersuchen, haben die Wissenschaftler Eltern mit ihren 9 bis 16 Monate alten Babys zu einer Lernstudie eingeladen. Während der Lernphase bekamen die Babys wiederholt Bilder von Fantasie-Objekten zu sehen und hörten gleichzeitig den Objekten zugeordnete Fantasie-Namen. Manche Objekte ähnelten sich und variierten lediglich in ihren Proportionen, in den Farben oder bestimmten Details. Die ähnlichen Objekte, die sich anhand ihrer Form in Kategorien einteilen ließen, erhielten immer den gleichen Namen. Die Forscher zeichneten währenddessen die Gehirnaktivität der Kinder in einem Elektroenzephalogramm (EEG) auf.

Elektroden auf der Kopfoberfläche registrieren die von den Nervenzellen ausgehenden elektrischen Signale und leiten sie an Messgeräte weiter. © MPI f. Kognitions- und Neurowissenschaften/ Ch. Rügen

Elektroden auf der Kopfoberfläche registrieren die von den Nervenzellen ausgehenden elektrischen Signale und leiten sie an Messgeräte weiter.
© MPI f. Kognitions- und Neurowissenschaften/ Ch. Rügen

Die folgenden ein bis zwei Stunden verbrachte die eine Babygruppe schlafend im Kinderwagen, während ein Elektroenzephalogramm aufgenommen wurde. Die andere Gruppe blieb wach und unternahm eine Spazierfahrt im Kinderwagen oder spielte im Untersuchungszimmer. In der anschließenden Testphase zeigten die Wissenschaftler den Babys noch einmal Bild-Wort-Paare – dieses Mal sowohl in den gleichen Kombinationen wie in der Lernphase, als auch in neuen Kombinationen – und maßen dabei ebenfalls die Gehirnaktivität.

Die Analyse der Hirnaktivität zeigte, dass die Kinder in der Lernphase die Namen der einzelnen Gegenstände gelernt hatten, und zwar unabhängig von ihrem Alter. Anders sah es mit der Kategorisierungsfähigkeit aus: Am Ende der Lernphase waren die Kinder nicht dazu in der Lage die neuen Objekte den bereits mehrfach gehörten Namen ähnlicher Objekte zuzuordnen.

In der späteren Testphase unterschied sich die Hirnaktivität der Kinder, die im Anschluss an die Lernphase geschlafen hatten deutlich von denen, die wach geblieben waren. Während die wach gebliebenen Kinder die Namen für die einzelnen Objekte vergessen hatten, konnten sich die Kinder der Schlafgruppe an die Objekt-Wort-Zuordnungen erinnern. Das betraf auch die Kategorisierungsfähigkeit der Kinder: „Kinder, die unmittelbar nach der Lernphase geschlafen haben, ordnen neuen Objekten die Namen von Objekten mit ähnlichem Aussehen zu“, sagt Manuela Friedrich vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften. „Vor dem Schlaf konnten sie das noch nicht und auch die wach gebliebenen Kinder waren dazu nicht in der Lage. Die Kategorien müssen also während des Schlafes gebildet worden sein.“

Während das Alter der Kinder keine Rolle spielte, bestimmt eine Form von Hirnwellen maßgeblich den Lernerfolg: die sogenannten Schlafspindeln. Sie entstehen, wenn Nervenbündel zwischen Thalamus und Großhirnrinde eine rhythmische Aktivität von 10 bis 15 Schwingungen pro Sekunde erzeugen. Schlafspindeln beeinflussen beispielsweise die Gedächtnisbildung bei Erwachsenen. „Je stärker ein Baby solche Schlafspindeln ausbildet, desto besser kann es nach dem Schlaf die Namen für Kategorien auf neue Objekte anwenden“, erklärt Friedrich.

Was ein "Wapel" ist, lernen die Babys auch ohne Schlaf. Welche Gegenstände jedoch zur Kategorie "Bofel" gehören, erkennt das Babygehirn erst nach einem Schläfchen. © MPI f. Kognitions- und Neurowissenschaften/ K. Flake

Was ein „Wapel“ ist, lernen die Babys auch ohne Schlaf. Welche Gegenstände jedoch zur Kategorie „Bofel“ gehören, erkennt das Babygehirn erst nach einem Schläfchen.
© MPI f. Kognitions- und Neurowissenschaften/ K. Flake

Schlaf bestimmt also schon im kindlichen Gehirn maßgeblich das Erinnerungsvermögen – und damit in einer Phase, in der das Gedächtnis massiv ausgebaut wird. „Das wache Baby-Gehirn vergisst neu gelernte Benennungen schnell wieder. Im Schlaf werden die Wörter jedoch dauerhafter mit den Objekten verknüpft und prägen sich ein“, sagt Angela Friederici, Direktorin am Leipziger Max-Planck-Institut.

Schlaf und die Ausbildung von Schlafspindeln verleihen dem frühkindlichen Gehirn aber auch die Fähigkeit zum Zusammenfassen ähnlicher Wortbedeutungen. Wenn das Gehirn von äußeren Einflüssen weitestgehend abgeschnitten ist, kann es offenbar seine Erfahrungen ordnen und neue verallgemeinernde Gedächtnisinhalte bilden. „Der Schlaf schlägt also die Brücke vom konkreten Gegenstand zur allgemeinen Kategorie – aus Erlebtem wird so Wissen“, erklärt Friederici.

Max-Planck-Gesellschaft, 29. Januar 2015

 

Originalpublikation:

Manuela Friedrich, Ines Wilhelm, Jan Born, and Angela D. Friederici. Generalization of word meanings during infant sleep. Nature Communications, 29. Januar 2015. doi: 10.1038/ncomms7004

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