Warum Parvoviren selektiv gegen manche bösartigen Hirntumoren wirken

Computersimulation eines Parvovirus. © dkfz.de

Computersimulation eines Parvovirus. © dkfz.de

Parvoviren können selektiv Krebszellen zerstören und werden gerade in einer ersten klinischen Studie auf ihre Wirksamkeit gegen bösartige Hirntumoren getestet. Für ihrer Vermehrung sind die Viren auf ein wichtiges Enzym in der Wirtszelle angewiesen. Wissenschaftler entdeckten nun, dass sich Parvoviren in gesunden menschlichen Zellen nicht vermehren können, weil es ihnen dort nicht gelingt dieses Enzym zu aktivieren. In bösartigen Hirntumoren dagegen ist das Enzym oft dauerhaft aktiv, so dass sich die Viren vermehren und die Krebszellen vernichten können. Das erklärt nicht nur die natürliche Selektivität der Viren für Krebszellen, sondern hilft auch dabei, die Tumorpatienten zu identifizieren, die von einer Parvovirus-Therapie profitieren können.

Parvoviren, die eigentlich Nagetiere befallen, verursachen beim Menschen keine Krankheitssymptome. Krebszellen können sie dagegen sehr wohl infizieren und abtöten. Die Details dieser biologischen Selektivität der Viren waren lange nicht verstanden. „Da die Viren aber möglicherweise bald schon eine Rolle in der Krebsmedizin spielen könnten, ist es wichtig zu wissen, warum sie sich beim Menschen ausschließlich in Tumorzellen vermehren“, erklärt der Virologe Jürg Nüesch vom Deutschen Krebsforschungszentrum.

Um ihren Lebenszyklus in der Zelle zu durchlaufen und die nächste Virengeneration zu produzieren, sind die Viren auf die Aktivität eines zellulären Enzyms, der Kinase PDK1, angewiesen. Diese Kinase wirkt wie ein Hauptschalter für verschiedenste Zellfunktionen. Normalerweise wird sie von außen, durch das Andocken von Wachstumsfaktoren an ihre jeweiligen Rezeptoren auf der Zelle, aktiviert.

Wie die Wissenschaftler entdeckten, kann das Virus die PDK1 in Zellen von Mäusen, die zu den natürlichen Wirten des Parvovirus H1 gehören, über einen Wachstumsfaktor-unabhängigen, internen Weg aktivieren. Dabei hilft ein Enzymkomplex namens PKCη/Rdx. Dieser Komplex überträgt eine Phosphatgruppe auf eine bestimmte Aminosäure der PDK1 und aktiviert sie dadurch.

In normalen menschlichen Zellen dagegen kann sich das Virus nicht vermehren, da es ihm dort nicht gelingt die PDK1 auf diesem alternativen Weg zu aktivieren. Sobald die Forscher diese Zellen jedoch in der Kulturschale mit einer dauerhaft aktivierten PDK1 versahen, wurden sie ebenfalls für die Virusinfektion und -vermehrung empfänglich.

Mit Krebszellen und dabei besonders mit Glioblastomzellen, einem weit verbreiteten und sehr bösartigen Hirntumor, verhält es sich anders: In 36 Prozent der 70 von den Forschern untersuchten Glioblastom-Gewebeproben lag die PDK1 bereits in phosphoryliertem Zustand vor und war damit dauerhaft aktiviert.

„Für Krebszellen ist eine ständig aktivierte PDK1 biologisch sinnvoll, denn damit sind sie von Wachstumsfaktoren unabhängig. Das wiederum nützen die Parvoviren für ihre Zwecke aus“; erläutert Jürg Nüesch. „Wir haben hier erstmals eine molekulare Ursache für die natürliche Selektivität gefunden. Und darüber hinaus haben wir mit der PDK1-Phosphorylierung einen Biomarker entdeckt, der uns vorhersagt, bei welchen Tumoren eine Parvovirus-Therapie überhaupt anschlagen kann.“

Gegen Hirntumoren werden derzeit auch Wirkstoffe erprobt, die die Wachstumsfaktor-Rezeptoren auf der Zelloberfläche blockieren. Auch in diesem Zusammenhang ist eine Untersuchung des Phosphorylierungszustands der PDK1 für eine erfolgreiche Therapie unerlässlich: Denn wenn die PDK1 auf dem alternativen Weg bereits aktiviert ist, ist die Krebszelle von Wachstumsfaktoren unabhängig. Dann nützt dem Patienten eine Blockade der Wachstumsfaktor-Rezeptoren nichts.

Im Deutschen Krebsforschungszentrum untersuchen Wissenschaftler unter der Federführung von Jean Rommelaere seit 1992 Parvoviren mit dem Ziel, eine Virustherapie gegen Glioblastome zu entwickeln. Seit 2011 läuft in der Neurochirurgischen Universitätsklinik Heidelberg eine klinische Studie, mit der erstmals die Sicherheit einer Behandlung mit dem H-1 geprüft wurde und die derzeit ausgewertet wird.

Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), 11.03.2015

 

Originalpublikation:

Séverine Bär, Jean Rommelaere, and Jürg P.F. Nüesch: PKCη/Rdx-driven Phosphorylation of PDK1: A Novel Mechanism Promoting Cancer Cell Survival and Permissiveness for Parvovirus-induced Lysis. Plos Pathogen 2015, DOI: 10.1371/journal.ppat.1004703

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