Arktische Permafrostböden tauen vermutlich doch nicht schlagartig, sondern kontinuierlich auf

Foto von der erodierenden Steilküste der kleinen, russischen Insel Muostakh -östlich der Hafenstadt Tikisi gelegen. Auf diesem Bild lässt sich erahnen, warum man in den Anfangszeiten der Permafrostforschung vermutete, es befänden sich keine Eiskeile, sondern ganz Gletscher im Untergrund. © Thomas Opel, Alfred-Wegener-Institut

Foto von der erodierenden Steilküste der kleinen, russischen Insel Muostakh -östlich der Hafenstadt Tikisi gelegen. Auf diesem Bild lässt sich erahnen, warum man in den Anfangszeiten der Permafrostforschung vermutete, es befänden sich keine Eiskeile, sondern ganz Gletscher im Untergrund. © Thomas Opel, Alfred-Wegener-Institut

Der Permafrostboden in der Arktis und den subarktischen Gebieten wird vermutlich über viele Jahrzehnte hinweg stetig beträchtliche Mengen von Treibhausgasen freisetzen. Zu diesem Schluss kommt ein internationales Forscherteam, nachdem es aktuelle Studien zum Auftauen von Permafrostböden zusammengefasst und ausgewertet hat. Demnach erscheint die weit verbreitete These, wonach es zu einer schlagartigen und großflächigen Freisetzung von Milliarden Tonnen von Kohlendioxid und Methan aus dem gefrorenen Boden kommen wird, als sehr unwahrscheinlich.

Im Permafrostboden der nördlichen Erdhälfte ist fast doppelt so viel Kohlenstoff gespeichert, wie derzeit in der Atmosphäre enthalten ist. „Wenn der Boden auftaut, beginnen Mikroorganismen und Bakterien die Pflanzen- und Tierreste, die seit Jahrtausenden in der Erde lagern, zu zersetzen. Dabei produzieren sie Kohlendioxid und Methan. Steigt also die globale Temperatur weiter an, könnte der Permafrost mehr Treibhausgase freisetzen“, erklärt Guido Grosse, Permafrostforscher am Alfred-Wegener-Institut. Deshalb stellt die Geschwindigkeit, mit der die Permafrostböden der Arktis auftauen und Treibhausgase freisetzen eine zentrale Frage in der Klimaforschung dar. Bisher war die Antwort auf diese Frage umstritten.

Aus diesem Grund hat ein internationales Team von Wissenschaftlern aus den Vereinigten Staaten, Europa, Kanada und Russland den derzeitigen Stand des Wissens zum Permafrost zusammengetragen. Dabei sind die Forscher zu dem Schluss gekommen, dass der gefrorene Boden im Laufe der nächsten Jahrzehnte sehr wahrscheinlich allmählich, aber beständig, große Mengen an Kohlendioxid und Methan freisetzen wird. Die These, dass der Permafrost bei steigenden Temperaturen schlagartig große Mengen Kohlendioxid und Methan ausstoßen könnte, schätzen die Wissenschaftler als sehr unwahrscheinlich ein. „Der Permafrost reagiert größtenteils langsam auf Klimaveränderungen. Hat der Tauprozess allerdings erst einmal begonnen, lässt er sich nicht mehr so schnell aufhalten. Selbst wenn wir jetzt die menschengemachten Emissionen drastisch reduzieren, würde der Permafrost über die nächsten Jahrhunderte weiter tauen“, sagt Guido Grosse.

Wie viel Kohlenstoff ist im Permafrost gespeichert?

Bei der Auswertung der aktuellen Daten konnten die Forscher insbesondere die Menge des Kohlenstoffs, die in den Permafrostregionen vermutet wird, besser abschätzen. Gingen erste Studien noch von 1600 bis 1700 Milliarden Tonnen aus, konnte das Team mit Hilfe historischer und aktueller Daten die Werte für die detaillierter untersuchten Permafrostregionen auf 1330 bis 1580 Milliarden Tonnen eingrenzen. Dazu kommen weitere, bis zu 400 Milliarden Tonnen Kohlenstoff in den Regionen, die wegen der dortigen spärlichen Datenlage allerdings noch mit großer Unsicherheit in der Mengenabschätzung belegt sind.

Den größte Menge, rund siebzig Prozent, erwarten die Wissenschaftler in den oberen drei Metern des Permafrostbodens. Doch auch in Tiefen von bis zu 40 Metern befinden sich vermutlich weitere beträchtliche Kohlenstoffmengen. „Wir nehmen an, dass selbst die tiefen gefrorenen Ablagerungen für uns Menschen durchaus klimarelevant sind. Denn diese Schichten enthalten viel Eis, das bei steigenden Temperaturen schmilzt und den Permafrost trotz der Tiefe anfällig für schnelles und tiefes Auftauen innerhalb der nächsten 100 bis 300 Jahre macht und zur Freisetzung von Treibhausgasen führen kann“, erklärt der Permafrostforscher.

Ein beträchtlicher Anteil Kohlenstoff noch unbekannter Größenordnung befindet sich darüber hinaus unter dem Meeresspiegel der Schelfmeere Nordsibiriens und Alaskas. Permafrost, der sich hier während der letzten Eiszeit noch an Land gebildet hat, wurde mit dem Ende der Kaltzeit überflutet und Teile davon bestehen seitdem als so genannter submariner Permafrost weiter.

Thermokarst Thermokarst-Senke mit kleinem Thermokarst-See auf der Bykovsky-Halbinsel, sibirische Arktis. © Alfred-Wegener-Institut / Thomas Opel

Thermokarst
Thermokarst-Senke mit kleinem Thermokarst-See auf der Bykovsky-Halbinsel, sibirische Arktis. © Alfred-Wegener-Institut / Thomas Opel

Regional kann Permafrost dennoch abrupt auftauen

Obwohl die Wissenschaftler davon ausgehen, dass diese Kohlenstoffspeicher kontinuierlich abgebaut werden, verweisen sie in ihrer Studie auch auf Regionen in Alaska und Kanada, in denen es zu einem schnelleren Auftauen kommen kann. Der Grund: Der Boden in diesen Gebieten ist sehr eishaltig. Wenn die Temperatur hier schnell steigt, beginnen diese unterirdischen Eiseinlagerungen zu schmelzen und das darüber liegende Gelände abzusinken. In den dadurch entstehenden Senken wiederum sammelt sich Wasser. Es entstehen so genannte Thermokarstseen, unter denen der Boden mit erhöhtem Tempo weiter auftaut.

„Das Tauen unter den Seen passiert innerhalb weniger Jahrzehnte und kann sehr tiefe Schichten erreichen. Diese Thermokarst-Prozesse sind für uns deshalb ein deutliches Anzeichen dafür, dass das Tauen nicht immer graduell abläuft, sondern unter bestimmten Bedingungen – wie bei einer starken Erwärmung oder veränderten Niederschlägen – regional auch sehr plötzlich stattfinden kann“, erklärt Guido Grosse.

Verschiedene Kohlenstoffverbindungen unterliegen unterschiedlich schnellen Abbauprozessen

Allerdings, sie die Forscher, führt das Tauen der Permafrostböden nicht dazu, dass der gesamte darin gespeicherte Kohlenstoff als Kohlendioxid und Methan in die Atmosphäre freigesetzt wird. „Auch Mikroben und Bakterien haben gewisse Futtervorlieben. Teile des Kohlenstoffs können sie sehr leicht aufnehmen, an anderen haben sie mehr zu knabbern, um sie umzusetzen – und einige können sie nur extrem langsam zersetzen“, erklärt Guido Grosse.

Erste Langzeitversuche kamen zu dem Ergebnis, dass besonders am Anfang, wenn der Boden zu tauen beginnt, besonders viel Kohlenstoff freigesetzt wird. Mit Zeit jedoch diese Rate jedoch wieder ab. Bis zum Jahr 2100 könnten demnach bereits 15 Prozent des leicht zu verwertenden Kohlenstoffs als Treibhausgase emittiert werden. Was noch in diesem Jahrhundert zu einer zusätzlichen globalen Erwärmung um bis zu 0,27 Grad Celsius führen würde.

Tauenden Permafrost in Klimamodelle einbeziehen

Ziel der Permafrost-Forscher ist es nun, die neuen Erkenntnisse in Klimamodelle einzubauen. Denn bisher fanden Permafrost-Prozesse nur wenig Beachtung, wenn es darum ging, Aussagen über das zukünftige Klima zu treffen. „Wenn man bedenkt, dass die Permafrost-Regionen, die immerhin fast ein Viertel der Landoberfläche auf der Nordhalbkugel einschließen, vermutlich ebenso viele Treibhausgase freisetzen, wie die historisch viel beachteten menschengemachten Veränderungen in der Landnutzung, dann zeigt sich wie bedeutend diese Vorgänge für unser Klima sind“, erzählt Guido Grosse.

Alfred-Wegener-Insitut, 9. April 2015

 

Originalpublikation:

Schuur EA, McGuire AD, Schädel C, Grosse G, Harden JW, Hayes DJ, Hugelius G, Koven CD, Kuhry P, Lawrence DM, Natali SM, Olefeldt D, Romanovsky VE, Schaefer K, Turetsky MR, Treat CC, Vonk JE. Climate change and the permafrost carbon feedback. Nature. 2015 Apr 9;520(7546):171-9. DOI: 10.1038/nature14338

Kommentare sind geschlossen.