Lymphsystem verbindet das Gehirn direkt mit dem Immunsystem

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Lymphkapillaren (grün) © Wikimedia Commons, public domain.

Bisher ging man davon aus, dass es zwischen dem Gehirn und dem Immunsystem keine direkte Verbindung gibt. Nun haben Forscher herausgefunden, dass dies doch der Fall ist: Sie konnten im Gehirn ein bisher unentdecktes Lymphsystem nachweisen. Die bahnbrechende Entdeckung wird nicht nur dazu führen, dass Lehrbücher umgeschrieben werden müssen. Sondern sie wird auch die Erforschung von degenerativen Erkrankungen des Gehirns mit immunologischer Komponente verändern, wie etwa Parkinson, Alzheimer und Multipler Sklerose. Denn das Lymphsystem ist ein wesentlicher Teil des Immunsystems.

Wie kann es sein, dass es im Gehirn ein Lymphsystem gibt, das bisher noch niemand entdeckt hat? Des Rätsels Lösung liegt darin, dass dieses System nur schwer aufzuspüren ist.

Die gefäßdurchzogene Hirnhaut in einer Abbildung von Andreas Vesalius (1543)

Die gefäßdurchzogene Hirnhaut in einer Abbildung von Andreas Vesalius (1543). © Wikimedia Commons, public domain.

Antoine Louveau von der University of Virgina in den USA entwickelte eigens für seine Untersuchungen eine neue Technik, mit deren Hilfe er die gesamte Hirnhaut einer Maus, also alle Membranen, die das Gehirn umgeben, auf einen Objektträger aufbringen konnte. So gelang es ihm sie als Ganzes unter dem Mikroskop untersuchen zu können. Dazu bediente er sich eines einfachen Tricks: Er fixierte die Hirnhaut an der Schädelkalotte, dem knöchernen Schädeldach, so dass die Struktur des Gewebes erhalten blieb. Anschließend machte er Schnitte von dem Präparat und untersuchte sie unter dem Mikroskop. Dabei fiel ihm auf, dass die Immunzellen, die er in dem Gewebe ausmachte so angeordnete waren, als ob sie sich in Gefäßen befänden. Und tatsächlich, als er das Gewebe auf die Anwesenheit von Markern untersuchte, die für Lymphgefäße typisch sind wurde er fündig. Und revolutionierte damit das Wissen um die Verbindung zwischen Gehirn und Immunsystem. Denn das Lymphsystem ist ein wesentlicher Bestandteil des Immunsystems.

Als Louveau sich sicher war, was er da entdeckt hatte holte er seinen Chef Jony Kipnis ans Mikroskop und erklärte ihm schlicht: „Ich glaube wir haben da etwas.“

Das Lymphsystem des Gehirns blieb nur deshalb so lange unentdeckt, weil es so gut versteckt war: Es folgt den Sinus durae matris, venösen Blutleitern des Gehirns. Dabei verlaufen die Lymphgefäße so dicht neben den Blutgefäßen, dass man sie ganz leicht übersieht. Nur wenn man genau weiß, wonach man suchen muss erkennt man sie.

© Thormann. CC BY-SA 3.0.

Schema der Hirnhäute (Größenverhältnisse nicht proportional dargestellt!) © Uwe Thormann. CC BY-SA 3.0.

Später übernahm Tajie Harris die Aufgabe das Lymphsystem durch Life Imaging direkt bei seiner Arbeit zu dokumentieren. Dazu setzten die Forscher zwei Marker ein: Den einen spritzten sie in die Venen und den anderen in den Subarachnoidalraum, einen spaltförmigen Raum zwischen den beiden inneren Hirnhäuten. Der Marker, den sie in das Gehirn spritzten ließ die neu entdeckten Lymphgefäße farbig hervortreten. Während der intravenös verabreichte Farbstoff die Blutgefäße anfärbte.

Aufgrund dieser neuen Erkenntnisse erscheinen Nervenerkrankungen des Gehirns, die eine immunologische Komponente haben, in einem ganz anderen Licht. Bei jeder dieser Krankheiten werden die Lymphgefäße des Gehirns vermutlich eine wesentliche Rolle spielen. Jetzt müssen die Wissenschaftler nicht mehr rätseln, wie es im immunprivilegierten Gehirn, einem Ort, an dem keine nennenswerten Immunreaktionen auftreten sollten, zu Entzündungsreaktionen kommen kann. Nun stellt sich nicht mehr die Frage, wie die Immunzellen durch komplizierte, bisher nicht bekannte Mechanismen dennoch in diesen vermeintlich immunologisch abgeschirmten Bereich eindringen können und dort ihr Unwesen treiben. Vielmehr gehen demnach im Gehirn vorgefundene Immunzellen wahrscheinlich nur ihrer ganz normalen Aufgabe nach und stellen eine selbstverständliche Komponente des Gehirns dar. Die Anwesenheit von einzelnen Immunzellen alleine kann also nicht mehr für die Diagnose einer neurodegenerativen Krankheit herhalten. Denn Immunreaktionen im Gehirn sind nicht immer ein Hinweis auf eine Krankheit.

von Ute Keck

 

Originalpublikation:

Antoine Louveau, Igor Smirnov, Timothy J. Keyes, Jacob D. Eccles, Sherin J. Rouhani, J. David Peske, Noel C. Derecki, David Castle, James W. Mandell, Kevin S. Lee, Tajie H. Harris, Jonathan Kipnis. Structural and functional features of central nervous system lymphatic vessels. Nature, 2015; DOI: 10.1038/nature14432

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