Früher Europäer hatte vor vier bis sechs Generationen einen Neandertaler-Vorfahren

Das einem 40.000 Jahre alten Unterkiefer entnommene Erbgut zeigt, dass dieser moderne Mensch vor nur vier bis sechs Generationen einen Neandertaler-Vorfahren gehabt hatte. © MPI f. evolutionäre Anthropologie/ Pääbo

Das einem 40.000 Jahre alten Unterkiefer entnommene Erbgut zeigt, dass dieser moderne Mensch vor nur vier bis sechs Generationen einen Neandertaler-Vorfahren gehabt hatte.
© MPI f. evolutionäre Anthropologie/ Pääbo

Die Neandertaler starben vor circa 40.000 Jahren aus. Doch bis heute lassen sich ihre Spuren im Genom moderner Europäer und Asiaten nachweisen. Denn wir tragen noch etwa ein bis drei Prozent Neandertaler-DNA in unserem Genom. Wissenschaftler haben nun die DNA vom Unterkiefer eines jungen Mannes untersucht der vor etwa 37.000 bis 42.000 Jahre gelebt hat und in seinem Genom sechs bis neun Prozent Neandertaler-DNA gefunden. Das ist mehr als bei jedem anderen bisher daraufhin untersuchten Menschen. Die langen Chromosomenabschnitte die dieser frühe Europäer vom Neandertaler vererbt bekam, lassen darauf schließen, dass er vor vier bis sechs Generationen einen Neandertaler-Vorfahren in seinem Stammbaum hatte. Das beweist, dass sich einige der ersten modernen Menschen, die nach Europa kamen, mit den dort lebenden Neandertalern vermischten.

Heute lebenden Menschen, die ihre Wurzeln außerhalb Afrikas haben, tragen zwischen einem und drei Prozent Neandertaler-DNA in ihrem Genom. Wissenschaftler vermuten, dass sich frühe moderne Menschen vor etwa 50.000 bis 60.000 Jahren, als sie aus Afrika kamen, im Nahen Osten mit Neandertalern vermischten, bevor sie sich dann über Asien, Europa und den Rest der Welt ausbreiteten. Funde aus verschiedenen Teilen Europas ergaben jedoch, dass moderne Menschen und Neandertaler bis zu 5.000 Jahre lang gemeinsam in Europa lebten und sich möglicherweise auch erst dort miteinander vermischt haben könnten.

Für ihre Analyse verwendeten die Forscher insgesamt 35 Milligramm Knochenpulver aus dem Unterkiefer. © MPI f. evolutionäre Anthropologie/ Pääbo

Für ihre Analyse verwendeten die Forscher insgesamt 35 Milligramm Knochenpulver aus dem Unterkiefer.
© MPI f. evolutionäre Anthropologie/ Pääbo

Im Jahre 2002 fanden Höhlenkletterer in der Oase-Höhle im Südwesten Rumäniens einen 40.000 Jahre alten Kieferknochen. Die Fundstelle wurde danach von einem internationalen Team unter Leitung der Wissenschaftler des Emil-Racoviţă-Instituts für Speläologie in Rumänien untersucht. Forscher vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (Deutschland), der Harvard Medical School (USA) und des Key Laboratory of Vertebrate Evolution and Human Origins (China) untersuchten jetzt das Erbgut eines etwa 40.000 Jahre alten Kieferknochens aus Rumänien. Es stellt einen der ältesten Funde eines modernen Menschen in Europa dar. Etwa fünf bis elf Prozent der DNA dieses jungen Mannes stammen vom Neandertaler. Worunter sich auch sehr lange Abschnitte einiger Chromosomen befinden. Wegen der langen Neandertaler-DNA-Abschnitte schätzen die Forscher, dass der Mann, dem der Unterkiefer gehört hatte, vor nur etwa vier bis sechs Generationen einen Neandertaler-Vorfahren hatte.

„Dies zeigt, dass moderne Menschen sich nicht nur im Nahen Osten sondern auch in Europa mit Neandertalern vermischt haben“, sagt Qiaomei Fu, eine der führenden Wissenschaftlerinnen der Studie. Interessanterweise scheint der Mensch aus der Oase-Höhle keine direkten Nachkommen im heutigen Europa zu haben“, sagt David Reich von der Harvard Medical School, der die populationsgenetischen Untersuchungen der Studie koordinierte. „Es kann sein, dass er Teil einer frühen Migration moderner Menschen nach Europa war, die eng mit Neandertalern interagierten, schließlich aber ausstarben.“

„Es ist so ein fantastischer Glücksfall, eine Person zu finden, die so nah mit einem Neandertaler verwandt war“, kommentiert Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, der die Studie leitete. „Ich konnte es kaum glauben, als wir die Ergebnisse zum ersten Mal gesehen haben.“ „Wir hoffen, dass wir anhand von Überresten weiterer moderner Menschen, die vor dem Aussterben der Neandertaler gelebt haben, das Miteinander von Neandertalern und modernen Menschen noch detaillierter rekonstruieren können“, sagt Mateja Hajdinjak, eine weitere maßgeblich an der Studie beteiligte Wissenschaftlerin.

„Als wir an der Oase-Fundstelle mit der Arbeit begannen, wies schon alles auf eine außergewöhnliche Entdeckung hin“, erinnert sich Oana Moldovan, die rumänische Forscherin, die 2003 die systematische Ausgrabung in der Höhle organisierte. „Aber solche Entdeckungen können erst nach umfangreichen und genauen Untersuchungen bestätigt werden“, fügt ihr Kollege Silviu Constantin hinzu, der an der Datierung der Fundstätte mitgearbeitet hat. „Wir hatten zuvor schon gezeigt, dass Oase tatsächlich der bisher älteste Fund eines modernen Menschen in Europa ist, und nun wird durch die Forschung bestätigt, dass diese Person einen Neandertaler zum Vorfahren hatte. Was hätte man sich sonst noch wünschen können?“

Max-Planck-Gesellschaft, 22. Juni 2015

 

Originalpublikation:

Qiaomei Fu, Mateja Hajdinjak, Oana Teodora Moldovan, Silviu Constantin, Swapan Mallick, Pontus Skoglund, Nick Patterson, Iosif Lazaridis, Birgit Nickel, Bence Viola, Kay Prüfer, Matthias Meyer, Janet Kelso, David Reich, Svante Pääbo. An early modern human from Romania with a recent Neanderthal ancestor. Nature; 22 June, 2015 doi:10.1038/nature14558

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