Unkontrolliertes Gefäßwachstum spezifisch in Schach halten

Gefäße sprossen bei der Frühgeborenen-Retinopathie aus (rot: Endothelzellen, grün: Wandzellen (Perizyten)). © Andreas Fischer /DKFZ

Gefäße sprossen bei der Frühgeborenen-Retinopathie aus (rot: Endothelzellen, grün: Wandzellen (Perizyten)). © Andreas Fischer /DKFZ

Wenn Blutgefäße im Auge unkontrolliert wachsen, so dass sie die Netzhaut schädigen, können die Betroffenen erblinden. Wissenschaftler haben nun ein Molekül entdeckt, das diesen Prozess stoppen könnte: Im Tiermodell hemmt das Protein Semaphorin 3C das krankhafte Wachstum von Blutgefäßen im Auge. Sema3C wird vom Körper selbst produziert. Seine eigentliche Aufgabe besteht darin, das Wachstum von Nervenzellen zu kontrollieren.

Wenn Wunden heilen oder sich Embryonen entwickeln, muss der Körper neue Blutgefäße bilden. Diese sogenannte Angiogenese kann bei bestimmten Krankheiten jedoch außer Kontrolle geraten. Krebszellen etwa decken ihren hohen Nährstoffbedarf, indem sie die Bildung neuer Blutgefäße anregen. Auch im Auge können unkontrolliert wachsende Blutgefäße zum Problem werden, wenn sie aus der Netzhaut auswachsen. Dann kann sich die Netzhaut ablöst und die Betroffenen erblinden.

Frühgeborene erkranken häufig an der Netzhaut (Retinopathie), was schwer zu behandeln ist. Der Grund für die Netzhautprobleme liegt in der erhöhten Sauerstoffkonzentration, die auftritt, wenn die Frühchen künstlich beatmet werden. Die unreifen Gefäße in den Augen der Frühchen reagieren darauf empfindlich und können sich so falsch entwickeln. In schwerwiegenden Fällen müssen die Ärzte eine Retinopathie mit dem Laser veröden. Bei dieser invasiven Therapie besteht jedoch, auch wenn die Behandlung selbst erfolgreich war, immer ein Restrisiko für eine später auftretende Netzhautablösung.

Deshalb suchen Forscher nach alternativen Möglichkeiten, wie man die fehlgebildeten Blutgefäße behandeln kann, wie etwa mit spezifischen Hemmstoffen. Im Mittelpunkt dieser Ansätze stand dabei bislang der vaskuläre Wachstumsfaktor VEGF. Dieser kann allerdings nur sehr niedrig dosiert werden, da auch das restliche Gefäßsystem von diesem Wachstumsfaktor abhängig ist. Um eine Alternative zu finden, gingen die Wissenschaftler einen ungewöhnlichen Weg: sie suchten bei Nervenzellen nach einem für ihre Zwecke geeigneten Wachstumsfaktor.

„Es war schon länger bekannt, dass das Wachstum von Nervenbahnen und Blutgefäßen sehr ähnlich reguliert wird“, erklärt Andreas Fischer vom Deutschen Krebsforschungszentrum. „Sema3C kommt an den Nervenbahnen natürlich vor, kann aber auch an neu gebildete Blutgefäße binden. Wir haben damit einen spezifischen Faktor gefunden, der selektiv nur neu gebildete, noch unreife Gefäßzellen am Wachsen hindert.“ Sema3C bindet an Rezeptoren auf der Oberfläche der unreifen Gefäßzellen und vermittelt ihnen ein wachstumshemmendes Signal. Die zwei Rezeptoren, an die Sema3C bindet, befinden sich in der Netzhaut also nur auf unreifen Gefäßen, die bei der Retinopathie neu entstehen, nicht jedoch auf den bereits etablierten Gefäßen. Aus diesem Grund könnte Sema3C zielgerichtet das Wachstum genau der krankheitsrelevanten Blutgefäße hemmen. Die Forscher konnten bereits künstlich erzeugte Retinopathien bei Mäusen erfolgreich mit Sema3C behandeln.

„Das Wachstum von Blutgefäßen konnten wir in der Zellkulturschale nachbilden und isoliert betrachten“, erläutert Andreas Fischer, ein weiteres Mitglied des Forscherteams. „Dazu haben wir eine neuartige Hydrogel-Matrix verwendet, in der die Gefäßzellen unter gewebsähnlichen Bedingungen wachsen können.“ Diese Matrix versetzt die Gefäßzellen in eine Ruhephase, wie sie auch im Körper der Normalzustand ist. Dadurch konnten die Forscher testen, wie Sema3C auf menschliche Zellen wirkt, bevor sie das Molekül Mäusen verabreichten. Derzeit vergleichen die Wissenschaftler, ob Sema3C tatsächlich besser wirkt als die herkömmliche Hemmstofftherapie.

Eventuell eignet sich Sema3C auch dazu, weitere Krankheiten zu behandeln. An der Makuladegeneration erkranken vor allem ältere Menschen. Auch hier spielen unkontrolliert sprießende Blutgefäße aus der Netzhaut eine wichtige Rolle. Israelische Wissenschaftler fanden zudem vor Kurzem heraus, dass Sema3C in Tumoren die Bildung von Lymphgefäßen unterdrücken kann. Lymph- und Blutgefäße versorgen Tumoren mit Nährstoffen, weshalb Tumoren deren Wachstum anregen. Zwar existieren bereits Therapien mit dem Ziel, die Tumoren von der Anbindung an die Gefäße abzuschneiden, doch wirken diese auch auf die ruhenden Gefäßzellen und schädigen sie. Sema3C könnte dagegen selektiver eingreifen und dem Tumor dennoch die Wachstumsgrundlage entziehen.

Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), 23.07.2015

 

Originalpublikation:

Wan‐Jen Yang, Junhao Hu, Akiyoshi Uemura, Fabian Tetzlaff, Hellmut G Augustin, Andreas Fischer: Semaphorin‐3C signals through Neuropilin‐1 and PlexinD1 receptors to inhibit pathological angiogenesis. EMBO Molecular Medicine 2015, DOI 10.15252/emmm.201404922

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