Wie sich Pflanzen Vorteile gegenüber ihren Nachbarn verschaffen

DE: “Manche Pflanzen greifen ihre Nachbarn an, um sich Wachstumsvorteile zu verschaffen. Dazu geben sie über ihre Wurzeln chemische Stoffe ab, z.B. DIBOA, die im Boden umgewandelt werden können. Toxine, die dabei entstehen, in diesem Beispiel dargestellt durch APO, dringen in die Wurzeln von Nachbarpflanzen ein und hindern diese am Wachstum. Manche dieser pflanzlichen Giftstoffe sind aber auch für die medizinische Forschung interessant und werden derzeit auf ihre Wirksamkeit in der Krebstherapie untersucht.”

Manche Pflanzen greifen ihre Nachbarn an, um sich Wachstumsvorteile zu verschaffen. Dazu geben sie über ihre Wurzeln chemische Stoffe ab, z.B. DIBOA, die im Boden umgewandelt werden können. Toxine, die dabei entstehen, in diesem Beispiel dargestellt durch APO, dringen in die Wurzeln von Nachbarpflanzen ein und hindern diese am Wachstum. Manche dieser pflanzlichen Giftstoffe sind aber auch für die medizinische Forschung interessant und werden derzeit auf ihre Wirksamkeit in der Krebstherapie untersucht. © MPI f. Entwicklungsbiologie/ C. Becker, S. Petersen und Uniklinikum Tübingen/M. Burkard

Der Konkurrenzkampf zwischen Pflanzen ist subtil und höchst komplex. Mit Hilfe von selbst produzierten chemischen Stoffen versuchen Pflanzen, sich ihren Platz an der Sonne zu sichern und gegen ihre Nachbarn zu verteidigen. Wie diese Chemikalien wirken, ist bisher wenig erforscht. Ein internationales Forscherteam hat nun entschlüsselt, wie einige dieser Stoffe gezielt die Struktur des Erbguts konkurrierender Pflanzen verändern und so deren Wachstum stoppen.

Pflanzen müssen ständig mit ihren Nachbarn um die begrenzten Ressourcen Licht, Wasser und Nährstoffe kämpfen. Nur wer sich im täglichen Wettbewerb behaupten kann, überlebt und kann somit Nachkommen produzieren. Doch der Gewinner muss darüber hinaus auch das eroberte Revier gegen anderen Konkurrenten verteidigen. Die bewegungsunfähigen Pflanzen nutzen dafür Allelochemikalien, chemische Stoffe, die Wachstum und Entwicklung anderer Pflanzen hemmen. Das Prinzip dieser sogenannten Allelopathie ist schon lange bekannt und ein weit verbreiteter Mechanismus zur Unterdrückung von Konkurrenten.

Oftmals werden die Stoffe von den Pflanzen über Wurzelsäfte ins Erdreich abgegeben, zerfallen dort zu Abbauprodukten oder werden von Mikroben chemisch modifiziert. Nachbarpflanzen nehmen dann diese veränderten Stoffe passiv mit dem Wasser aus der Erde auf und werden so in ihrem Wachstum gehemmt. Es wurden bereits zahlreiche solcher Allelochemikalien identifiziert. Bisher war jedoch nicht klar, wie sie in den Zellen der Zielpflanze wirken. Das internationale Forscherteam bringt jetzt Licht in die chemische Konkurrenzabwehr der Pflanzen. „Obwohl das Phänomen schon seit Jahrzehnten bekannt ist, konnten wir jetzt zum ersten Mal einen molekularen Mechanismus für dieses chemische „Territorialverhalten“ von Pflanzen zeigen“, erklärt Claude Becker vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie, einer der Leiter der Studie.

Die Forscher beschäftigten sich mit einer bestimmten Klasse von Allelochemikalien, den zyklischen Hydroxaminsäuren DIBOA und DIMBOA, die zum Beispiel von einigen Gräsern über die Wurzel abgegeben werden und deren Abbauprodukte für ihre hohe Giftigkeit für Nachbarpflanzen bekannt sind. Mittels biochemischer und struktureller Analysen, gefolgt von physiologischen Versuchen, zeigten die Forscher, dass die Stoffe grundlegende Zellprozesse direkt beeinflussen, indem sie die Aktivität von Zielgenen verändern. Dazu hemmen die pflanzlichen Toxine die Aktivität sogenannter Histon-Deacetylasen. Diese Enzyme binden an Histone, welche zusammen mit der DNA die Erbsubstanz bilden, und entfernen Acetyl-Seitenketten. Dies führt zu einer Verdichtung der DNA, was eine geringere Gen-Aktivität zur Folge hat.

In der Modellpflanze Acker-Schmalwand (Arabidopsis thaliana) führte die Hemmung der Histon-Deacetylasen durch die pflanzlichen Toxine indirekt zu erhöhter Histon-Acetylierung, dadurch zu einer verstärkten Genexpression, und schließlich zur Beeinträchtigung des Wachstums. Damit zeigt die Studie nicht nur einen ersten molekularen Mechanismus für die Aktivität allelopathischer Stoffe, sondern veranschaulicht auch, wie Genexpression direkt durch umweltverursachte Chromatin-Veränderungen beeinflusst werden kann.

Allelochemikalien sind nicht nur für natürliche und landwirtschaftliche Pflanzengemeinschaften von Bedeutung. Auch bei der Kolonisierung neuer Lebensräume durch invasive Pflanzenarten spielen sie vermutlich eine entscheidende Rolle. Doch damit nicht genug: „Naturstoffe allgemein haben eine große Bedeutung, insbesondere in der Therapie menschlicher Erkrankungen“, so Sascha Venturelli vom Universitätsklinikum Tübingen, Erstautor der Studie und einer der beteiligten Mediziner. “Die von uns untersuchten Substanzen“, erläutert er, „zeigen eine starke krebshemmende Wirkung, die derzeit weiter im Detail erforscht wird“. Erste Wirkstoffe, die Histon-Deacetylasen hemmen, sind bereits als Krebsmedikamente zugelassen. Deshalb wird diese Wirkstoffklasse aktuell auch am Universitätsklinikum Tübingen im Rahmen klinischer Studien auf ihre Wirksamkeit bei Krebspatienten untersucht.

Max-Planck-Gesellschaft, 5. November 2015

 

Originalpublikation:

Venturelli et al. Plants release precursors of histone deacetylase inhibitor to suppress growth of competitors.
Advance Publication, The Plant Cell, November 2015 doi: 10.​1105/​tpc.​15.​00585

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