Netzwerk macht Hirntumoren therapieresistent

3D-Darstellung eines Glioblastoms: Vernetzte Krebszellen (blau) sind über lange Membranfortsätze (pink) miteinander verbunden. Unvernetzte Tumorzellen sind dunkelgrau, Membranfortsätze, die keine Zellen verbinden, hellgrau dargestellt. © Nature

3D-Darstellung eines Glioblastoms: Vernetzte Krebszellen (blau) sind über lange Membranfortsätze (pink) miteinander verbunden. Unvernetzte Tumorzellen sind dunkelgrau, Membranfortsätze, die keine Zellen verbinden, hellgrau dargestellt. © Nature

Glioblastome sind die bösartigsten Hirntumoren. Wissenschaftler haben nun entdeckt, dass die Glioblastomzellen durch lange Zellfortsätze miteinander verbunden sind. Sie kommunizieren über diese Verschaltungen und schützen sich so vor den Folgen einer Therapie. Blockierten die Forscher die Ausbildung dieses Netzwerkes, so wuchsen die Krebszellen weniger invasiv in das Gehirn ein und sprachen besser auf eine Strahlentherapie an.

Hirntumoren aus der Gruppe der unheilbaren Astrozytome, zu denen auch die besonders bösartigen Glioblastome zählen, wachsen wie ein Pilzmyzel in das gesunde Gehirn ein. Daher können sie durch eine Operation nicht vollständig entfernt werden und wachsen trotz intensiver Therapie weiter. Offenbar verfügen sie über wirksame Resistenzmechanismen.

Wissenschaftler um Frank Winkler von der Neurologischen Universitätsklinik Heidelberg und vom Deutschen Krebsforschungszentrum entdeckten nun eine verblüffende Eigenschaft der Astrozytomzellen: Sie bilden extrem dünne und lange Fortsätze ihrer Zellmembran aus, mit denen sie gesunde Gehirnareale durchdringen, sie ständig abtasten, und schließlich kolonisieren.

Im Laufe ihres Wachstums verbinden sich die Krebszellen über diese Fortsätze zu einem großen Netzwerk. Innerhalb dieses Netzwerkes kommunizieren sie so intensiv über lange Distanzen, dass man Astrozytome als hochkomplexe, organähnliche Strukturen verstehen kann. „Unser erster Gedanke war: das sieht ja aus wie die Neubildung eines Gehirns im bestehenden Gehirn“, berichtet Frank Winkler. „Die Tumorzellen waren stark untereinander vernetzt, so wie wir das von Nervenzellen im Gehirn kennen.“

Die Forscher beobachteten über ein Jahr lang das Wachstum menschlicher Glioblastome, die sie auf Mäuse übertragen hatten. Sie nutzten dazu eine spezielle Mikroskopietechnik, die Einblicke in tiefe Zonen des Gehirns ermöglicht. So fanden sie heraus, dass die Tumorzellen über ihre Membranschläuche Moleküle austauschen und diese zudem als Kommunikationskanäle nutzen.

Vergleichbare Netzwerk aus Membranfortsätzen identifizierten die Forscher auch im Gewebe von Hirntumor-Patienten. Dabei zeigte sich: Je vernetzter die Krebszellen waren, desto bösartiger und resistenter war der Hirntumor.

Die Wissenschaftler nahmen daher an, dass die Netzwerke aus Membranfortsätzen mit der Therapieresistenz in Zusammenhang stehen könnten. Tatsächlich erkennen die Tumoren rasch eine Schädigung des Netzwerks und reparieren diese umgehend. Eine Bestrahlung – die Standardtherapie beim Glioblastom – überleben vor allem solche Tumorzellen, die Teil dieses Netzwerkes sind, unvernetzte Krebszellen sterben dagegen ab.

Doch wie gelingt es den Tumorzellen diese ungewöhnlichen Membranfortsätze auszubilden? Einen Hinweis darauf ergab die Analyse der Genaktivitäten von 250 Gewebeproben, die von Hirntumorpatienten stammten. Die Krebszellen reaktivieren für ihre Vernetzung bestimmte molekulare Signalwege, die normalerweise nur bei der frühen Entwicklung des Nervensystems aktiv sind. Nach einer experimentellen Blockade dieser Signalwege entwickelten die Mäuse weniger vernetzte, kleinere Tumoren, die sehr gut auf eine Strahlentherapie ansprachen.

„Die Resistenz der Astrozytome, insbesondere der Glioblastome, gegen alle Therapieformen ist ein enormes Problem. Unsere Ergebnisse zeigen uns erstmals einen lang gesuchten neuen Ansatz auf, diese Resistenz zu brechen, um die Tumoren zukünftig möglicherweise besser behandeln zu können. Zudem zeigen die Ergebnisse, warum eine molekular definierte Subgruppe von Hirntumoren deutlich stärker von der Therapie profitiert. Bei ihnen scheint die Möglichkeit zur Netzwerkbildung begrenzt zu sein“, sagt Wolfgang Wick.

Matthias Osswald ergänzt: „Auch wenn wir mit dieser Entdeckung unseren Hirntumorpatienten noch nicht unmittelbar helfen können, wissen wir doch zumindest, in welche Richtung künftige Therapien entwickelt werden sollten: Wir müssen das bösartige Netzwerk zerstören.“

Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), 09.11.2015

 

Originalpublikation:

Matthias Osswald, Erik Jung, Felix Sahm, Gergely Solecki, Varun Venkataramani, Jonas Blaes, Sophie Weil, Heinz Horstmann, Benedikt Wiestler, Mustafa Syed, Lulu Huang, Miriam Ratliff, Kianush Karimian Jazi, Felix T. Kurz, Torsten Schmenger, Dieter Lemke, Miriam Gömmel, Martin Pauli, Yunxiang Liao, Peter Häring, Stefan Pusch, Verena Herl, Christian Steinhäuser, Damir Krunic, Mostafa Jarahian, Hrvoje Miletic, Anna S. Berghoff, Oliver Griesbeck, Georgios Kalamakis, Olga Garaschuk, Matthias Preusser, Samuel Weiss, Haikun Liu, Sabine Heiland, Michael Platten, Peter E. Huber, Thomas Kuner, Andreas von Deimling, Wolfgang Wick und Frank Winkler: Brain tumor cells interconnect to a functional and resistant network. Nature 2015, DOI:10.1038/nature16071

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