Mit einer verlangsamten inneren Uhr fit für gemäßigte Breiten

Domestizierung verlangsamt die innere Uhr der Tomate. Die Blätter von Tomatenkeimlingen zeigen rhythmische Bewegungen unter konstanten Umweltbedingungen. Diese Bewegungen werden von der zirkadianen Uhr gesteuert. Die zirkadianen Blattbewegungen der kultivierten Tomatenvarietäten (rot) sind deutlich langsamer als die Bewegungen der wilden Vorfahren (orange). © Niels Müller

Domestizierung verlangsamt die innere Uhr der Tomate. Die Blätter von Tomatenkeimlingen zeigen rhythmische Bewegungen unter konstanten Umweltbedingungen. Diese Bewegungen werden von der zirkadianen Uhr gesteuert. Die zirkadianen Blattbewegungen der kultivierten Tomatenvarietäten (rot) sind deutlich langsamer als die Bewegungen der wilden Vorfahren (orange).
© Niels Müller

Alle Lebewesen, vom Bakterium bis hin zum Menschen, folgen endogenen, von der inneren Uhr gesteuerten Rhythmen. Sie spielen eine wichtige Rolle bei der Synchronisierung von Organismen mit ihrer Umwelt. Wie Forscher nun zeigen konnten, verlangsamte sich im Laufe der Domestizierung die innere Uhr der Tomate. Wildtomaten sind noch heute optimal an die Tageslängen der Äquatorialregion Südamerikas angepasst. Mit der Kultivierung in gemäßigten Breiten passten sich ihre domestizierten Verwandten vermutlich an die langen Sommertage in diesen Regionen an.

Die innere Uhr dient dazu alle wesentlichen inneren Prozesse eines Organismus an den Tag-Nacht-Rhythmus seiner Umgebung anzupassen. Jeder, der schon einmal in eine andere Zeitzone gereist ist, kennt das Phänomen, wenn die innere Uhr nicht synchron mit der Umwelt läuft – dann leiden wir unter Jetlag. Wissenschaftler vom Kölner Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung konnten nun zeigen, dass Anpassung des zirkadianen Rhythmus während der Tomatendomestizierung eine wichtige Rolle gespielt hat.

Die Domestizierung der Tomate begann in Ecuador, wo auch heute noch eine Vielzahl unterschiedlicher wilder Tomatenarten im Gebiet der Anden vorkommt. Sie wachsen häufig in extremen Lebensräumen bis über 3000 m Meereshöhe und unterscheiden sich erheblich von den kultivierten Pflanzen. Diese wilden Arten können alle mit der kultivierten Art gekreuzt werden, was sie zu einer wertvollen Quelle positiver Eigenschaften – wie beispielsweise Schädlingsresistenzen – für die Tomatenzüchtung macht. Zusätzlich können bei den wilden Arten jedoch auch Eigenschaften untersucht werden, die bei der Domestizierung eine wichtige Rolle gespielt haben.

Durch den Vergleich der zirkadianen Rhythmen von 34 Kultursorten und 68 wilden Varianten konnten die Forscher um José M. Jiménez-Gómez und Niels A. Müller vom Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung zeigen, dass die innere Uhr der kultivierten Tomaten langsamer läuft als die ihrer wilden Verwandten. „Während der Domestizierung müssen Genvarianten entstanden sein, welche für diesen veränderten Rhythmus verantwortlich sind“, erklärt Jiménez-Gómez. Durch genetische Analysen konnten die Forscher zeigen, dass die Verlangsamung der zirkadianen Uhr durch Mutationen in nur zwei Genen erreicht wurde. Eines dieser Gene heißt EID1 und spielt eine Rolle bei der Signalübertragung von Licht. Der Austausch nur einer einzigen Aminosäure führt zu einer Verlangsamung der inneren Uhr.

Durch vergleichende Genomanalyse entdeckten die Forscher darüber hinaus, dass die Region um EID1 Anzeichen positiver Selektion aufweist. „Dies deutet darauf hin, dass der verzögerte Rhythmus vom Menschen selektiert wurde und für die kultivierte Art von Nutzen ist“ erklärt Jiménez-Gómez. „Wir denken, dass die verlangsamte innere Uhr eine Anpassung an die langen Sommertage der temperierten Breiten darstellt, in welche die aus der äquatorialen Region Südamerikas stammende Pflanze während der Domestizierung gebracht wurde.“ Da die kultivierte Tomate von Ecuador nach Mittelamerika und schließlich bis nach Europa verbreitet wurde, war sie im Verlauf der Domestizierung einem stark veränderten Tag-Nacht-Rhythmus ausgesetzt. So sind beispielsweise die Tage in Neapel im Sommer mehr als drei Stunden länger als in Ecuador.

Die Tomate ist jedoch nicht die einzige Pflanze, die im Laufe ihrer Kultivierung mit einem veränderten Tag-Nacht-Rhythmus konfrontiert war. Viele Nutz- und Kulturpflanzen wurden durch den Menschen über weite Gebiete verbreitet. Gut möglich, dass auch sie ihre innere Uhr im Zuge der Migrationen angepasst haben. Eine genauere Untersuchung der inneren Rhythmik verschiedener Nutz- und Kulturpflanzen könnte neue Ansatzpunkte für deren Verbesserung bieten. So könnten Pflanzen effektiv optimiert, deren innere Uhr noch nicht richtig an die Tageslängen der Breite angepasst sind, in der sie kultiviert werden.

Max-Planck-Gesellschaft, 20. November 2015

 

Originalpublikation:

Niels A Müller, Cris L Wijnen, Arunkumar Srinivasan, Malgorzata Ryngajllo, Itai Ofner, Tao Lin, Aashish Ranjan, Donnelly West, Julin N Maloof, Neelima R Sinha, Sanwen Huang, Dani Zamir & José M Jiménez-Gómez. Domestication selected for deceleration of the circadian clock in cultivated tomato. Nature Genetics (2015) doi:10.1038/ng.3447 Published online 16 November 2015. doi:10.1038/ng.3447

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