Verständnis von Grammatik ist wahrscheinlich doch angeboren

Allegorische Darstellung der Grammatik, ihre Disziplinen als Armeen. Aus Antoine Furetières Nouvelle Allegorique, Ou Histoire Des Derniers Troubles Arrivez Au Royaume D’Eloquence (1659). © public domain.

Allegorische Darstellung der Grammatik, ihre Disziplinen als Armeen. Aus Antoine Furetières Nouvelle Allegorique, Ou Histoire Des Derniers Troubles Arrivez Au Royaume D’Eloquence (1659). © public domain.

Bereits in den 1950er Jahren stellte der Linguist Noam Chomsky die These auf, jeder Mensch werde mit einem angeborenen Verständnis für Grammatik geboren. Lange war diese Vorstellung unter Wissenschaftlern umstritten. Doch nun konnten Forscher mit modernster Technik nachweisen, dass sie doch zutrifft.

Noam Chomsky vertrat bereits in den 1950er Jahren die Meinung, uns Mensch sei die Fähigkeit angeboren, Sprache zu verstehen und erlernen. Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik und der New York University ist es nun gelungen einen Aspekt dieser Theorie zu belegen. Mit Hilfe ausgeklügelter Tests wiesen sie nach, wie wir Menschen eine abstrakte, hierarchische Struktur verstehen. Demzufolge scheinen wir In unserem Gehirn über einen Mechanismus zu verfügen, der die grammatikalischen Bausteine eines Satzes hierarchisch strukturiert. Er kommt auch dann zum Einsatz, wenn der Inhalt keinen Sinn ergibt.

„Eine zentrale Aussage von Chomsky ist, dass wir über angeborene grammatikalische Prinzipien verfügen, die unserer Sprachverarbeitung zugrunde liegen“, erklärt David Poeppel. „Unsere neurophysiologischen Befunde unterstützen diese Theorie: Wir verstehen den Sinn von aneinandergereihten Wörtern, weil unser Gehirn diese einzelnen Bestandteile kombiniert und dann hierarchisch sortiert. Dieser Prozess zeigt, dass wir über eine Art inneren Grammatik-Mechanismus verfügen.“

Alte Hypothese mit moderner Technik überprüft

Die Studie baut auf Chomskys Arbeit „Syntactic Structures“ von 1957 auf. Danach nehmen wir Sätze wie „Farblose grüne Ideen schlafen wütend“ als sinnlos, aber grammatikalisch richtig wahr. Das gelingt uns nur, weil unser Gehirn über eine abstrakte Wissensgrundlage verfügt. Sie macht eine solche Unterscheidung erst möglich. Denn alleine aufgund unserer Erfahrung können wir keine statistische Beziehung zwischen den Wörtern herzustellen.

Die meisten Neurowissenschaftler und Psychologen widersprechen dieser Vorstellung. Sie sind davon überzeugt, dass unser Sprachverständnis nicht auf einer „inneren Grammatik“ beruht. Stattdessen nehmen sie an, dass unser Sprachverstehen auf einer statistischen Berechnung von Wörtern und Lautreizen beruht, deren Struktur wir im Laufe unseres Lebens erlernt haben. Wogegen viele Linguisten der Meinung sind, hierarchische Strukturen zu bilden sei eine zentrale Eigenschaft der Sprachverarbeitung.

Um die Frage zu klären, welche Theorie richtig ist, führten die Wissenschaftler eine Reihe von Experimenten durch: Dazu spielten sie Studienteilnehmern Sätze auf Englisch und Mandarin vor, bei denen die hierarchische Struktur zwischen Wörtern, Phrasen und Sätzen nicht durch ein Anheben oder Senken der Stimme angezeigt wurde. Darüber hinaus wurden die Sätze mit gleichmäßigen Zeitabständen zwischen den Wörtern vorgetragen. Die Studienteilnehmer hörten sowohl vorhersagbare Sätze, wie z.B. „New York schläft nie“ oder „Kaffee hält mich wach“, als auch wenig vorhersagbare Sätze („Pinkfarbene Spielsachen verletzten Mädchen“) oder Wortaufzählungen („Eier Gelee pink wach“) und eine Vielzahl von anderen manipulierten Sequenzen. Während der Experimente wurde die Gehirnaktivität der Studienteilnehmer mit Hilfe von Magnetoenzephalographie (MEG) beobachtet. Mit ihr können kleinste magnetische Felder erfasst werden. Zudem wurde eine Elektrokortikographie (ECoG) durchgeführt, ein klinisches Verfahren zur Überwachung der Gehirnaktivität von Neurochirurgiepatienten.

Durch diesen Versuchsaufbau konnten die Wissenschaftler genau untersuchen, wie unser Gehirn verschiedene Arten von linguistischen Abstraktionen, wie Wortsequenzen („wütend grün schlafen farblos“), Phrasen („wütend schlafen“, „grüne Ideen“) oder Sätze („Farblose grüne Ideen schlafen wütend.“) identifiziert und verarbeitet. Das gelingt selbst dann, wenn alle anderen Sprachmerkmale, wie die Betonung und statistischen Wortinformationen weggelassen werden. Laut Meinung der Gegenhypothese sollten wir Sprache ohne diese zusätzlichen Elemente jedoch gar nicht als solche erkennen können.

Unser Gehirn unterscheidet drei Einheiten

Laut den Forschern unterschiedet unser Gehirn drei verschiedene Komponenten der gehörten Sätze klar voneinander. Dabei spiegelt es die Hierarchie in der neuronalen Verarbeitung von linguistischen Strukturen wider: Wörter, Phrasen und Sätze. Die Rhythmen in unserem Gehirn, die sogenannten neuronale Oszillationen, die diesen Prozessen des Sprachverstehens zugrunde liegen, sind an die Dauer der jeweiligen Sprachstruktur angepasst: schnellere Rhythmen verfolgen Worte und langsamere Sätze.

„Weil wir uns sehr bemüht haben, in den Experimenten Bedingungen zu schaffen, bei denen statistische Einflüsse oder Lauteinflüsse keine Rolle für die Verarbeitung spielen, zeigen unsere Ergebnisse, dass wir tatsächlich die Grammatik in unseren Köpfen nutzen“, erklärt Poeppel. „Unser Gehirn zielt zunächst auf Worte ab, bevor es dann versucht, Phrasen oder Sätze zu verstehen. Das zeigt, dass wir bei der Verarbeitung von Sprache auf der Grundlage von Grammatik aufbauen.“

Mit dieser Schlussfolgerung hat das Team eine alte Diskussion neu entfacht. Die Annahme einer abstrakten, hierarchischen und grammatikbasierten Strukturbildung war von der Forschung eigentlich längst verworfen worden.

Max-Planck-Gesellschaft, 7. Dezember 2015

 

Originalpublikation:

Ding, N., Melloni, L., Zhang, H., Tian, X., & Poeppel, D.
Cortical Tracking of Hierarchical Linguistic Structures in Connected Speech. Nature Neuroscience. doi:10.1038/nn.4186

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