Wie sich unser Sprachverständnis entwickelt

Mithilfe der Attrappe eines Hirnscanners bereitet sich eine junge Probandin auf ein Experiment vor. Michael Skeide trainiert vorab mit dem Mädchen im Kindersprachlabor, damit bei der echten Messung alles glatt geht. © MPI f. Kognitions- und Neuroswissenschaften

Mithilfe der Attrappe eines Hirnscanners bereitet sich eine junge Probandin auf ein Experiment vor. Michael Skeide trainiert vorab mit dem Mädchen im Kindersprachlabor, damit bei der echten Messung alles glatt geht.
© MPI f. Kognitions- und Neuroswissenschaften

Unsere Sprachwahrnehmung beginnt bereits im Mutterleib.  Noch vor ihrer Geburt können Babys dort einzelne Laute verstehen. Nach der Geburt durchläuft unser Sprache unterschiedliche Entwicklungsstadien: Während sich ein Verständnis einfacher Sätze mit rasanter Geschwindigkeit bereits in den ersten drei Lebensjahren ausbildet, erfassen wir den Inhalt komplexer Satzkonstruktionen erst nach Ausreifen unseren Gehirns im Erwachsenenalter. Wie dieser Weg aussieht, haben Forscher nun erstmals in einem umfassenden Modell entschlüsselt. Grundlage hierfür war ein Trick, der einen Blick in das Gehirn Dreijähriger erlaubt, während sie Sprache lauschten.

Zwar können wir bereits als Neugeborene einzelne Silben wie „ma“ und „pa“ akustisch voneinander unterscheiden und als Dreijährige mühelos einfache Sätze verstehen. Doch es dauert bis ins Erwachsenenalter, bis wir komplizierte Formulierungen ohne Probleme begreifen können, obwohl auch diese nur aus einfachen Wörtern zusammengesetzt sind.

Neurowissenschaftler um Angela D. Friederici am Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften haben nun eine Erklärung für dieses Phänomen gefunden: Für ein ausgereiftes Sprachverständnis müssen die für die Verarbeitung von Sprache zuständigen Hirnareale sich erst richtig entwickeln und über eine Art Datenautobahn miteinander verbunden werden. Doch sowohl die einzelnen Hirnareale, als auch die Verbindung reifen unterschiedlich schnell heran. Auf der Basis dieser Erkenntnis entwickelten die Forscher ein umfassendes Modell, wie sich die einzelnen Hirnbereiche für die Sprachverarbeitung entwickeln – vom kleinkindlichen hin zum erwachsenen Gehirn.

Demnach ist insbesondere ein bestimmter Bereich des Großhirns von Anfang an an der Sprachverarbeitung beteiligt: der linke Schläfenlappen des Großhirns. Er erlaubt uns von Kindesbeinen an, in wenigen Millisekunden „Mama“ von „Papa“ zu unterscheiden. Auch aus wenigen Wörtern bestehende einfache Sätze können hier bereits verarbeitet werden. Bis etwa zum dritten Lebensjahr dient der Schläfenlappen damit als Epizentrum unserer Sprache.

Sprachverständnis im Broca-Areal

Erst danach gesellt sich langsam eine zweite zentrale Sprachregion als Teil des gesamten Sprachnetzwerkes dazu: das Broca-Areal im Stirnbereich unseres Großhirns. Hier wird vor allem komplexe sprachliche Information verarbeitet. Deutlich wird dieser Entwicklungsschritt beim Satzverstehen. Schon früh wird der Satz „Der Fuchs jagt den Igel“ problemlos verstanden. Fuchs jagt Igel, klar! Allerdings führt der Satz „Den Igel jagt der Fuchs“ zu Missverständnissen bei den Kleinen. Denn die einfache Wortfolge Igel-jagt-Fuchs interpretieren sie noch falsch, da sie die grammatische Bedeutung von „der“ und „den“ noch nicht voneinander unterscheiden können. Doch nur so kann identifiziert werden, wer sich gegenüber wem wie verhält. Von Erwachsenen werden beide Sätze in gleicher Geschwindigkeit erfasst und richtig interpretiert.

Mit zunehmendem Alter wird das Broca-Areal nicht nur stärker aktiviert, während wir Sätze verarbeiten, sondern auch mehr und mehr in das gesamte Sprachnetzwerk eingebunden. Entscheidend dafür ist ein Bündel aus Nervenfasern, das die Verbindungsbahn zwischen diesen beiden Sprachzentren, dem linken Schläfenlappen und dem Broca-Areal, bildet: der Fasciculus arcuatus. Erst wenn dieses Bündel von Nervenfasern vollkommen ausgereift ist, können kompliziertere Formulierungen genauso gut und schnell erfasst werden, wie einfache. Das dauert meist bis zum Ende der Pubertät. Denn ähnlich wie der Kupferdraht eines Stromkabels mit Kunststoff umhüllt ist, bildet sich im Laufe der Entwicklung um jede Nervenfaser eine dicke Myelinschicht. Sie garantiert das die elektrischen Signale mit möglichst wenigen Verlusten in hoher Geschwindigkeit übertragen werden. „Wir konnten erstmals zeigen, dass schwierige Sätze umso besser verarbeitet werden, je weiter entwickelt diese Faserverbindung, der Fasciculus arcuatus ist“, so Michael Skeide, der an der Entwicklung des Modells maßgeblich beteiligt war.

„Unsere Erkenntnisse zeigen umso eindringlicher, dass Sprache wesentlich mehr ist, als die Verarbeitung akustischer Signale. Vielmehr ist es die Fähigkeit, Wörter nach bestimmten Regeln zu kombinieren und Sätze mit bestimmten Bedeutungen zu assoziieren“, so die Sprachforscherin Friederici. Diese Fähigkeit entfalte sich erst im Erwachsenenalter vollends. Denn erst dann seien die notwendigen Hirnstrukturen vollständig ausgereift.

Blick ins Gehirn

„Unser Wissen, wie das Gehirn die Fähigkeit entwickelt, auch kompliziertere Sprache zu verarbeiten, war lange Zeit lückenhaft. Lange schien es unmöglich, in das Gehirn von Kleinkindern zu schauen, während es Sprache verarbeitet“, so Angela Friederici. Denn die Methode der Magnetresonanztomografie (MRT) galt für die Kleinen als nicht anwendbar  – da es ihnen schwer fällt, ihren Kopf während der Aufnahmen ruhig zu halten. Um dieses Problem zu lösen bedienten sich die Forscher eines Tricks: Sie übten das Stillhalten mit den Kindern spielerisch, während diese einen Trickfilm anschauten.

Max-Planck-Gesellschaft, 5. April 2016

 

Originalpublikation:

Skeide, Michael A. und Friederici, Angela D. The ontogeny of the cortical language network. Nature Reviews Neuroscience; April 2016. doi: 10.1038/nrn.2016.23

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