Dem Orient droht ein Klima-Exodus

Sandsturm im Senegal. © T.K. Naliaka. CC BY-SA 4.0.

Sandsturm im Senegal. © T.K. Naliaka. CC BY-SA 4.0.

Die Zahl der Klimaflüchtlinge könnte in Zukunft dramatisch ansteigen. Den Berechnungen von Forschern zufolge, könnte es im Nahen Osten und in Nordafrika so heiß werden, dass dort viele Gegenden für Menschen unbewohnbar werden. Das wäre selbst dann noch der Fall, wenn das Ziel, die Erderwärmung auf unter zwei Grad Celsius zu begrenzen, erreicht würde. Denn in den bereits heute sehr heißen Regionen des Orients wird die sommerliche Durchschnittstemperatur mindestens doppelt so schnell ansteigen wie in anderen Regionen der Erde. Demnach würden die Temperaturen südlich des Mittelmeers bereits ab Mitte des Jahrhunderts an besonders heißen Tagen etwa 46 Grad Celsius erreichen. Und auch die Zahl dieser Tage wird deutlich zunehmen: sie werden mehr als fünfmal so häufig auftreten, wie noch zur Jahrtausendwende. Verschärft durch eine steigende Luftverschmutzung mit Wüstenstaub, könnte der Klimawandel das Leben vieler Menschen dort so unerträglich machen, dass sie sich zur Flucht gezwungen sehen.

Über 500 Millionen Menschen leben im Nahen Osten und in Nordafrika – einer Region, die bereits jetzt vom Klimawandel stark betroffen ist. So hat sich dort die Zahl der extrem heißen Tage seit 1970 verdoppelt. „Das Klima in weiten Teilen des Orients könnte sich in den kommenden Jahrzehnten so verändern, dass es geradezu lebensfeindlich wird“, sagt Jos Lelieveld, Direktor am Max-Planck-Institut für Chemie und Professor am Cyprus Institute.

Sein Team hat jetzt detailliert ermittelt, wie sich die Temperaturen im Nahen Osten und in Nordafrika im 21. Jahrhundert entwickeln könnten. Mit einem erschreckenden Ergebnis: Selbst wenn sich die Erde im Vergleich zur vorindustriellen Zeit im Schnitt nur um zwei Grad Celsius erwärmt, steigt die Temperatur dort im Sommer um mehr als das Doppelte. In den wärmsten Zeiten werden die Thermometer schon Mitte des Jahrhunderts nachts nicht unter 30 Grad fallen und tagsüber auf 46 Grad Celsius ansteigen. Bis Ende des Jahrhunderts könnte die Mittagstemperatur während heißer Tage sogar bei 50 Grad Celsius liegen. Und auch die Hitzewellen können zehnmal häufiger auftreten.

Mitte des Jahrhunderts 80 statt 16 extrem heiße Tage

Zudem wird sich die Dauer der Hitzeperioden in den besonders betroffenen Regionen Nordafrikas und des Nahen Ostens dramatisch verlängern. War es in den Jahren von 1986 bis 2005 durchschnittlich 16 Tage lang sehr heiß, könnte es Mitte des Jahrhunderts bereits an über 80 Tagen und Ende des Jahrhunderts sogar an mehr als 118 Tagen ungewöhnlich heiß sein. Und das selbst wenn die Treibhausgas-Emissionen ab 2040 wieder sinken sollten. „Wenn die Menschheit weiter wie bisher Kohlendioxid freisetzt, müssen die Menschen im Nahen Osten und Nordafrika sogar mit etwa 200 ungewöhnlich heißen Tagen rechnen“, sagt Panos Hadjinicolaou, Professor am Cyprus Institute und Klima-Experte.

Laut den Forschern werden die Klimaveränderungen massive Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit der dort lebenden Menschen haben. „Der Klimawandel wird die Lebensumstände im Nahen Osten und in Nordafrika weiter deutlich verschlechtern. Langandauernde Hitzewellen und Sandstürme werden viele Gebiete unbewohnbar machen, was sicher zum Migrationsdruck beitragen wird“, sagt Jos Lelieveld.

Das Forscherteam hat kürzlich auch Ergebnisse zur steigenden Feinstaubbelastung im Nahen Osten veröffentlicht. Demnach ist diese seit Anfang des Jahrhunderts in Saudi-Arabien, im Irak und in Syrien um bis zu 70 Prozent angestiegen. Das geht vor allem auf das Konto vermehrter Sandstürme durch die zunehmende Dürre. Auch hier erwarten die Forscher bedingt durch den Klimawandel einen weiteren Anstieg, was die Lebensbedingungen in der Region zusätzlich erschwert.

Für ihre Berechnungen verglichen Lelieveld und sein Team zunächst Klimadaten der Jahre 1986 bis 2005 mit den Vorhersagen von 26 Klimamodellen für den gleichen Zeitraum. Da die Messdaten und die Prognosen sehr gut übereinstimmten, nutzten die Wissenschaftler die Modelle, um die Klimadaten für die Zeiträume 2046 bis 2065 und 2081 bis 2100 vorherzusagen.

Stärkster Temperaturanstieg im ohnehin heißen Sommer

Dabei legten sie ihren Rechnungen zwei Zukunftsszenarien zugrunde: Das erste Szenario, wissenschaftlich RCP4,5 genannt, geht davon aus, dass der weltweite Ausstoß von Treibhausgasen etwa um das Jahr 2040 wieder sinkt und die Erde bis zum Ende des Jahrhunderts einer Erwärmung von 4,5 Watt pro Quadratmeter ausgesetzt wird. Das RCP4,5-Szenario entspricht in etwa dem Zwei-Grad-Ziel, das auf den jüngsten UN-Klimakonferenzen beschlossen wurde, nach der die Erderwärmung auf unter zwei Grad Celsius begrenzt werden soll.

Im zweiten Fall (RCP8,5) gingen sie davon aus, dass die Treibhausgase weiter ansteigen wie bisher. Daher wird diese Annahme auch als Business-as-usual-Szenario bezeichnet. Laut dieser Berechnung würde sich die Erdoberfläche global durchschnittlich über vier Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit erwärmen.

In beiden Szenarien ist im Nahen Osten und in Nordafrika der stärkste Temperaturanstieg in den ohnehin heißen Sommermonaten zu erwarten und nicht, wie in den meisten anderen Regionen der Erde, im Winter. Ursache hierfür sind in erster Linie die Wüstengebiete, wie etwa die Sahara. Denn in der Wüste kann Wärme nur sehr schlecht gepuffert werden, da sich die heißen Luftmassen an der Oberfläche nicht durch eine Verdunstung von Bodenwasser abkühlen können. Hinzu kommt, dass über der Wüste bei der Verdunstung keine Energie des Sonnenlichts verbraucht wird, sondern dieses nur weitgehend in Wärme-Strahlung umgewandelt wird. Deshalb wirkt sich der durch Kohlendioxid und Wasserdampf hervorgerufene Treibhauseffekt dort überproportional stark aus.

Unabhängig davon, welches Szenario des Klimawandels eintreten wird: Lelieveld und Hadjinicolaou sind sich darüber einig, dass der Klimawandel zu einer deutlichen Verschlechterung der Lebensbedingungen für die Bewohner Nordafrikas und des Nahen Ostens führen wird, sodass viele Menschen diese Region früher oder später verlassen könnten.

Max-Planck-Gesellschaft, 29. April 2016

Originalpublikation:

Jos Lelieveld, Yiannis Proestos, Panos Hadjinicolaou, Meryem Tanarhte, Evangelos Tyrlis und Georgios Zittis. Strongly increasing heat extremes in the Middle East and North Africa (MENA) in the 21st century. Climatic Change, 23. April 2016; doi: 10.1007/s10584-016-1665-6

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