Wie unser Gehirn verschiedene Sinneswahrnehmungen integriert

Schiedsrichter. © Armin Kübelbeck, CC-BY-SA, Wikimedia Commons

Schiedsrichter. © Armin Kübelbeck, CC-BY-SA, Wikimedia Commons

Hat gerade der Schiedsrichter gepfiffen oder war es doch nur ein Störgeräusch aus dem Publikum? Diese wichtige Frage kann die Handballspielerin links im Bild am besten beantworten, wenn sie den Schiedsrichter nicht nur hört, sondern auch sieht. Doch wie ermittelt unser Gehirn aus den zahlreichen visuellen und akustischen Eindrücken, die in einem vollen Stadion auftreten, welche Reize zusammengehören? Forscher haben nun einen generellen Mechanismus entdeckt, der erklärt, wie es dem Gehirn gelingt, alle Sinneswahrnehmungen zu einem schlüssigen Gesamtbild zu integrieren.

Erst durch die Fähigkeit unseres Gehirns, Informationen aller Sinneskanäle zu einem sinnvollen Gesamteindruck zusammenzuführen, können wir unsere Umwelt richtig wahrnehmen. Dazu muss es aus der Fülle an Informationen, die über die verschiedenen Sinnesorgane angeliefert werden, diejenigen herausfischen und miteinander kombinieren, die zusammen gehören. Doch woher weiß unser Gehirn, welche Reize von der selben Quelle stammen? Dieser Frage gingen Cesare Parise und Marc Ernst von der Universität Bielefeld nach. Sie wollten wissen, wie unser Gehirn diese „Multisensorische Integration“ meistert, bei der es visuelle, akustische und weitere Sinnesreize miteinander verbindet.

Raketen, die in der Silvesternacht aufblitzen und Pfeifgeräusche von sich geben. Eine Person in einer Menschenmenge, die uns anspricht. Kein Problem für unser Gehirn herauszufinden, welche Geräusche zu welchen visuellen Eindrücken gehören. Doch wie unser Gehirn diese scheinbar einfache Aufgabe löst und nur die Bildeindrücke und Geräusche miteinander verknüpft, die auch tatsächlich zusammengehören, war bisher noch unklar. Dabei ist es für unser Gehirn alles andere als einfach, die zusammengehörenden Sinneseindrücke richtig zu kombinieren. Denn die verschiedenen Sinnesreize werden von unterschiedlichen Nervenbahnen verarbeitet.

Um das Rätsel zu lösen, wie das Gehirn diese Kombinationsaufgabe bewältigt, führten die beiden Forscher mit Freiwillige einen Wahrnehmungstest durch. Dazu wurden den Testpersonen kurze Abfolgen zufälliger Klickgeräusche und aufflackernder Lichtblitze auf einem Monitor präsentiert. Nach jeder Abfolge sollten sie angeben, ob Licht und Geräusch zusammengehörten oder falls dies nicht der Fall war, welches Signal zuerst aufgetreten war. Nach Auswertung der Versuchsergebnisse entdeckten die Forscher, dass die Probanden die Signale als zusammengehörig wahrnahmen, die zeitlich korrelierten, also einen ähnlichen zeitlichen Ablauf aufwiesen. „Das ist eine wichtige Erkenntnis, denn sie beweist nicht nur, dass das Gehirn die zeitliche Wechselwirkung zwischen Geräusch und Licht nutzt, um festzustellen, ob sie miteinander verbunden sind“, sagt Marc Ernst. „Sie führt auch zu der Frage: Wie stellt das Gehirn diese Beziehung zwischen den Sinnen fest?“

Um diese Frage zu beantworten, führten die beiden Forscher computergestützte Modellberechnungen und Simulationen durch. Dabei entdeckten sie einen grundlegenden neuronalen Mechanismus, der die menschliche Wahrnehmung nachahmt. Sie tauften ihn „Korrelationsdetektor für multisensorische Information“. Dieses „Suchgerät“ überwacht alle eingehenden Sinnesreize und überprüft sie etwa auf visuelle und akustische Signale mit vergleichbarem zeitlichen Muster. Da das Gehirn davon aus geht, dass diese Reize zusammen gehören kombiniert es sie zu einem Gesamteindruck.  Hören wir etwa im Verkehrslärm Schritte auf der Straße, dann erfasst unser Gehirn zunächst nur den zeitlichen Abstand zwischen dem Klacken der Schuhe. Doch sobald die Person in unserem Blickfeld erscheint, misst es, in welchem Tempo die Person ihre Füße bewegt. „Aus den ähnlichen zeitlichen Abläufen folgert das Gehirn, ob zwei Signale tatsächlich vom selben Ereignis stammen“, sagt Parise. „Verblüffenderweise gleicht dieser neu entdeckte Mechanismus den Bewegungsdetektoren im Gehirn von Insekten“, sagt der Experimentalpsychologe. „Hinzu kommt, dass er auch eine erstaunliche Verwandtschaft zu Mechanismen hat, die aus dem räumlichen Stereosehen oder dem räumlichen Stereohören bekannt sind – alles Wahrnehmungseigenschaften, bei der die Korrelation zwischen den einzelnen Signalen eine große Rolle spielt“

Mit weiteren Computersimulationen bewiesen die Forscher, dass der Mechanismus allgemeingültig ist. Er kann zahlreiche bereits veröffentlichte Daten und experimentelle Befunde zur multisensorischen Wahrnehmung von Verhaltensexperimenten beim Menschen erklären. „Tatsächlich kam der Detektor in der Simulation zu den gleichen Ergebnissen wie die Menschen im Verhaltensexperiment “, sagt Parise.

„Das Ergebnis unserer Studie stellt einen Meilenstein für das Verständnis der menschlichen Wahrnehmung dar“, sagt Parise. „Sie präsentiert zum ersten Mal einen allgemeingültigen Mechanismus, der die vielen unterschiedlichen Befunde aus früheren Studien erklärt, in denen es um die Verarbeitung von multisensorischen Reizen ging.“ Laut Parise lässt sich diese Erkenntnis für zahlreiche praktische Anwendungen nutzen. „Zum Beispiel ergeben sich neue klinische Untersuchungsansätze, um neurologische Störungen wie Autismus-Spektrum-Störungen oder Lese-Rechtschreibstörungen besser zu verstehen. Hinzu kommt, dass sich unser Modell leicht in die Technik und auf Roboter übertragen lässt“, sagt Parise.

Universität Bielefeld, 06.06.2016

Originalpublikation:

Cesare Parise, Marc Ernst: Correlation detection as a general mechanism for multisensory integration. Nature Communications, 6. Juni 2016. Doi: 10.1038/NCOMMS11543

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