Ein Botenstoff für neue Freundschaften

© Benjamin Gimmel. CC BY-SA 3.0.

© Benjamin Gimmel. CC BY-SA 3.0. Wikimedia Commons.

Unbekannte Menschen zu treffen kann sowohl herausfordernd, als auch bereichernd sein. Wie Forscher nun nachweisen konnten bestimmt ein Molekül bei Mäusen, das für die Regulation von Stress im Gehirn verantwortlich ist, ob sie dazu bereit sind, neue soziale Kontakte zu knüpfen oder ob sie lieber in der Sicherheit ihres bestehenden sozialen Umfelds bleiben.

Yair Shemesh vom Max Planck-Institut für Psychatrie und Oren Forkosh vom Weizman Institut in Israel haben bei Mäusen einen Stressmechanismus entdeckt, der als eine Art „sozialer Schalter“ fungiert: Er bringt die Tiere dazu, entweder die Beziehungen mit „Freunden“ und „Bekannten“ zu pflegen oder diese einzuschränken und stattdessen den Kontakt zu „Fremden“ aufzunehmen. Unser menschliches Gehirn verarbeiten Stress mit einem ähnlichen System. Deshalb dürften auch bei uns vergleichbare Mechanismus den Umgang mit sozialen Herausforderungen regulieren. Störungen dieses Mechanismus könnten für Probleme von Patienten mit Angststörungen, Autismus, Schizophrenie oder ähnlichen Erkrankungen verantwortlich sein.

„Die meisten unserer sozialen Kontakte bedeuten auch ein gewisses Maß an Stress, selbst wenn wir Menschen treffen, die wir gut kennen. Denken Sie nur an Familienfeste“, erläutert Shemesh. „Evolutionär betrachtet ist eine gewisse Zurückhaltung wichtig für erfolgreiches soziales Verhalten“, fährt der israelische Wissenschaftler fort. Chen, der die Studie leitete fügt hinzu: „In praktisch jedem sozialen Umfeld gibt es Interessenkonflikte. Das Individuum muss sich deshalb sozial adäquat verhalten und zwischen eigenen Interessen und den Erwartungen anderer abwägen.“

Um herauszufinden, wie Mäuse mit ihren Artgenossen interagieren, installierten die Forscher für ihre Studie zwei verschiedene Versuchsaufbauten. Im „sozialen Labyrinth“ konnten die Tiere wählen, ob sie durch einen Maschendraht Kontakt mit vertrauten oder fremden Mäusen aufnehmen oder ob sie jeglichen Kontakt meiden wollten. Im dem anderen Versuchsaufbau konnten sich die Mäuse frei in der Gruppe bewegen. Dabei wurde ihr Verhalten durch Videokameras mit einem eigens dafür programmierten Computerprogramm aufgezeichnet und analysiert. Dieser Versuchsaufbau ermöglichte es, die Mäuse der zweiten Gruppe über mehrere Tage bei verschiedenen sozialen Interaktion, wie Annäherung, Kontakt, Angriff oder Verfolgung zu beobachten.

Den Forschern zufolge bestimmt ein molekularer Mechanismus im Gehirn der Mäuse, der auch an der Stressregulation beteiligt ist, das Verhalten der Nager. Zu diesem System gehört auch das Signalmolekül Urocortin-3 und sein Rezeptor auf der Oberfläche von Nervenzellen. Beide sind Teile des Corticotropin-ausschüttenden Faktors, auch CRF-Systems genannt. Es spielt eine zentrale Rolle beim Umgang mit Stress und ist überwiegend in der mittleren Amygdala lokalisiert. Diese Gehirnregion steuert vermutlich das soziale Verhalten.

Mäuse mit einem hohen Urocortin-3-Spiegel im Blut suchten aktiv den Kontakt zu Artgenossen, die sie noch nicht kannten. Dabei ignorierten sie sogar ihre eigene Gruppe. Wurde die Aktivität von Urocortin-3 dagegen gehemmt, beschränkten sich die Nager fast ausschließlich auf Sozialkontakte innerhalb ihrer eigenen Gruppe und vermieden Kontakte zu unbekannten Tieren.

Der israelische Forscher Forkosh fasst zusammen: „In freier Wildbahn leben Mäuse in Gruppen. Ihr Verhalten innerhalb der Gruppe unterscheidet sich von ihrem Verhalten gegenüber Eindringlingen. Deshalb ist es sinnvoll, dass ein und derselbe Mechanismus im Gehirn Einfluss auf zwei verschiedene Arten sozialen Verhaltens nehmen kann. Dieser Mechanismus könnte bei Menschen auftreten, wenn sie zum Beispiel überlegen, bei den Eltern auszuziehen, sich scheiden zu lassen oder den Job beziehungsweise die Wohnung zu wechseln.“

Max-Planck-Gesellschaft, 18 Juli 2016

Originalpublikation:

Yair Shemesh et al. Ucn3 and CRF-R2 in the medial amygdala regulate complex social dynamics. Nature Neuroscience; 18 July, 2016. doi: 10.1038/nn.4346

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