Menschenaffen können sich in die falschen Annahmen anderer hineinversetzen

Bonobo Jasongo im Zoo Leipzig. © MPI f. evolutionäre Anthropologie

Bonobo Jasongo im Zoo Leipzig.
© MPI f. evolutionäre Anthropologie

Nicht selten entsprechen unserer Erwartungen nicht der Realität. Bisher glaubte man, allein wir Menschen könnten erkennen, wenn die Überzeugung eines Anderen nicht mit den realen Gegebenheiten übereinstimmen. Doch neue Beobachtungen von Schimpansen, Bonobos und Orang-Utans ergaben nun, dass auch unsere nächsten Verwandten nachvollziehen können, welche falschen Erwartungen ihr Gegenüber haben wird.

Auch wir Menschen müssen erst lernen die falschen Annahmen anderer zu erkennen. Kinder entwickeln diese Fähigkeit ab dem vierten bis fünften Lebensjahr. Nach diesem Entwicklungsschritt gelingt es Kindern immer besser die Gedanken und Emotionen anderer zu verstehen. Psychologen sprechen von einer Theory of Mind.

Diese Fähigkeit ist notwendig, um sich in anderen Menschen hineinzuversetzen und vorherzusehen, wie sie reagieren werden. Aber sie ermöglicht uns auch andere Menschen zu manipulieren und etwas vorzugeben, das nicht wahr ist. Sich nicht in andere einfühlen zu können ist dagegen ein frühes Symptom von Autismus. „Diese kognitive Fähigkeit liegt so vielen sozialen Fertigkeiten des Menschen zugrunde“, sagt Christopher Krupenye von der Duke University.

Schimpanse Lome im Zoo Leipzig. © MPI f. evolutionäre Anthropologie

Schimpanse Lome im Zoo Leipzig.
© MPI f. evolutionäre Anthropologie

Wissen, was andere denken

Doch auch Menschenaffen können Gedanken lesen. Sie verstehen erstaunlich gut, was andere wollen und können aufgrund dessen, was sie sehen und hören darauf schließen, was andere wissen. Doch bisher gelang es nicht zu zeigen, ob Menschenaffen verstehen, wenn ein anderer falsche Vorstellungen hat. Deshalb unternahm nun ein internationales Forscherteam eine neuen Versuch herauszufinden, ob Menschenaffen sich in die falschen Annahmen ihres Gegenüber hineindenken können. „Um Annahmen als falsch erkennen zu können, muss man verstehen, dass nicht alles auch wirklich der Realität entspricht, was in unseren Köpfen existiert“, erklärt Michael Tomasello vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und der Duke University. „Das bedeutet ein Verständnis dafür zu entwickeln, dass es eine mentale Welt gibt, die sich von der physikalischen Welt unterscheidet“, sagt Tomasello.

In der Studie wurden den Menschenaffen zwei kurze Videos vorgeführt. In dem einen beobachtet ein Mann, wie sich ein als King Kong Verkleideter in einem von zwei großen Heuhaufen versteckt. Anschließend verschwindet der Mann durch eine Tür, und King Kong schlüpft aus dem Heuhaufen und läuft unbeobachtet davon. In der letzten Szene kommt der Mann zurück, um nach King Kong zu suchen. Das zweite Video ist ähnlich, nur kommt der Mann diesmal zurück, um einen Stein zu finden, den King Kong seiner Überzeugung nach in einer von zwei Kisten versteckt hat. Doch King-Kong hatte sich hinter dem Rücken des Mannes mit dem Stein davon gemacht. „Wir haben mit den Menschenaffen quasi einen Kinotag veranstaltet. Das hat ihnen offenbar wirklich Spaß gemacht”, sagt Krupenye.

Orang-Utan Dokana im Zoo Leipzig. © MPI f. evolutionäre Anthropologie

Orang-Utan Dokana im Zoo Leipzig.
© MPI f. evolutionäre Anthropologie

Blickrichtung verrät Erwartungen

Um die Gedanken der Tiere zu lesen, zeichneten die Forscher mithilfe eines Eyetrackers mit Infrarotkamera die Blickrichtung der Tiere auf, während diese sich die Videos ansahen. Das Blickverhalten der Tiere ließ darauf schließen, dass sie sich in den suchenden Mann hinein versetzen konnten. Offenbar erwarteten sie, dass der Mann dort nachschauen würde, wo er beobachtet hatte, wie King Kong sich versteckte. Obwohl die Tiere vorher gesehen hatten, dass er sich dort nicht mehr aufhielt. Die Ergebnisse ähneln denen aus Studien mit Kindern im Alter von weniger als zwei Jahren und belegen, dass Menschenaffen die erste Hürde zum vollständigen Verständnis der Gedanken anderer genommen haben. „Dies ist das erste Mal, dass ein nichtmenschliches Tier eine Version des False Belief-Tests bestanden hat“, sagt Krupenye.

„Unsere Entdeckung ist für Entwicklungspsychologen auch der bisherige Höhepunkt der Eyetracking-Methode. In jahrelanger Kleinstarbeit haben wir die Methode verfeinert und angepasst, um herauszufinden, wie genau wir Menschenaffen für Eyetracking-Aufgaben interessieren und wie wir ihre Vorhersagen in Form von vorausschauenden Blicken interpretieren können“, sagt Fumihiro Kano.

Die Ergebnisse zeigen, dass nicht nur Menschen über eine Theory of Mind verfügen, sondern dass sie sich bereits vor mindestens 13 bis 18 Millionen Jahren im Stammbaum der Primaten entwickelt haben muss. „Wenn zukünftige Studien bestätigen können, dass Menschenaffen die Aufgabe lösen und dem Schauspieler eine falsche Annahme zuschreiben können, müssen Wissenschaftler neu überdenken, wie tiefgreifend Menschenaffen einander verstehen können”, sagt Krupenye.

Max-Planck-Gesellschaft, 06. Oktober 2016

Doch nicht nur Primaten, sondern auch Rabenvögel können sich in ihre Artgenossen hineinversetzen, wie neueste Versuche ergeben haben. (Anmerkung der Redaktion von Scimodo)-

Originalpublikation:

Christopher Krupenye, Fumihiro Kano, Satoshi Hirata, Josep Call, Michael Tomasello. Great apes anticipate that other individuals will act according to false beliefs. Science; 07 October, 2016. DOI: 10.1126/science.aaf8110

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