Rückenschmerzen: Weniger hilft meist mehr

Unser Rücken besteht nicht nur aus Wirbeln sondern vor allem auch aus zahlreichen Muskeln. Bei unserer meist sessilen (sitzenden) Lebensweise verkümmern diese Muskeln leicht, was sich in Rückenschmerzen äußert. Statt bei Rückenschmerzen zum Arzt zu gehen wäre es daher für die meisten Betroffenen sinnvoller, sich zu bewegen, um ihre Rückenmuskeln zu trainieren. © gemeinfrei Wikimedia Commons.

Unser Rücken besteht nicht nur aus Wirbeln sondern vor allem auch aus zahlreichen Muskeln. Bei unserer meist sessilen (sitzenden) Lebensweise verkümmern diese Muskeln leicht oder es kommt durch eine Fehlhaltung zu Verspannungen, was sich in Rückenschmerzen äußert. Statt bei Rückenschmerzen zum Arzt zu gehen wäre es daher für die meisten Betroffenen sinnvoller, sich zu bewegen, um ihre Rückenmuskeln zu trainieren. © gemeinfrei Wikimedia Commons.

Rückenschmerzen sind weit verbreitet. Jedes Jahr suchen zahlreiche Betroffene einen Arzt auf. Die meisten von ihnen hoffen durch bildgebende Verfahren einen Grund für ihr Leiden geliefert zu bekommen. Behandelnde Ärzte bedienen die Wünsche ihrer Patienten nur allzu gern. Denn nicht selten entdecken sie dabei vermeintliche Schäden, die weitere Untersuchungen nach sich ziehen. Schlecht für die Patienten, denn aufgrund der scheinbar eindeutigen Bilder entwickeln sie nicht selten chronische Beschwerden. Diese weit verbreitete Vorgehensweise steht jedoch ganz im Gegensatz zu den ärztlichen Leitlinien. Diese empfehlen zunächst eine konservative Behandlung und erst einmal abzuwarten, ob die Schmerzen nicht wieder verschwinden. Denn nur bei 15% der Patienten können Ärzte mit bildgebenden Verfahren tatsächlich eine Ursache für die Beschwerden identifizieren, wie die Bertelsmann Stiftung berichtet.

Jedes Jahr gehen 20% aller gesetzlich Versicherten mindestens einmal wegen Rückenschmerzen zum Arzt. 27% davon sogar vier Mal oder öfter. Dabei wären viele der 38 Millionen rückenschmerzbedingten Arztbesuche und die dabei erhobenen sechs Millionen Bildaufnahmen vermeidbar. Zu diesem Schluss kommt die Bertelsmann Stiftung in ihrer Studie Faktencheck.

Patienten wollen schnell Ergebnisse sehen

Jeder zweite Deutsche ist davon überzeugt, dass man bei Rückenschmerzen immer einen Arzt aufsuchen sollte. 60% erwarten, dass der behandelnde Arzt sofort ein bildgebendes Verfahren anwendet, um ihnen schnellstmöglich erklären zu können, wo die Ursache ihres Leidens liegt. Denn mehr als zwei von drei Patienten glauben, ein Arzt könne durch Röntgen-, Computertomografie (CT)- und Magnetresonanztomographie (MRT)-Aufnahmen die genaue Ursache ihrer Schmerzes lokalisieren. Doch das ist keineswegs der Fall: Mit diesen Verfahren können Ärzte gerade einmal bei 15 Prozent der Betroffenen die Ursache für den Schmerz feststellen. Folglich erlauben die meisten Bilder weder eine zuverlässigere Diagnose noch eine bessere Therapie.

Ärzte halten sich oft nicht an die wissenschaftlichen Empfehlungen

Hier sollten die Ärzte die falschen Erwartungen der Patienten korrigieren. Doch das erfolgt leider nur selten. Das Ergebnis sind übermäßig viele Arztbesuche und unnötig viele Bildaufnahmen. Allein im Jahre 2015 haben Ärzte über sechs Millionen Röntgen-, CT- und MRT-Aufnahmen des Rückens veranlasst. „Oft werden die Befunde der Bildgebung überbewertet. Dies führt zu unnötigen weiteren Untersuchungen und Behandlungen, zur Verunsicherung des Patienten und kann sogar zur Chronifizierung der Beschwerden beitragen“, so Prof. Dr. Jean-Francois Chenot von der Universität Greifswald und medizinischer Experte für den Faktencheck. Darüber hinaus wird die bildgebende Diagnostik oft viel zu schnell angewandt. In 22 Prozent der Fälle wird bereits im ersten Quartal nach der Diagnose eine entsprechende Aufnahme angeordnet. Und bei jedem zweiten Betroffenen wird eine solche Untersuchung durchgeführt, ohne, dass der Arzt vorher überhaupt versucht hat, die Erkrankung konservativ zu behandeln. Obwohl etwa eine Physiotherapie oder Schmerzmittel gute Alternativen dargestellt hätten.

Dabei gelten 85 Prozent der akuten Rückenschmerzen als medizinisch unkompliziert und können keiner konkreten Ursache zugeordnet werden. Deshalb empfehlen die ärztlichen Leitlinien bei Rückenschmerzen ohne Hinweis auf einen gefährlichen Verlauf, wie etwa Wirbelbrüche oder Entzündungen eine konservative Therapie: Die Patienten sollen sich bewegen. Die früher meist angeordnete Bettruhe verstärkt dagegen nach neuesten Erkenntnissen die Schmerzen eher noch. Gleichzeitig wird ausdrücklich erwähnt bildgebende Diagnostik zunächst zu vermeiden. Doch viele Ärzte halten sich nicht an diese wissenschaftlichen Empfehlungen. Sie verordnen immer noch 43 Prozent der Betroffenen Ruhe und Schonung. Darüber hinaus bestärken die Ärzte die Betroffenen oft in ihrem Krankheitsgefühl, statt sie zu beruhigen. 47 Prozent der Betroffenen wird sogar vermittelt, dass ihr Rücken „kaputt“ oder „verschlissen“ sei. „Ärzte müssen falsche Kenntnisse und Erwartungen von Patienten korrigieren. Nur so werden sie ihrem eigenen Anspruch als vertrauenswürdige Experten gerecht“, so Brigitte Mohn, Vorstand der Bertelsmann Stiftung.

Reden hilft oft mehr als röntgen

„Die gründliche körperliche Untersuchung und das persönliche Gespräch zwischen Arzt und Patient müssen wieder mehr Gewicht erhalten“, fordert Mohn. Doch um dies zu erreichen muss das ärztliche Vergütungssystem korrigiert werden. Gespräche müssen im Vergleich zu technikbasierten Untersuchungen besser bezahlt werden.

Zudem zeigt ein internationaler Vergleich, wie sich unnötige und im Zweifelsfall gesundheitsschädliche Aufnahmen reduzieren lassen: In manchen Regionen Kanadas erhalten Ärzte seit 2012 keine Vergütung mehr, wenn sie Bildaufnahmen veranlassen, obwohl kein gefährlicher Verlauf der Rückenschmerzen erkennbar war. Und in den Niederlanden ist man dazu übergegangen den Zugang zu Röntgen-, CT- und MRT-Geräten strikter zu regulieren.

Bertelsmann Stiftung, 22. November 2016

Link zu dem Spiegel-Bericht: Was den Rücken stark macht vom 1. November 2011.

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