Kleine grüne Extremisten: Algen überleben Aufenthalt im All

Die verschiedenen Proben des Grünalgenstammes CCCryo 101-99 bildeten wieder neue Populationen, nachdem sie über 450 Tage außerhalb der ISS durch den erdnahen Orbit geschwebt waren. Lediglich eine Probe überlebte diese Raumfahrt nicht. © Foto Thomas Leya / Fraunhofer IZI
Die verschiedenen Proben des Grünalgenstammes CCCryo 101-99 bildeten wieder neue Populationen, nachdem sie über 450 Tage außerhalb der ISS durch den erdnahen Orbit geschwebt waren. Lediglich eine Probe überlebte diese Raumfahrt nicht.© Foto Thomas Leya / Fraunhofer IZI
Die verschiedenen Proben des Grünalgenstammes CCCryo 101-99 bildeten wieder neue Populationen, nachdem sie über 450 Tage außerhalb der ISS durch den erdnahen Orbit geschwebt waren. Lediglich eine Probe überlebte diese Raumfahrt nicht. © Foto Thomas Leya / Fraunhofer IZI

Sie überstehen extreme Wärme, Kälte und kosmische Strahlung: spezielle kälteliebende Algen. Das hat ein Langzeit-Experiment auf der Raumstation ISS ergeben. Ihre Fähigkeiten könnten nicht nur für industrielle Anwendungen, sondern auch für eine mögliche Mission zum Mars wichtig sein, wie die Frauenhofer Gesellschaft berichtet.

Sie haben es überlebt! Die extremen Temperaturschwankungen zwischen minus 20 und plus 50 Grad, das Vakuum, sowie die massiven Strahlen im All. Zwei verschiedene Algenarten mussten 16 Monate lang an der Außenseite der internationalen Raumstation ISS diesen Extrembedingungen trotzen. Thomas Leya vom Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie IZI in Potsdam wählte für die Experimente zwei besonders widerstandsfähige Algenarten aus: das Cyanobakterium Nostoc sp. (CCCryo 231-06), eine Blaualge aus der Antarktis und die Grünalge Sphaerocystis sp. (CCCryo 101-99) aus Spitzbergen. Sie gehören zu den kryophilen, also kälteliebenden Stämmen. Gegen Kälte und Trockenheit verfügen sie über besondere Anpassungsstrategien und sind deshalb selbst unter extremen Bedingungen noch überlebensfähig.

Das Forscherteam um Thomas Leya beschäftigt sich seit 18 Jahren mit den Überlebensstrategien kryophiler Algen, Cyanobakterien, Moosen, Pilzen und Bakterien polarer Regionen. Aufgrund ihrer Erfahrung wussten die Forscher bereits, dass Algen gegen lang andauernde Trockenheit, extreme Temperaturen sowie UV-Strahlen relativ unempfindlich sind. Doch die extremen Bedingungen im erdnahen Orbit lassen sich im Labor nur bedingt simulieren.

»Für den Flug ins All haben wir die Algenstämme durch leichte Trocknung vorbereitet«, erläutert Leya. Am 23. Juli 2014 wurden die Organismen mit dem Raumtransporter Progress auf ihre Reise ins All geschickt. 16 Monate mussten sie an der Außenseite der ISS ausharren, nur schwach durch einen Neutralfilter vor der einfallenden Strahlung geschützt. Sensoren erfassten die auftretenden Temperaturen sowie die Dosen der kosmischen Strahlung. Eine Sojus-Raumkapsel brachte die Algenkulturen nach dem Experiment wieder zurück auf die Erde.

Neben der Frage, ob die Algen den Aufenthalt im erdnahen Orbit überhaupt überstehen, wollten die Forscher wissen, wie die Mikroorganismen im Vakuum auf die UV-A-, -B und -C-Strahlung reagieren würden. »Wir gingen davon aus, dass die Organismen das Vakuum, die Temperaturschwankungen zwischen minus 20 Grad und plus 50 Grad sowie die UV-A und UV-B-Strahlung überleben würden. Als überraschend erwies sich jedoch, dass auch ein Teil der extrem schädlichen UV-C-Strahlung den Algenstämmen nichts anhaben konnte«, so Leya. Darüber hinaus haben die Grünalgen auch die Trockenheit überraschend gut überstanden.

Erbgut der ISS-Rückkehrer untersucht

Als nächstes wollen die Forscher herausfinden, wie die Blau- und Grünalgen diese Extrembedingungen gemeistert haben. Da UV-Strahlung die DNA des Menschen schädigen kann, untersuchen sie das Erbgut der ISS-Rückkehrer. Dazu erfassen sie, ob und in welchem Umfang die DNA beschädigt wurde. Außerdem soll die Bio-Signatur der in den Algen enthaltenen Carotinoide mit Spektroskopieverfahren analysiert werden. Als Bio-Signatur bezeichnen Experten etwa die Basenabfolge in der DNA oder deren Absorptionsverhalten bei bestimmten Wellenlängen.

Die Ergebnisse könnten dabei helfen die Frage zu klären, ob das Leben auf unserer Erde vor ein paar Millionen Jahren durch Organismen aus dem All entstanden ist? So könnten etwa einfache Lebensformen durch einen Meteoriteneinschlag auf die Erde gelangt sein. Diese sogenannte Panspermie-Theorie bekommt möglicherweise durch die Algen-Experimente auf der ISS neuen Auftrieb.

Auch für eine künftige Marsmission könnten die neuen Erkenntnisse wichtig sein. Sollten die Menschen in ferner Zukunft den roten Planeten besiedeln, wäre die Produktion von Nahrungsmitteln auf dem Mars eine überlebensnotwendige Aufgabe. Algen produzieren Sauerstoff und Proteine und lassen sich als Nahrungsquelle nutzen. Besonders resistente Stämme könnten in speziellen Kulturhäusern oder halbtransparenten Zelten als Nahrungsquelle kultiviert werden.

Inhaltsstoffe der Algen als Nahrungsergänzungsmittel und Sonnenschutz

Von den Ergebnissen des ISS-Versuchs profitiert jedoch auch nicht zuletzt die Industrie. Kosmetikhersteller dürften schon bald dazu in der Lage sein, Sonnencremes mit Bestandteilen aus Algen herzustellen. Für die Lebensmittelindustrie sind Algen mit ihren leistungsfähigen Reparaturmechanismen und dem hohen Gehalt an Omega-3-Fettsäuren, wie etwa EPA, attraktive Nahrungsergänzungsmittel. Die dafür nötigen Herstellungsverfahren sind zwar derzeit noch sehr aufwändig, dürften jedoch in naher Zukunft günstiger werden.

Nahezu 500 Algen und andere Organismen hat Thomas Leya bereits in den Polargebieten und an anderen Extremstandorten gesammelt. Doch das ist nur ein kleiner Teil des geschätzten Bestandes, geht man doch von insgesamt weit über hunderttausend verschiedenen Arten aus, von denen bisher nur ein Bruchteil bekannt ist. Damit sind die Chancen groß, dass diese unterschätzten Organismen noch die eine oder andere Überraschung bergen.

von Ute Keck, 6. Februar 2017

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