Um sich auszubreiten und zu vermehren, müssen Krebszellen die körpereigene Abwehr austricksen. Forscher haben nun entdeckt, wie dies bei der Chronischen Lymphatischen Leukämie (CLL) funktioniert. Die entarteten Zellen rufen eine entzündliche Reaktion hervor und sorgen gleichzeitig dafür, dass andere Blutzellen die Immunabwehr drosseln. Dazu senden sie Botschaften über Exosomen aus, kleine Bläschen, die die Krebszellen in die Umgebung abgeben.
Tumorzellen gelingt es ihre Umgebung so zu beeinflussen, dass sie der körpereigenen Immunreaktion entkommen und sich gleichzeitig günstige Wachstumsbedingungen schaffen. Solide Tumoren, die als fester Gewebeverband in einem Organ wachsen, manipulieren Makrophagen, die Fresszellen des Immunsystems, für Ihre Zwecke. Das ist schon lange bekannt. Doch in der letzten Zeit gibt es vermehrt Hinweise dafür, dass Ähnliches auch für Leukämien gilt, erklärt Martina Seiffert vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. So können Leukämiezellen, die von Patienten mit Chronisch lymphatischer Leukäme (CLL) gewonnen wurden, nur dann in Zellkultur überleben, wenn dort auch Makrophagen oder Monozyten vorhanden sind. Sie versorgen die Krebszellen mit den nötigen Wachstumsfaktoren. Das Team um Seiffert hat nun herausgefunden, wie das Zusammenspiel zwischen Leukämiezellen und Monozyten zum Katalysator für die Krebsentwicklung wird. „Wir wissen, dass auf der Oberfläche dieser Nährzellen der so genannte PD-L1 Rezeptor vermehrt auftritt, der die Immunantwort unterdrückt“, so Seiffert. „Dabei handelt es sich um einen so genannten Immun-Checkpoint, der überschießende Abwehrreaktionen verhindert.“ In diesem Fall wird jedoch die Abwehr soweit ausgebremst, dass sich die Krebszellen ungehindert vermehren können. Außerdem senden die Monozyten Botenstoffe aus, die zur Entzündungsantwort des Immunsystems gehören und das Wachsen und Vermehren der Krebszellen unterstützen, die als entartete B-Zellen selbst zum Immunsystem gehören.
Die Forscher stellten sich nun die Frage, wie es den Leukämiezellen gelingt die Monozyten in ihrer Umgebung so zu manipulieren. Dabei hatten sie breits einen Verdächtigen im Auge: sogenannte Exosomen, kleine Bläschen, die von Zellen in die Umgebung abgegeben werden. Sie dienen Zellen dazu, miteinander zu kommunizieren und ihr Verhalten gegenseitig zu beeinflussen. Tatsächlich findet man im Blutplasma von CLL-Patienten vermehrt Exosomen, die von den Leukämiezellen abgesondert werden. Die eingehende Analyse dieser Exosomen ergab, dass sich in ihrem Inneren unter anderem Y RNA befindet. Dabei handelt es sich um eine Klasse von kurzen RNA-Molekülen, über deren Funktion bislang noch recht wenig bekannt ist.
Um den Effekt der Y RNA zu überprüfen, behandelten die Forscher Monozyten und Makrophagen von Menschen und Mäusen in der Kulturschale mit den verdächtigen Exosomen sowie aufgereinigter Y RNA aus den Exosomen. In beiden Fällen veränderten sich die Zellen in ähnlicher Weise, wie man es von CLL-Patienten kennt. „Sie tragen vermehrt PD-L1-Rezeptoren auf ihrer Oberfläche und schütten Botenstoffe aus, die die Entzündungsantwort ankurbeln und den Leukämiezellen Wachstumsvorteile verschaffen“, erklärt Franziska Haderk, Erstautorin der Veröffentlichung.
Eine weitere Entdeckung: In den Monozyten wird die Y RNA-Botschaft von den so genannten Toll-Like Rezeptoren 7 und 8 (TLR7/8) erkannt. Diese dienen dazu, Fremd-RNA, etwa von Krankheitserregern, zu registrieren und die Entzündungsantwort anzuregen. Zeitgleich verstärkt sich durch die Aktivierung der Toll-Like Rezeptoren auch die Immunbremse PD-L1. „So entsteht ein Milieu, das das Überleben der Krebszellen fördert und Zellen des Immunsystems rekrutiert, aber gleichzeitig eine effektive Antwort der Immunzellen durch PD-L1 stoppt“, sagt Haderk.
Damit haben die Forscher gleich mehrere neue Angriffspunkte für die Therapie identifiziert. Neben einer Blockade des PD-L1-Rezeptors, ist es denkbar das Erkennen der Y RNA-Botschaft zu verhindern. „Das könnte beispielsweise durch die Gabe von TLR-Hemmstoffen wie Chloroquin gelingen, ein Medikament, das gegen Malaria und rheumatische Entzündungen eingesetzt wird“, verrät Seiffert. Im Experiment mit Mäusen, denen CLL-Zellen übertragen wurden, konnte der Wirkstoff die Vermehrung der Krebszellen deutlich drosseln. „Das macht Chloroquin zu einem interessanten Kandidaten für eine Kombinationstherapie mit anderen Wirkstoffen“, so Seiffert.
Deutsches Krebsforschungszentrum, 28. Juli 2017
Originalpublikation:
Franziska Haderk et al. Tumor-derived exosomes modulate PD-L1 expression in monocytes. Science Immunology 2017, DOI: 10.1126/sciimmunol.aah5509