Die Unstatistik des Monats August bezieht sich auf die Berichterstattung über die Markteinführung des Medikaments „Flibanserin“ in den USA.
So berichtete zum Beispiel Focus online am 19. August: „Erste Lustpille für Frauen kommt auf den Markt“; der Tagesspiegel veröffentlichte einen Tag später den Artikel „Mehr Lust auf Lust“.
Jeder weiß, dass Männer im Schnitt mehr Lust auf Sex als Frauen haben. Neu ist, dass es sich hier um eine klinische Störung handeln soll – bei Frauen wohlgemerkt, nicht bei Männern. Die Diagnose heißt „hypoactive sexual desire disorder (HSDD)“, also „Mangel an sexueller Lust.“ Und dagegen gibt es nun in den USA eine kleine rosa Pille: „Addyi“, auch „Viagra für Frauen“ genannt, die man täglich einnimmt und die voraussichtlich etwa 400 US-Dollar pro Monat kosten wird.
Die deutschen Medien haben durchwegs kritisch über dieses Geschäft mit der Lust berichtet: Ein deutsches Pharmaunternehmen hatte ursprünglich eine Pille gegen Depression entwickelt, suchte dann für diese Pille einen neuen Markt (Lust), aber die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) weigerte sich, diese Pille angesichts des minimalen Nutzens und der schlechten Verträglichkeit zuzulassen. Eine US-Firma kaufte dann die Rechte, scheiterte aber zunächst nochmals an der FDA. Erst als die Firma sehr viel Geld in eine massive Lobbykampagne steckte, ließ die FDA die Pille zu.
Eine große Kleinigkeit haben jedoch viele Medienberichte übersehen: Die Pille hilft überhaupt nicht gegen Mangel an Lust. Keiner der beiden amerikanischen Studien gelang es nachzuweisen, dass die Pille sexuelle Lust erhöht, obgleich es beide versuchten. Lediglich die Anzahl „zufriedenstellender sexueller Ereignisse“ pro Monat stieg von 3.7 (Placebo Pille) auf 4.4 (Addyi), also um 0.7. Das ist ein wichtiger Unterschied, denn die den Frauen attestierte Störung heißt „Mangel an sexueller Lust“ und gerade dagegen hilft die Pille nicht.
Auch die möglichen Nebenwirkungen wie Ohnmacht, Schwindelgefühl und Übelkeit werden kaum mehr Lust machen. Von Alkohol lässt man auch besser die Finger, denn die Pille verträgt sich damit nicht. Dass die Studien nur wenig Positives vorweisen können, obwohl sie vom Hersteller der Pille selbst finanziert wurden, sollte jede Frau skeptisch machen. Es gibt ja noch andere Wege zum Glück. Mit einem Glas Rotwein und mehr gemeinsamer Zeit kann man 0.7 wohl schneller erreichen.
Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, 31.08.2015