Sind Kinder und Jugendliche durch eine Kinderimpfung vor Corona geschützt?

SARS-Cov-2 Viren, die aus einer Zelle austreten. © NIAID. CC BY 2.0.

Weltweit triff die Corona-Pademie vor allem ältere Menschen. Sie erkranken wesentlich häufiger schwer an Covid-19 als Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Diesen Effekt erklärt man sich mit dem schwächeren Immunsystem älterer Menschen. Doch davon war bei der „Schweinegrippe“ 2009/10 nicht die Rede. Damals waren eher die Jüngeren von dem Virus betroffen, während die Älteren auf Immunzellen gegen ein verwandtes Influenzavirus zurückgreifen konnten. Eine unterschiedliche Altersverteilung der schweren Verläufe bei einer Pandemie könnte also auch ein Hinweis auf bereits vorhandene Immunität in Teilen der Bevölkerung sein. Ein spanischer Wissenschaftler hat nun die Hypothese untersucht, ob Kinder und Jugendliche durch Kreuzreaktionen von weltweit im Kindesalter eingesetzten Impfstoffen gegen Corona geschützt sein könnten.

Covid-19 ist eine erstaunliche Erkrankung, da sie Kinder und junge Menschen kaum betrifft. Viele von ihnen merken gar nicht, dass sie an Corona erkrankt sind oder sie leiden nur vorübergehend an erkältungsartigen Symptomen. In den USA sind bisher rund eine halbe Million Menschen an Covid-19 gestorben. Davon waren jedoch nur 250 Kinder. Bei vielen anderen Infektionserkrankungen, gegen die eine Population keine Immunität besitzt sind normalerweise Kinder und ältere Menschen besonders betroffen. Denn für Kinder gilt im allgemeinen, dass ihr Immunsystem noch nicht so gut trainiert ist, wie das von Erwachsenen. Daher vermutet man bisher, dass die jungen Menschen Covid-19 mit Hilfe einer milden Reaktion ihres angeborenen Immunsystems in Schach halten. Während bei älteren Erwachsenen mit schweren Verläufen sowohl ihre angeborenen, als auch ihre erworbenen Immunreaktionen über das Ziel hinausgingen und/oder nicht rechtzeitig wieder heruntergefahren werden.

Ein Phänomen das man auch für schwer verlaufende Influenza-Infektionen verantwortlich macht. Denn oft sind für die Zerstörungen, die eine Infektion verursacht nicht alleine die Keime selbst verantwortlich, sondern die Kollateralschäden eines aus dem Ruder gelaufenen Immunsystems. So litten etwa 1918 bis 1920 vor allem junge Menschen im Alter zwischen 20 und 40 Jahren unter der spanischen Grippe. Sie kannten die Variante A/H1N1 des Influenza-Virus noch nicht. Denn in ihrer Jugend grassierte die russische Grippe vom Typ H3N8, die 1889–1892 verbreitet war. Ihr immunologisches Gedächtnis bot gegen den neuen Virustyp nur unzureichenden Schutz. Möglicherweise richtete es sogar nach dem Prinzip der Antigenerbsünde, laut der das Immunsystem auf ähnliche Erreger immer wieder mit der selben Immunantwort reagiert, mehr Schaden an, als es Nutzen brachte. So musste ihr junges, schlagkräftiges Immunsystem alle Register ziehen, um den unbekannten, sich besonders schnell in ihrem Körper ausbreitenden Keim mit einer angeborenen Immunreaktion in Schach zu halten. Dadurch kam es zu einer Überreaktion ihres Immunsystems, bei der vor allem das Lungengewebe der Erkrankten massiv geschädigt wurde. Ursache hierfür war vermutlich ein sogenannter Zytokinsturm. Auf dem verletzten Gewebe konnten sich dann leicht Bakterien ansiedeln, die zu einer Lungenentzündung führten, der viele Patienten zum Opfer fielen. Doch von der spanischen Grippe waren, anders als bei Covid-19 auch viele Kinder betroffen. Aber sie forderte bei ihnen nicht so viele Opfer, wie bei ihren Eltern. Gleiches gilt für ältere Menschen.

Die sogenannte Spanische Grippe ging ursprünglich von amerikanischen Soldaten aus, die nach Europa verschifft wurden, um am ersten Weltkrieg teilzunehmen. Sie ging als Spanische Grippe in die Geschichte ein, weil Spanien als einziges Land in Europa damals offen über die Verbreitung der Krankheit berichtete, während andere europäische Nationen, die an dem Krieg beteiligt waren, das Problem verschwiegen. Das Bild zeigt amerikanische Soldaten, die an der Spanischen Grippe erkrankt waren und im Camp Funston, Kansas in Massenunterkünften behandelt wurden. © public domain.

Auch bei Cobid-19 scheint eine Überreaktion des Immunsystems für die schweren Verläufe verantwortlich zu sein. Wobei die Forscher noch uneins darüber sind, ob es sich dabei ebenfalls um einen Zytokinsturm handelt oder um einen Bradykinin-Sturm. Jedenfalls berichten Ärzte von Erfolgen bei der Behandlung von Covid-19 Patienten mit Medikamenten, die das Immunsystem ausbremsen, wie etwa Dexamethason. Was allerdings vor allem bei Patienten anschlägt, die künstlich beatmet werden müssen.

Es gibt also wohl gewisse Ähnlichkeiten zwischen den schweren Verläufen der spanischen Grippe und Covid-19. Doch was bei Covid-19 auffällt ist eben, dass die Kinder in ungewöhnlicher Weise geschützt zu sein scheinen. Wie kann man sich das erklären? Besteht bei Kindern bereits eine Immunität gegen das Virus? Manche Forscher haben vermutet, dass Kinder sich öfter mit den saisonalen Coronaviren infizieren, die gewöhnliche Erkältungen auslösen und durch immunologische Kreuzreaktionen auch gegen Covid-19 geschützt sind. Tatsächlich fand man bei Seren von Menschen, die Covid-19 noch nicht gehabt hatten immunologische Kreuzreaktionen, sowohl auf der Ebene der Antikörpern, als auf der der zellulären Immunantwort. Diese Kreuzreaktivität fand man besonders bei jungen Menschen (19 bis 27 Jahre), bei älteren dagegen, die über 60 Jahre waren fehlte diese laut einer neuen Studie. Doch andere Forscher konnten zeigen, dass etwas mehr als die Hälfte der Kreuzreaktionen, die auf T-Zellen beruhen nicht auf das Konto der saisonalen Coronaviren gehen.

Corona-Viren verlassen eine Wirtszelle in einer Petrischale. © NIAID. CC BY 2.0.

Doch was könnte sonst die Quelle für die beobachteten Kreuzreaktionen sein? Der spanische Forscher Pedro A. Reche an der Universität Madrid fragte sich, ob nicht weltweit bei Kindern durchgeführte Impfungen der Grund hierfür sein könnten. Um die Frage zu beantworten durchsuchte er die Proteinsequenzen von Sars-Cov-2 nach kurzen Abschnitten die Homologien zu Sequenzen von Impfstoffen gegen Kinderkrankheiten aufweisen. Die gefundenen Hits untersuchte er mit Hilfe eines Computerprogramms darauf, ob sie voraussichtlich als Erkennungssequenzen, sogenannte Epitope der erworbenen Immunantwort dienen könnten. Die meisten der so untersuchten Impfstoffe wiesen eine zu geringe Homologie zu den Sars-Cov-2 Sequenzen auf. Nicht so jedoch der Tripel-Impfstoff gegen die Toxine von Diphtherie, Tetanus und Pertussis (DTP). Dort wurde Reche fündig. Die Sequenzen dieser drei Impfstoffe könnten zu Immunreaktionen führen, die dabei helfen das Covid-19 Virus in Schach zu halten: Sowohl durch die Bildung von Antikörpern, die auch mit dem Virus kreuz reagieren, wie etwa dessen Spike Protein. Als auch durch die Bildung zytotoxischen T-Zellen, die das Virus in den Wirtszellen erkennen und bekämpfen könnten.

Weltweit werden Kinder bereits im Alter von wenigen Monaten mehrfach gegen DTP geimpft. Mit 4-6 Jahren und noch einmal mit 9-14 Jahren erhalten sie eine weitere Booster-Impfung. Interessanterweise wird schwangeren Frauen ebenfalls empfohlen, eine DTP-Auffrischimpfung durchzuführen, was erklären könnte, warum Frauen im Vergleich zu Männern etwas seltener schwer an Covid-19 erkranken. Besonders ältere Erwachsene haben die DTP-Impfungen möglicherweise nie erhalten, weil diese in ihrer Jugend noch nicht flächendeckend zur Verfügung stand. Doch auch bei Erwachsenen, die keine der für diese Erkrankungen empfohlenen Auffrischimpfungen durchführen schwächt sich die Immunantwort gegen den Impfstoff mit der Zeit immer stärker ab. Falls die Hypothese der Kreuzreaktion des DTP-Impfstoffes zutrifft, könnten die schwereren Verläufe von Covid-19 bei älteren Menschen auch mit einem fehlenden Impfschutz gegen DTP erklärt werden.

Und möglicherweise könnten fehlende Impfungen auch das weltweit beobachtete Phänomen erklären, warum gerade Minderheiten und sozial Benachteiligte besonders stark von der Pandemie betroffen sind. Denn sie lehnen oft den Staat, in dem sie leben ab und nehmen dann auch eher die Impfangebote nicht an, wenn sie ihnen denn überhaupt zur Verfügung stehen. So fand etwa eine englische Studie heraus, dass in einer ultraorthodoxen jüdischen Gemeine in England Anfang Dezember 2020 bereits rund 64% der Mitglieder an Corona erkrankt waren. Wobei hiervon die Kinder über fünf Jahren genauso betroffen waren, wie die Erwachsenen (rund 74%). Bei Kindern unter fünf Jahren lag die Rate bei nur rund 28%. Schwere Verläufe traten in ganz England besonders häufig bei ultraorthodoxen Männern über 65 Jahren auf: Bei ihnen lag die Todesrate zwischen März und Mai 2020 bei 759 von 100.000. Am 10. Februar berichtete The Times of Israel, dass sogar bis zu diesem Datum 1 von 73 ultraorthodoxen Juden über 65 Jahren an Covid-19 gestorben ist, da sie sich nicht an die Corona-Vorschriften halten.

Auch Christopher D. Rickett et al. von Hewlett Packard Enterprise in den USA fanden durch Computeranalysen Hinweise darauf, dass eine Impfung mit dem Tetanus-Toxin für einen milden Verlauf von Covid-19 bei Kindern, Schwangeren und Häftlingen sorgen könnte. Doch die Hypothese, dass die DTP-Impfungen gegen einen schweren Verlauf von Covid-19 wirken beruht bisher nur auf Vorhersagen mit Hilfe von Computerprogrammen. Und deren Ergebnisse sind immer mit Vorsicht zu betrachten. Um sicher zu sein, dass diese Impfstoffe tatsächlich gegen Covid-19 helfen müssten zusätzlich Laborexperimente und klinische Studien durchgeführt werden. Auch wäre es interessant herauszufinden, ob und wie gut die wenigen Kinder, die ernsthaft an Covid-19 erkranken gegen DTP geimpft waren. Pedro A. Reche ist dennoch der Meinung eine Auffrischimpfung gegen DTP könnte gegen Covid-19 helfen, solange uns nichts besseres zur Verfügung steht. Die STIKO am Robert Koch Institut empfiehlt ohnehin für jeden Erwachsenen alle zehn Jahre eine Auffrischimpfung gegen Diphtherie und Tetanus durchzuführen, sowie eine einmalige Impfung gegen Pertussis-Toxin im Erwachsenenalter. Und mit ein bisschen Glück könnte sie auch gegen Covid-19 helfen.

von Ute Keck, 4. März 2021

Originalpublikationen und weiterführende Informationen:

Reche Pedro A. Potential Cross-Reactive Immunity to SARS-CoV-2 From Common Human Pathogens and Vaccines. Frontiers in Immunology: 11. pp 2694. Okt 2020. DOI 10.3389/fimmu.2020.586984 

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