Bindungshormon Oxytocin hilft Angsterfahrungen zu bewältigen

Der Schrei der Natur. Edvard Munch, (1863–1944). © public domain

Der Schrei der Natur. Edvard Munch, (1863–1944). © public domain

Furcht einflößende Erfahrungen verschwinden nur sehr langsam aus dem Gedächtnis. Ein Forscherteam konnte nun in einer Studie zeigen, dass das Bindungshormon Oxytocin das Angstzentrum im Gehirn hemmt und Furchtreize stärker abklingen lässt. Diese Grundlagenforschung könnte auch eine neue Ära in der Behandlung von Angststörungen einleiten.

Große Angst gräbt sich tief ins Gedächtnis ein. Beispielsweise fällt es nach einem Autounfall schwer, wieder im Straßenverkehr zurechtzukommen – schon quietschende Reifen können starke Angst hervorrufen. Wissenschaftler sprechen dann von „Konditionierung“: Bestimmte Bilder oder Geräusche sind in diesen Fällen im Gehirn eng mit der Erfahrung von Schmerz oder Furcht verknüpft. Erst allmählich lernen die Betroffenen, dass nicht jeder quietschende Reifen Gefahr bedeutet. Dieses aktive Überschreiben im Gedächtnis wird als „Extinktion“ bezeichnet. „Die ursprünglichen Gedächtnisinhalte werden dabei aber nicht ausradiert, sondern nur durch positivere Erfahrungen überlagert“, erläutert René Hurlemann von der Universitätsklinik Bonn. Kommt es erneut zu gefährlichen Situationen, flammt die schon überwunden geglaubte Angst häufig wieder auf.

Extinktion wird vielfach in der Therapie von Angststörungen angewendet. Wer zum Beispiel unter einer Spinnenphobie leidet, wird schrittweise mehr und mehr mit Spinnen konfrontiert. Zuerst muss der Patient Fotos von Spinnen betrachten, dann lebende Exemplare ansehen bis er schließlich eine Vogelspinne auf die Hand nimmt. Wenn Menschen mit einer Angststörung möglichst häufig die Erfahrung machen, dass sie keine Angst vor dem Auslöser haben müssen, reduziert sich ihre Furcht. „Dies kann aber sehr lange dauern, weil diese Konfrontation mit der Angstsituation häufig erlebt werden muss. Außerdem kann es zu Rückfällen kommen, weil die ursprüngliche Angstspur noch im Gedächtnis verankert ist“, berichtet Hurlemann. Therapeuten suchen deshalb nach einer Möglichkeit, wie eine „Überschreiben“ des Angstgedächtnisses schneller und dauerhafter erfolgen kann.

Oxytocin fördert das Überschreiben von Angsterfahrungen

Das Hormon Oxytoxin ist seit Längerem dafür bekannt nicht nur bei der Mutter-Kind-Beziehung und bei Sexualpartnern bindungsfördernd zu wirken, sondern auch bei der Überwindung von Ängsten zu helfen. Seinen positiven Effekt beim Überschreiben von Angsterfahrungen konnten die Wissenschaftler nun nachweisen. „Oxytocin verstärkt tatsächlich die Extinktion: Unter seinem Einfluss klingt die Erwartung eines erneuten Angstereignisses im Verlauf stärker ab als ohne diesen Botenstoff“, fasst Studienleiter Hurlemann das Ergebnis zusammen.

Das Wissenschaftlerteam führte bei insgesamt 62 männlichen, gesunden Probanden eine Angstkonditionierung durch. Im Hirnscanner betrachteten die Testpersonen über eine Videobrille Fotos, wie etwa von menschlichen Gesichtern. Bei 70 Prozent der Bilder wurde ihnen über Elektroden an der Hand ein sehr kurzer, unangenehmer Elektroschock versetzt. „Auf diese Weise wurden im Gedächtnis der Testpersonen bestimmte Bilder mit einer Angsterfahrung verknüpft“, erläutert Hurlemann. Dass die Paarung aus einem bestimmten Foto und Schmerz tatsächlich im Gehirn der Probanden verankert war, wiesen die Wissenschaftler mit zwei Methoden nach: Die Elektroschockerwartung zeigte sich durch vermehrten Angstschweiß, der über die Hautleitfähigkeit gemessen wurde. Außerdem bewiesen die Hirnscans, dass immer dann die Angstregionen im Gehirn besonders aktiv waren.

Der Hälfte der Probanden wurde über ein Nasenspray Oxytocin verabreicht. Der Rest bekam ein Placebo. Dann begann die Phase der Extinktion, in der die Testpersonen mehrfach die gleichen Bilder wie zuvor zu sehen bekamen, aber keine Elektroschocks mehr auftraten. Bei den Testpersonen, die Oxytocin erhalten hatten war die Amygdala, das Angstzentrum im Gehirn, insgesamt deutlich weniger aktiv, als bei der Kontrollgruppe. Dagegen waren bei ihnen die furchthemmenden Regionen aktiver. Im Zeitverlauf führte der Botenstoff dazu, dass die Angst zunächst etwas größer war, dann aber viel stärker abklang als ohne Oxytocin. Die Wissenschaftler erklären dies durch die spezielle Wirkung des Botenstoffs: „Oxytocin verstärkt zunächst die bewussten Eindrücke der Probanden und damit die Reaktion auf die Elektroschocks, doch nach wenigen Minuten überwiegt die angstlösende Wirkung“, erläutert Hurlemann.

Die Wissenschaftler hoffen, dass mit Hilfe des Oxytocins Angstpatienten schneller geholfen und ein Rückfall besser verhindert werden kann. Zudem fördere das Hormon wahrscheinlich die Bindung zwischen Therapeut und Patient und damit den Erfolg der Behandlung, vermuten die Forscher. „Doch das müssen erst noch klinische Studien erweisen“, sagt der Wissenschaftler.

Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 12.11.2014

 

Originalpublikation:

Oxytocin Facilitates the Extinction of Conditioned Fear in Humans, Fachjournal „Biological Psychiatry“, DOI: 10.1016/j.biopsych.2014.10.015

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