Vorsicht Statistik: Vermeintlicher Lebensretter PSA – Test

Kristallstruktur des menschlichen Prostata-spezifischen Antigens (PSA). © EAS. CC BY-SA 3.0.

Kristallstruktur des menschlichen Prostata-spezifischen Antigens (PSA). © EAS. CC BY-SA 3.0.

Die Unstatistik des Monats August ist die Nachricht des Tagesspiegel online vom 7. August 2014: „Die Prostatakrebs-Vorsorge per PSA-Test kann das Sterberisiko um mehr als ein Fünftel senken.“ Focus-online, Merkur-online und DIE WELT-online berichteten in genau denselben Worten über die größte europaweite Studie mit über 162.000 Männern im Alter von 55 bis 69 Jahren.

Dieser eine Satz des Artikels enthält gleich drei Unstatistiken. So heißt es am Ende „mehr als ein Fünftel“. Bedeutet das, dass von je hundert Männern, die zum Screening gingen, das Leben von mehr als zwanzig gerettet wurde? Nein. Die Zahl ist eine relative, keine absolute Reduktion. Absolut gesehen starben in der Kontrollgruppe (ohne PSA-Test) nach 13 Jahren etwas mehr als 0,6 Prozent der Männer, in der Screeninggruppe (mit PSA-Test) etwas weniger als 0,5 Prozent. Die absolute Reduktion ist also 0,1 Prozentpunkte (gerundet), die relative Reduktion ein Fünftel. Im Klartext bedeutet also „ein Fünftel“ nichts anders als „ein Mann von 1 000“ (genau: 1 von 781). Das steht auch so in der Zusammenfassung des Originalartikels. Aber „ein Fünftel“ klingt beeindruckender.

Die zweite irreführende Botschaft ist, dass sich diese Zahl auf das „Sterberisiko“ bezieht. Das ist aber nicht der Fall. Sie bezieht sich nur auf das Risiko, an Prostatakrebs zu sterben, nicht aber auf das allgemeine Sterberisiko (d.h., alle Ursachen, einschließlich Prostatakrebs). Denn dieses änderte sich durch PSA-Tests nicht: nach 13 Jahren waren genau so viel Männer am Leben – unabhängig davon, ob sie am Screening teilgenommen hatten oder nicht. Für diesen Unterschied zwischen Sterblichkeit und Prostatakrebssterblichkeit gibt es mehrere mögliche Ursachen. Beispielsweise werden Männer, die an den Folgen einer Prostata-Operation sterben, nicht in der Prostatakrebssterblichkeits-Statistik aufgeführt, aber in der Sterblichkeitsstatistik. Fazit: Die Studie erbrachte keinen Nachweis, dass durch das PSA-Screening Leben gerettet wurde.

Der dritte Irrtum: Es handelt sich nicht um „Prostatakrebs-Vorsorge“ sondern um „Prostatakrebs-Früherkennung.“ Als Vorsorge bezeichnet man Methoden, welche die Wahrscheinlichkeit von Krebs senken, wie etwa mehr Bewegung und weniger Alkohol. Um einen Krebs früh zu erkennen, muss er jedoch schon da sein. Früherkennung verringert also nicht die Wahrscheinlichkeit, Krebs zu bekommen, wie viele Menschen glauben.

Man muss sich fragen, warum so viele Journalisten diese elementaren drei Fehler immer wieder machen – „Spiegel online“ beispielsweise hat dagegen richtig und verständlich berichtet. Positiv anzumerken bleibt, dass der Schaden des Screenings genau beziffert wurde: auf jeden Mann weniger, der mit der Diagnose Prostatakrebs stirbt, kommen 27 Männer, welche unnötig operiert oder bestrahlt werden, was zu Inkontinenz und Impotenz führen kann. Und auch, dass die Autoren der Studie deswegen das PSA-Screening nicht empfehlen. Warum keine deutschen Urologen an dieser größten europaweiten Studie teilgenommen haben, thematisiert hingegen keiner der Berichte.

Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, 20.08.2014.

Mehr zum Thema gab es auch in einer Sendung von Quarks & Co: Mögliche Folgen der Prostatakrebs-Früherkennung.

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