Bereits sieben Monate alte Babys können die Gefühlslage ihres Gegenübers erfassen

Ich weiß, was du fühlst: Schon Babys können Angst in den Augen anderer unbewusst wahrnehmen. © MPI f. Kognitions- und Neurowissenschaften/Kerstin Flake

Ich weiß, was du fühlst: Schon Babys können Angst in den Augen anderer unbewusst wahrnehmen.
© MPI f. Kognitions- und Neurowissenschaften/Kerstin Flake

Augen sind bekanntlich der Spiegel der Seele – aus dem Blick lässt sich oft auf die Gefühlslage unseres Gegenübers schließen. Auch Babys nehmen offenbar solche Signale wahr. Wissenschaftler haben nun entdeckt, dass schon sieben Monate alte Säuglinge unbewusst auf ängstliche Augen reagieren. Dabei reicht es aus, wenn sie nur das „Weiße“ in den Augen sehen, also die weiße Lederhaut des Augapfels, die sogenannte Sclera. Je nach dem ob die ängstlichen Blicke direkte oder abgewandte sind unterscheidet sich die Reaktion der Säuglinge. Schon von frühestem Kindesalter an kann der Mensch demnach die Gefühlslage anderer wahrnehmen. Die Augen – insbesondere die Lederhaut – sind dafür der Schlüssel.

Wir Menschen lernen viel über unser Gegenüber, wenn wir ihm in die Augen blicken. Die Augen sagen uns, wie sich unser Gesprächspartner fühlt. Durch unsere Blicke können wir darüber hinaus unsere Kommunikation koordinieren. Wenn wir einen Menschen treffen, schauen wir ihm deshalb zuerst in die Augen.

Die weiße Sclera im Auge des Menschen hat dabei eine zentrale Signalfunktion. Im Tierreich ist sie einzigartig: Bei den meisten Tieren ist nur die Iris des Auges sichtbar, selbst bei Affen ist die Lederhaut viel kleiner als beim Menschen. Die Lederhaut verrät uns etwa, ob ein Mensch Angst hat und wohin er gerade blickt: Bei Angst sind die Augen geweitet, wodurch die Lederhaut größer erscheint. Schweift sein Blick ängstlich umher, so ist das ein Hinweis auf Gefahr in der Umgebung. Schaut er sein Gegenüber mit geweiteten Augen direkt an, drückt er damit Angst vor seinem Gesprächspartner aus.

Auch Neugeborene nehmen Blicke wahr und reagieren darauf. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass sie Gesichter vorziehen, die sie direkt anblicken. Auch versuchen sie, dem Blick eines anderen Menschen zu folgen. Auf Angst reagieren Säuglinge dagegen erst ab einem Alter von sieben Monaten. Die dafür notwendigen Gehirnstrukturen wie etwa die Amygdala sind vor diesem Zeitpunkt offenbar noch nicht voll funktionsfähig.

Den Leipziger Forschern zufolge nehmen Babys mit sieben Monaten schon Furcht im Blick eines anderen wahr. In ihren Experimenten zeigten sie einer Gruppe von Säuglingen Bilder von Augen, die die Säuglinge direkt anblickten oder an ihnen vorbei sahen. Dabei hatten die Wissenschaftler die Fotos so verändert, dass nicht die kompletten Augen zu sehen waren, sondern nur die Sclera.

 In ihren Experimenten konfrontierten die Forscher die Babys mit schematisierten Augen, von denen nur die Sclera zu sehen ... [mehr] © Sarah Jessen & Tobias Grossmann, PNAS 2014


In ihren Experimenten konfrontierten die Forscher die Babys mit schematisierten Augen, von denen nur die Sclera zu sehen … [mehr]
© Sarah Jessen & Tobias Grossmann, PNAS 2014

Mithilfe von Elektroden, die vorne und hinten am Kopf angebracht waren, maßen die Wissenschaftler die Gehirnaktivität der Säuglinge. Ängstlich blickende Augen lösten im Gehirn der Säuglinge stärkere elektrische Potenziale aus. „Das Gehirn orientiert sich dabei ausschließlich an der Lederhaut, denn wir haben zuvor alle anderen Bildinformationen entfernt“, erklärt Sarah Jessen vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften. Die Reaktion läuft unbewusst ab, denn die Forscher zeigten die Bilder immer nur für 50 Millisekunden – zu kurz, als dass sie von den Säuglinge in diesem Alter bewusst wahrgenommen werden konnten.

Das Gehirn reagierte zudem teilweise stärker, wenn die Augen die Säuglinge direkt ansahen: Ein ängstlicher Blick am Kind vorbei rief schwächere elektrische Potenziale in den Gehirnregionen hinter der Stirn hervor, die für höhere geistige Fähigkeiten und Aufmerksamkeit zuständig sind. „Schon im Alter von sieben Monaten können Säuglinge also Angst aus den Augen ihres Gegenübers lesen, ohne dass ihnen das bewusst wird. Sie verlassen sich dabei ausschließlich auf die Form der Sclera“, so Jessen.

„Dass Menschen die Blicke und Gefühle anderer schon von frühester Kindheit an lesen können, ist ein Indiz dafür, wie wichtig diese Fähigkeit für unser Zusammenleben ist“, sagt Tobias Grossmann. Sich auf die Augen und die Blickrichtung konzentrieren zu können ist folglich ein wichtiges Kennzeichnen für eine gesunde, soziale Entwicklung. Säuglinge, bei denen dieses Verhalten im Alter zwischen zwei und sechs Monaten nachlässt, entwickeln später oft soziale Defizite oder der erkranken an Autismus.

Max-Planck-Gesellschaft, 27. Oktober 2014

 

Sarah Jessen & Tobias Grossmann. Unconscious discrimination of social cues from eye whites in infants. PNAS online, 27. Oktober 2014. doi: 10.1073/pnas.1411333111

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