Schlafen Vögel im Flug? Diese Frage beschäftigt nicht nur neugierige Kinder, sondern auch renommierte Forscher. Nun ist es letzteren gelungen diese Frage zu klären. Dazu erfasste ein internationales Forscherteam die Gehirnaktivität bei Fregattvögeln und beobachtete, dass diese Vögel beim Fliegen mal mit beiden Gehirnhälften gleichzeitig oder mal nur mit einer Hinrhälfte schlafen. Obwohl beim Fliegen die gleichen Schlafmuster auftreten, wie an Land, schlummern die Tiere in der Luft gerade mal eine dreiviertel Stunde pro Tag. Wieder an Land angekommen schlafen sie dagegen über zwölf Stunden. Wie die Vögel es schaffen ihre Leistungsfähigkeit scheinbar mühelos an den Schlafmangel anpassen, bleibt jedoch noch ein Rätsel.
Einige Segler, Singvögel, Strandläufer und Seevögel fliegen ohne Unterbrechung für mehrere Tage, Wochen oder gar Monate, wenn sie die Erde überqueren. Bisher ging man davon aus, dass Vögel im Flug schlafen müssen, da Schlafmangel den Ablauf physiologischer Prozesse im Körper beeinträchtigt.
Im Halbschlaf oder wach im Flug?
Doch, wie Vögel während dem Flug schlafen können, ohne vom Himmel zu fallen oder mit plötzlich auftauchenden Hindernissen zu kollidieren, blieb bisher eine Rätsel. Eine Möglichkeit, dieses Problem zu lösen bestünde darin, nur mit einer Gehirnhälfte zu schlafen, so wie Niels Rattenborg vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen das bei Enten entdeckt hat: Diese schlafen zwar generell mit beiden Gehirnhälften, die Tiere am Rande einer Fluggruppe halten jedoch das nach außen gerichtete Auge offen. Die dazugehörige Gehirnhälfte ist wach, während die mit dem geschlossenen Auge verbundene Hirnhälfte schläft. Auch Delphine können mit einer schlafenden Gehirnhälfte schwimmen. Daher gingen Forscher bislang davon aus, dass Vögel auch auf diese Art Autopilot im Flug angewiesen sind, um zu navigieren und die aerodynamische Kontrolle aufrecht zu erhalten.
Es ist aber auch möglich, dass die Vögel einen Weg gefunden haben, den Schlaf auszutricksen: Bei Graubruststrandläufern in Alaska haben Rattenborg und seine Kollegen beobachtet, dass die Vögel während der gesamten Brutzeit weitgehend aufs Schlafen verzichten: Sie gönnen sich nur ab und zu einen kurzen Tiefschlaf von wenigen Sekunden bis Minuten. Ausgedehnte Flüge müssen also nicht zwangsläufig ein Beweis für Schlaf im Flug sein. Denn die Tiere könnten ihr Schlafbedürfnis im Flug auch reduziert oder sogar eingestellt haben. Ohne eine direkte Messung des Gehirnzustandes ist Schlaf im Flug also eine reine Spekulation.
Mobile Messgeräte zeichneten Hirnströme und Kopfbewegungen auf
Um das Rätsel zu lösen tat sich Niels Rattenborg mit Alexei Vyssotsik von der Universität Zürich und der ETH Zürich zusammen. Dieser entwickelte einen kleinen Datenlogger, der Änderungen in der Gehirnaktivität anhand von Elektroenzephalogrammen und Bewegungen des Kopfes erfasst. So konnten die Forscher die Wachphasen von den Schlafphasen unterscheiden, wie sie auch bei ruhenden Vögeln beobachtet wurden: „Slow-wave“- (SWS) und „Rapid-eye-movement“-(REM)-Schlaf.
In Zusammenarbeit mit dem Galapagos Nationalpark und Sebastian Cruz, einem Seevogelforscher aus Ecuador, untersuchten die Forscher Fregattvögel, die auf den Galapagos-Inseln brüten. Diese großen Seevogel fliegen wochenlang ununterbrochen über dem Ozean, um fliegende Fische und Tintenfische zu jagen, die von Raubfischen oder Walen an die Oberfläche getrieben werden. Die Forscher befestigten die mobilen Messgeräte auf dem Kopf weiblicher Tiere, bevor diese zu ihren bis zu zehn Tage langen Jagdflügen von bis zu 3000 Kilometern Länge aufbrachen. Die Datenlogger zeichneten neben den Gehirnströmen ihrer beiden Gehirnhälften auch ihre Kopfbewegungen und über ein GPS-Gerät auf ihrem Rücken ihre Flughöhe und ihre Position auf.
Nachdem die Vögel wieder an Land waren und sich einige Zeit erholt hatten, wurden sie wieder eingefangen und die Logger abgenommen. Bryson Voirin, wissenschaftlicher Mitarbeiter sagt: „Wie viele Tiere auf den Galapagos-Inseln waren die Fregattvögel bemerkenswert zutraulich und haben sogar geschlafen, als ich sie das zweite Mal gefangen habe.“
Die Auswertung ergab, dass Fregattvögel sowohl wie erwartet, als auch auf unerwartete Weise im Flug schlafen. Tagsüber blieben die Vögel wach, um aktiv nach Nahrungsquellen Ausschau zu halten. Zu Beginn der Nacht schliefen die Tiere jedoch für mehrere Minuten, während sie sich in einem Gleitflug befanden. Das zeigte sich an dem „Slow wave sleep“-Muster ihrer Gehirnströme. Überraschenderweise trat der „Slow wave“-Schlaf nicht nur in einer Gehirnhälfte, sondern im ganzen Gehirn auf. Offenbar müssen sie in dieser Situation für die aerodynamischen Kontrolle keine Gehirnhälfte wach halten. Trotzdem schlafen die Tiere öfter nur mit einer Gehirnhälfte.
Wie die Bewegungsdaten ergaben, schlafen die Vögel nur mit einer Gehirnhälfte, wenn sie etwa in kreisenden Bewegungen aufsteigende Luftströme nutzen, um an Höhe zu gewinnen. Dann bleibt meist die Gehirnhälfte wach, die mit dem in Flugrichtung blickenden Auge verbunden ist. Die zu dem nach außen gerichteten Auge gehörende Hirnhälfte dagegen schläft, so dass die Vögel anscheinend schauen, wohin sie fliegen: „Die Fregattvögel halten ein Auge offen, um einen Zusammenstoß mit anderen Vögeln zu verhindern, genau wie die Enten, die ein Auge auf potentielle Fressfeinde werfen“, sagt Rattenborg.
Neben dem „Slow wave“-Schlaf im ganzen oder halben Gehirn beobachteten die Forscher in seltenen Fällen auch kurze Unterbrechungen durch REM-Schlaf. Im Gegensatz zu Säugetieren, bei denen REM-Schlafphasen lange und mit einem kompletten Verlust des Muskeltonus verbunden sind, dauert die REM-Schlafphase bei Vögeln nur kurz. Wenn bei ihnen der Muskeltonus abnimmt sinkt zwar ihr Kopf herab, sie bleiben aber dennoch stehen und das sogar nicht seltene auf einem Bein. So sinkt auch bei REM-schlafenden Fregattvögeln im Flug der Kopf ab, ohne ihr Flugverhalten zu beeinflussen.
Rund um die Uhr volle Aufmerksamkeit über dem Meer
Fregattvögel besitzen im Flug also dieselben Schlafmuster wie an Land. Sie schlafen allerdings im Flug durchschnittlich nur 42 Minuten pro Tag. Knapp sechs Minuten dauerte der längste ununterbrochene Schlaf, den die Forscher gemessen haben. Zurück an Land schlafen die Tiere über zwölf Stunden pro Tag, wobei die Schlafepisoden auch länger und tiefer sind. Fregattvögel sind also während des Fluges höchst unausgeschlafen. „Warum die Vögel so wenig im Flug schlafen, sogar in der Nacht, wenn sie nicht auf Jagd sind, ist noch unklar“, sagt Rattenborg. Frühere Studien zeigten, dass Fregattvögel Ozeanströmungen auf der Suche nach guten Nahrungsquellen folgen, vielleicht ist das ein Grund dafür, wach sein zu müssen. Interessanterweise weist der Schlafmangel im Flug darauf hin, dass das ökologische Umfeld über dem Meer mehr Aufmerksamkeit erfordert als die, die ein halbes waches Gehirn aufbringen kann.
Wie kompensieren Fregattvögel die mit Schlafmangel verbundenen negativen Effekte für den Organismus? Wir Menschen schlafen bereits nach wenigen Stunden Schlafverlust am Steuer ein, auch wenn wir uns der Gefahr voll bewusst sind und darum kämpfen, wach zu bleiben. „Warum wir, und viele andere Tiere, so dramatisch unter Schlafmangel leiden, während einige Vögel scheinbar problemlos mit viel weniger Schlaf umgehen, bleibt vorerst noch ein Mysterium“, so Rattenborg. Hier weiter zu forschen, könnte neue Erkenntnisse über das Verständnis von Schlaf und den Konsequenzen seines Verlustes bringen.
Max-Planck-Gesellschaft, 3. August 2016
Originalpublikation:
Niels C. Rattenborg, Bryson Voirin, Sebastian M. Cruz, Ryan Tisdale, Giacomo Dell’Omo, Hans-Peter Lipp, Martin Wikelski, Alexei L. Vyssotski. Evidence that birds sleep in mid-flight. Nature Communications 2016, 7:12468 doi: 10.1038/ncomms12468; open access