Auch schlafende „Drachen“ träumen

Schlafende Bartagame (Pogona vitticeps). © MPI f. Hirnforschung/ S. Junek

Schlafende Bartagame (Pogona vitticeps).
© MPI f. Hirnforschung/ S. Junek

Schlaf ist im Tierreich weit verbreitet: Von Insekten über Würmern bis hin zu Säugetieren und Menschen nehmen alle Tiere regelmäßig eine Auszeit. Doch Schlaf ist nicht gleich Schlaf. Bei Säugetieren und dem Menschen ist er von einer veränderten Gehirnaktivität und unterschiedlichen Schlafphasen wie dem sogenannten Delta- und REM-Schlaf begleitet. Die genaue Funktion dieser Schlafphasen ist jedoch bisher noch unklar. Sie wurden bei Säugetieren und Vögeln nachgewiesen, bis jetzt jedoch nicht in Reptilien, Amphibien und Fischen untersucht. Dabei sind Reptilien durchaus Kandidaten für komplexe Schlafvorgänge, denn ihre nächsten Verwandten, die Vögel, sind die gefiederten Nachfahren der Dinosaurier und damit in gewisser Weise ebenfalls Reptilien. Tatsächlich konnten Forscher nun REM- und Deltaphasen bei der australischen Bartagame Pogona vitticeps beobachten. Demnach ist davon auszugehen, dass es die Schlafphasen mindestens seit der Evolution der ersten Landwirbeltiere gibt.

Die ersten landbewohnenden Wirbeltiere lebten vor etwa 320 Millionen Jahren und gehörten zur Gruppe der Amnioten. Ihre widerstandsfähigen Eier waren auch außerhalb des Wassers überlebensfähig und ermöglichten den Tieren ein Leben an Land. Aus den Amnioten entwickelten sich die Säugetiere sowie Reptilien und Vögel. Bartagamen sind Echsen, die vor ungefähr 250 Millionen Jahren und damit deutlich vor Dinosauriern und Vögeln aus dem Stammbaum der Reptilien abzweigten. Eigenschaften, die sowohl bei Echsen als auch bei Vögeln und Säugetieren vorkommen, besaß daher vermutlich schon ihr gemeinsamer Vorfahr.

Die Arbeitsgruppe um Gilles Laurent vom Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt hat sich das Gehirn von Reptilien als Forschungsobjekt auserkoren. Anhand des relativ einfach und urtümlich aufgebauten Reptiliengehirns wollen sie die Funktionsweise des komplizierteren menschlichen Gehirns verstehen lernen. Wie die Forscher beobachteten, wechselt die Gehirnaktivität von ruhenden Echsen zwischen zwei Aktivitätsstadien hin und her. Das brachte sie auf die Idee zu untersuchen, ob die Tiere tatsächlich über REM– und Deltaschlafphasen verfügen. Dazu werteten sie die elektrischen Aktivitätsmuster der Echsengehirne aus und verglichen sie mit Verhaltensbeobachtungen, wie etwa Augenbewegungen.

Die Wellen des Schlafs: Die Abbildung zeigt die zeitliche Entwicklung des Verhältnisses zwischen 0-4 Hertz- und 10-30 Hertz-Schwingungen (δ/β). Die Reihen repräsentieren 30-Minuten-Abschnitte beginnend von links oben nach rechts unten. Nach Ausschalten der Beleuchtung (19:00) nehmen die Tiere eine typische Schlafhaltung ein, und die Amplitude der Schwingungen steigt an (gelb). Nach dem Aufwachen gehen die Schwingungen dann wieder zurück. © MPI f. Hirnforschung/ M. Shein-Idelson, J. Ondracek, H.-P. Liaw, S. Reiter and G. Laurent

Die Wellen des Schlafs: Die Abbildung zeigt die zeitliche Entwicklung des Verhältnisses zwischen 0-4 Hertz- und 10-30 Hertz-Schwingungen (δ/β). Die Reihen repräsentieren 30-Minuten-Abschnitte beginnend von links oben nach rechts unten. Nach Ausschalten der Beleuchtung (19:00) nehmen die Tiere eine typische Schlafhaltung ein, und die Amplitude der Schwingungen steigt an (gelb). Nach dem Aufwachen gehen die Schwingungen dann wieder zurück.
© MPI f. Hirnforschung/ M. Shein-Idelson, J. Ondracek, H.-P. Liaw, S. Reiter and G. Laurent

Bartagamen schlafen fast wie Säugetiere

Laut den Forschern kommen bei Bartagamen tatsächlich REM- und Deltaschlafphasen vor, die denen der Säugetiere in vielen Punkten ähneln: Mal verlaufen die Hirnströme śchlafender Tiere in regelmäßigen Wellen mit niedriger Frequenz und hoher Amplitude. Hin und wieder weisen die Nervenzellen jedoch starke Pulse (Deltaphase) oder eine dem Wachzustand ähnliche Aktivität auf, die von schnellen Augenbewegungen (REM-Schlaf) begleitet werden. Eine weitere Gemeinsamkeit liegt darin, dass während der Deltaphasen die Aktivität der Großhirnrinde mit einer bestimmten Gehirnregion  koordiniert wird: Bei Bartagamen nennt man diese Region dorsaler ventrikulärer Kamm, in Säugetieren erfolgt diese Koordination im Hippocampus.

Die Forscher entdeckten aber auch Unterschiede: Der Schlafrhythmus der Echsen ist zum Beispiel extrem regelmäßig und schnell: Bei einer Temperatur von 27 Grad Celsius dauert ein einzelner Schlafzyklus nur etwa 80 Sekunden. Bei Katzen ist er dagegen etwa 30 Minuten lang und bei Menschen ungefähr 60 bis 90 Minuten. Außerdem sind die REM- und Deltaschlafphasen der Echsen in etwa gleich lang, während bei Säugetieren die REM-Phasen deutlich kürzer sind als die Deltaphasen. Bei Vögeln wiederum sind beide Abschnitte kurz und unregelmäßig. Insgesamt scheint das Schlafverhalten von Echsen etwas weniger komplex als das von Vögeln, Säugetieren und Menschen zu sein. Laut den Forschern könnte es dem Schlafverhalten unseres gemeinsamen Vorfahren ähneln.

Früher Ursprung

Aber deuten die Beobachtungen auf einen gemeinsamen Ursprung hin? Könnten sich die Schlafphasen nicht in Reptilien, Vögeln und Säugetieren unabhängig voneinander entwickelt haben? „Dass mehrere Tiergruppen unabhängig voneinander dieselbe Eigenschaft entwickeln, ist unwahrscheinlicher, als dass sie diese von einem gemeinsamen Vorfahren übernommen haben. Wenn auch bei anderen Reptilien, wie Schildkröten oder Krokodilen REM- und Deltaschlafphasen gefunden werden, wird das der endgültige Beleg für einen gemeinsamen Ursprung sein. Aber schon jetzt lassen die Ergebnisse vermuten, dass die REM- und Deltaschlafphasen des Gehirns mindestens so alt sind wie der gemeinsame Vorfahr von Reptilien, Vögeln und Säugetieren, der vor ungefähr 320 Millionen Jahre lebte“, erklärt Laurent. Zu dieser Zeit waren die Kontinente der Erde noch eine einzige zusammenhängende Landmasse.

Gilles Laurent und sein Team planen weitere Untersuchungen der Gehirnaktivität der Echsen im Schlaf- und Wachzustand, um die Gemeinsamkeiten von Funktion und Aufbau verschiedener Wirbeltiergehirne zu verstehen.

Max-Planck-Gesellschaft, 28. April 2016

Originalpublikation:

Shein-Idelson, M., Ondracek, J., Liaw, H.-P., Reiter, S. and Laurent, G. Slow waves, sharp-waves, ripples and REM in sleeping dragons. Science; 29 April, 2016. DOI: 10.1126/science.aaf3621

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