Früher war alles besser: Die Kinder hatten mehr Respekt vor den Älteren, sie waren intelligenter und lasen mehr. Die Kriminalität war niedriger, man konnte seinen Mitmenschen eher vertrauen, das Obst und Gemüse hatte mehr Aroma und selbst die Zukunft war besser. Das behaupten zumindest viele Menschen, wenn man sie nach der Vergangenheit fragt. Doch was ist an diesen Meinungen wirklich dran und warum werden sie seit Menschengedenken beharrlich wiederholt?
„Unsere Jugend ist heruntergekommen und zuchtlos. Die jungen Leute hören nicht mehr auf ihre Eltern. Das Ende der Welt ist nahe.“ Solche Klagen hört man von manchem Lehrer oder Politiker. Das interessante daran: Diese Einschätzung ritzte ein mesopotamischer Schreiber etwa 2000 v. Chr. in eine Tontafel. Und auch von den alten Ägypter ist ähnliches überliefert: „Wir leben in einem lügenhaften, sehr heruntergekommenen Zeitalter. Die heutige Jugend zeigt kaum noch Respekt vor den Eltern. Sie ist von Grund auf verdorben, voller Ungeduld und ohne jede Selbstbeherrschung. Über die Erfahrungen und Weisheiten der Älteren spottet sie. Das sind sehr bedenkliche Zeichen, und man muss vermuten, dass sich darin Verderben und Untergang des Menschengeschlechts drohend ankündigen.“ Und so wurde das alte Klagelied über die „heutige Jugend“ über Jahrtausende bis heute fortgeführt. Dabei gibt es Studien, die beweisen, dass beispielsweise die Intelligenz der Menschen mit jeder Generation zunimmt. Auch die menschliche Zivilisation und Kultur hat sich im Verlaufe dieser Zeit beständig weiterentwickelt. Vom Untergang der Menschheit kann da keine Rede sein.
Doch woher kommt dieses Bild vom stetigen Verfall der Kultur und dem Niedergang der Jungend? Da es sich über die Jahrtausende der Menschheitsgeschichte so hartnäckig gehalten hat, muss ihm ein Mechanismus zugrunde liegen, der zutiefst menschlich ist. Wir kommen der Lösung des Rätsels schon etwas näher, wenn wir uns anschauen, wer diese Ansichten typischerweise äußert. Meist sind es Leute, die schon auf eine Vergangenheit zurückschauen können. Ausnahmen sind junge Menschen, die diese Überzeugungen von ihren Eltern oder Großeltern übernommen haben.
Gerade ist eine neue Studie zu den Vorurteilen gegenüber der „Jugend von heute“ heraus gekommen. Laut den Autoren kommt diese Sichtweise dadurch zustande, dass jemand bei seinen Mitmenschen für die Eigenschaften einen Mangel wahrnimmt, in denen er selbst besonders gut ist und gleichzeitig seine besonderen Fähigkeiten oder Eigenschaften generell auf die Jugend der Vergangenheit projiziert. Ist jemand etwa im Moment besonders autoritätshörig, so geht er zum einen davon aus, dass er dies auch in seiner Jugend war (was defititiv nicht stimmen muss) und zum anderen meint er, diese Eigenschaft hätte für alle Jugendlichen seiner Generation gegolten. Menschen, die selbst besonders intelligent sind, glauben demnach, ihre Altersgenossen wären in ihrer Jugend alle genauso intelligent gewesen, wie sie. Gleiches gilt für den Leseeifer einer Generation. So sprechen besonders belesene ältere Menschen der Jugend gerne das Interesse an Literatur ab, während sie Felsenfest davon überzeugt sind, dass ihre Generation als ganzes literarisch interessierter war. Die Forscher konnten diesen Blickwinkel allerdings relativieren, indem sie den belesenen Probanden suggerierten, sie verfügten nur über ein unterdurchschnittliches Wissen. In diesem Fall beurteilten sie auch das Leseinteresse der „Jugend von heute“ milder.
Dazu kommt noch die triviale Erkenntnis, dass diejenigen, die meinen früher sei alles besser gewesen, dies unter anderem auch einfach deshalb glauben, weil sie selbst damals noch jünger waren und ihren Blick mehr in eine vielversprechende Zukunft richteten, als in die Vergangenheit. Denn vielleicht haben sie mit zunehmendem Alter den Eindruck, dass der längere Teil ihres Lebens bereits hinter ihnen, statt vor ihnen liegt. So verleihen sie ihren Erinnerungen an die Vergangenheit eine rosa Färbung, die sie zum Zeitpunkt ihrer Jugend nie hatte.
Gerade wir älteren Menschen sollten also vorsichtig sein, mit unserer, oft unbedachten Kritik an der Jugend. Und auch sonst war ja früher nun wirklich bei weitem nicht alles besser. Nicht, als wir mit der ständigen Bedrohung durch eine Atomkrieg aufgewachsen sind. Nicht für die vorangegangene Generation, die den zweiten Weltkrieg miterleben musste und auch nicht für deren Eltern, die vielleicht am ersten Weltkrieg teilnehmen mussten. So finden sich für jede Generation negative Ereignisse, die man bestimmt nicht miterleben wollte. Ganz zu schweigen von der wesentlich schlechteren medizinischen Versorgung unserer Vorfahren, der niedrigeren Lebenserwartung und dem geringeren Lebensstandart. Wann konnten sich die Eltern unsere Großeltern schon einen Urlaub leisten. Wenn also wieder einmal jemand behauptet, früher sei alles besser gewesen, dann lohnt es sich mal genauer nachzufragen, wann genau das denn gewesen sein soll und was er denn da genau meint. Mit ein paar historischen Fakten lässt sich diese Sichtweise unter Umständen schnell relativieren.
von Ute Keck, 32. Oktober 2019
Quellen und weiterführende Links: