Unsere Fähigkeit, sich normgerecht zu verhalten, ist eine wichtige Voraussetzung für das Funktionieren unserer Gesellschaft. Wissenschaftler konnten nun nachweisen, wie ein neuronales Zentrum in unserer Gehirnrinde die Verletzung sozialer Normen verhindert. Wenn die Wissenschaftler dieses neuronale Zentrum durch gezielte Stimulation hemmten konnten sie bei den Versuchsteilnehmern unfairen Verhalten hervorrufen.
Wenn wir in der menschlichen Gesellschaft zurechtkommen wollen, müssen wir auf andere Rücksicht nehmen und mit ihnen teilen. Wer nur auf sein eigenes Wohlergehen bedacht ist, gilt deshalb schnell als Außenseiter. Damit das nicht passiert, eignen sich die meisten Menschen eine Strategie der Fairness an. Schon seit längerem sehen Wissenschaftler einen Zusammenhang zwischen fairem Verhalten und einer Gehirnstruktur, die „dorsolateraler präfrontaler Kortex“ genannt wird und im Stirnlappen des Gehirns angesiedelt ist. „Diese Gehirnregion ist für die Selbstkontrolle verantwortlich. Davon brauchen wir ein gehöriges Maß, um unsere eigennützigen Impulse zurückzudrängen“, sagt Sabrina Strang von der Universität Bonn.
Sabrina Strang und Bernd Weber von der Universität Bonn ist es nun gelungen, den direkten funktionalen Zusammenhang zwischen dem dorsolateralen präfrontalen Kortex und normgeleitetem, fairem Verhalten nachzuweisen. Dabei nutzte das Forscherteam die wissenschaftliche Erkenntnis, dass Menschen eher zum Teilen bereit sind, wenn ihnen sonst Sanktionen drohen. „Bei Kindern ist die Bereitschaft viel größer, Süßigkeiten zu teilen, wenn ihnen als Strafe angedroht wird, die Leckereien ganz weggenommen zu bekommen“, nennt Strang ein Beispiel, das abgewandelt auch bei Erwachsenen funktioniert.
Versuchsteilnehmer spielten die Rolle von „Diktatoren“
Im Labor führten die Wissenschaftler ein sogenanntes „Diktator-Spiel“ durch. Dazu mussten Insgesamt 17 Probanden die Rolle von Diktatoren spielen: Sie durften frei darüber entscheiden, welchen Anteil eines vorher festgelegten Geldbetrags sie mit ihren Mitspielern teilen wollten. Als „Empfänger“ fungierten 60 weitere Versuchsteilnehmer. Das Spiel wurde in zwei verschiedenen Varianten gespielt: In der einen Version mussten die Empfänger die Entscheidung der Diktatoren passiv hinnehmen. In der zweiten Variante dagegen durften sie die Diktatoren abstrafen, wenn sie sich unfair behandelt fühlten: Dann mussten die Diktator für ihr unfaires Verhalten mit einer Geldstrafe büßen. Wie erwartet zeigten sich die Diktatoren immer dann besonders knausrig, wenn sie keine Sanktionen zu befürchten hatten. Konnten die „Empfänger“ sie dagegen für ihren Geiz bestrafen so erwiesen sie sich als wesentlich großzügiger.
Bei einem weiteren Spieldurchlauf schalteten die Forscher bei den Diktatoren kurz vor Spielbeginn kurzfristig den dorsolateralen präfrontalen Kortex durch Magnetstimulation aus. Bei diesem Verfahren wird durch das Erzeugen eines äußeren Magnetfeldes, das durch die Schädeldecke des Probanden hindurch wirkt die Aktivität bestimmter Hirnregionen gehemmt. „Diese Methode ist für die Testpersonen ungefährlich und nach wenigen Minuten reversibel“, sagt Strang. Wenn die Diktatoren die Geldbeträge mit gehemmter Gehirnregion verteilen sollten, war das Ergebnis eindeutig: Sie verhielten sich egoistischer und konnten ihr Verhalten den drohenden Sanktionen schlechter anpassen, als wenn ihr dorsolateraler präfrontaler Kortex normal funktionierte.
Egoistisches Verhalten wider besseres Wissen
„Obwohl die Probanden genau wussten, dass ihr unfaires Verhalten zu einer Geldstrafe führen würde, konnten sie offensichtlich aufgrund der eingeschränkten Aktivität der Hirnstruktur nicht mit angemessenen Strategien reagieren“, sagt Bernd Weber. Es sei ganz erstaunlich, dass sich ein solch komplexes Verhalten möglicherweise auf eine einzige Gehirnstruktur zurückführen lässt. Normgeleitetes Verhalten sei eine wichtige Voraussetzung für funktionierende Gesellschaften und der dorsolaterale präfrontale Kortex spiele dabei vermutlich eine Schlüsselrolle. „Es gibt allerdings noch keine Möglichkeit, die Gehirnstruktur bei einer Unterfunktion langfristig zu steigern, um faires Verhalten zu befördern“, sagt Bernd Weber.
Universität Bonn, 11.09.2014.
Publikation: Be Nice if You Have to – The Neurobiological Roots of Strategic Fairness, “Social Cognitive and Affective Neuroscience”, DOI: 10.1093/scan/nsu114