Statt den Körper im Kampf gegen eine Krebserkrankung zu unterstützen, können bestimmte Immunzellen im Gegenteil auch das Wachstum des Tumors unterstützen und ihn vor der Immunabwehr schützen. Das kommt beispielsweise immer wieder bei Darm- und Magenkrebs, Brust- und Prostatakrebs vor. Jetzt konnten Wissenschaftler zeigen, dass dieses Phänomen auch bei Lymphdrüsenkrebs (Lymphomen) auftritt. Zugleich konnten sie den molekularen Mechanismus aufklären, über den die Immunzellen das Tumorwachstum fördern.
Bei den Immunzellen, die das Wachstum von Tumoren fördern können handelt es sich um sogenannte dendritische Zellen. Sie erhielten ihren Namen nach ihren bäumchenartigen Ausläufern. Normalerweise präsentieren sie dem Immunsystem als „fremd“ erkannte Strukturen (Antigene) von Mikroorganismen oder von Tumoren und aktivieren so die Immunabwehr. Wenn die dendritischen Zellen jedoch nicht richtig ausgereift sind, kann das zur Folge haben, dass das Immunsystem nicht reagiert, also keine Gegenwehr auslöst. Aber warum fördern die dendritischen Zellen sogar das Wachstum der Tumoren? Und welche molekularen Mechanismen liegen dieser Reaktion zugrunde?
Dieser Frage sind Armin Rehm und Uta Höpken vom Max-Delbrück-Centrum, die seit Jahren die Entstehung und Entwicklung von Lymphomen erforschen, jetzt in Mäusen mit Lymphdrüsenkrebs nachgegangen. Als erstes schalteten sie die dendritischen Zellen aus und stellten fest, dass sich das Tumorwachstum unter diesen Bedingungen verlangsamt. Das war der erste Hinweis darauf, dass dendritische Zellen tatsächlich auch etwas mit dem Wachstum von Lymphomen zu tun haben. Als nächstes versuchten sie zu klären, was geschieht, wenn dendritische Zellen mit Lymphomzellen in Kontakt kommen? Wie sich zeigte schütten dendritischen Zellen, sobald sie Kontakt mit Lymphomzellen aufgenommen haben, vermehrt entzündungsfördernde Stoffe (Zytokine) und Wachstumsfaktoren aus.
Die Zytokin-Ausschüttung spielt sich in der Milz und in den Lymphknoten ab, Organen, die ebenfalls zum Immunsystem gehören. Lymphome sind entgleiste Immunzellen (B- oder T-Zellen), die zu den weißen Blutzellen (Leukozyten) gehören. Die beiden Wissenschaftler hatten vor einiger Zeit gezeigt, dass sich verschiedene Formen von Lymphdrüsenkrebs in den Lymphknoten und in der Milz ansiedeln und dort ihre eigene Überlebensnische schaffen. Gesteuert wird dieser Prozess von zwei Boten- und Wachstumsstoffen, die die beiden Forscher vor wenigen Jahren identifizieren konnten.
Überlebensnischen für Lymphome ausgebildet
„In diesen Nischen“, so Höpken, „ist fast alles schon da, was die Lymphomzellen als entgleiste B-Zellen zum Überleben benötigen. Dazu gehören unter anderem Blutgefäße und Bindegewebszellen (Stromazellen). Die von den dendritischen Zellen ausgeschütteten ,Überlebenssubstanzen‘ verändern nur ein bisschen das ,Häuschen‘, damit die Tumore besser wachsen können“, erläutert sie. Dazu gehört auch, dass die dendritischen Zellen die T-Lymphozyten daran hindern, ihre Abwehrfunktion auszuüben. Normalerweise siedeln gesunde B- oder T-Zellen in den entsprechenden B- oder T-Zell-Zonen (Nischen) von Milz und Lymphknoten, um dort für die Immunabwehr aktiviert zu werden. „Paradox ist“, so Höpken, „dass die von uns untersuchten murinen Lymphomzellen als entgleiste B-Zellen ihre Überlebensnische in den T-Zell-Zonen der Lymphknoten und der Milz und nicht in den B-Zell-Zonen finden.“
Nach der Kontaktaufnahme mit Lymphomzellen regeln die dendritischen Zellen verstärkt einen Transkriptionsfaktor hoch, C/EBPbeta genannt. Dieser Faktor fördert die Produktion von Zytokinen, die die Entzündungreaktion in Gang setzen. Es ist bereits bekannt, dass Entzündungen zu Krebserkrankungen führen können. So spielen etwa Entzündungen bei der Entstehung von Darmkrebs, Magenkrebs, Brustkrebs und Prostatakrebs eine Rolle. Möglicherweise könnte dies auch für Leberkrebs gelten. „Es ist dieser Faktor C/EBPbeta, der die dendritischen Zellen steuert und ohne den sie keine entzündlichen Zytokine ausschütten können. Er blockiert damit auch – indirekt – das Selbstmordprogramm (Apoptose) in den Lymphomzellen, weshalb die Krebszellen stattdessen ungehemmt wachsen“, so die beiden Forscher.
Zwar ist das Modell für Lymphdrüsenkrebs, das auf einer Überaktivierung des Myc-Gens basiert, nicht vollständig mit B-Zell-Lymphome des Menschen übertragbar. Dennoch beweist es, dass sich die Lymphomzellen und die dendritischen Zellen gegenseitig beeinflussen können. Ein bis dato unbekannter molekularer Mechanismus.
Bedeutung für die Klinik
Außerdem könnten die Erkenntnisse der Forscher auch für die Klinik relevant sein. Seit einigen Jahren werden Patienten mit multiplem Myelom mit Lenalidomid behandelt, einem Wirkstoff, der mit der Substanz Thalidomid (dem Wirkstoff von Contergan) nahe verwandt und weiterentwickelt worden ist. Dieses Medikament bewirkt, dass der von den Krebszellen ausgeschüttete Transkriptionsfaktor C/EBPbeta herunterreguliert wird, also weniger davon produziert wird. „Vor diesem Hintergrund wäre es sinnvoll, Lenalidomid auch bei Patienten mit einem Myc-B-Zell-Lymphom zusätzlich zu einer bereits bestehenden Krebstherapie einzusetzen und damit die Immunabwehr zu stärken“, schlagen die beiden Krebsforscher vor.
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin Berlin-Buch, 30. September 2014
Armin Rehm,, Marcel Gätjen, Kerstin Gerlach, Florian Scholz, Angela Mensen, Marleen Gloger, Kristina Heinig, Björn Lamprecht, Stephan Mathas, Valérie Bégay, Achim Leutz, Martin Lipp, Bernd Dörken, and Uta E. Höpken. Dendritic cell-mediated survival signals in Em-MycB cell lymphoma depend on the transcription factor C/EBPb. Nature Communications, doi: 10.1038/ncomms5740