Wie sich überempfindliche Schmerzsensoren wieder beruhigen

Nozizeptor:. © Zsynth. CC BY-SA 3.0.

Der Nozizeptor ist eine freie sensorische Nervenendigung, die eine Gewebeschädigung oder Verletzung durch eine thermische, chemische oder mechanische Schädigung in elektrische Signale (Aktionspotentiale) umwandelt. © Zsynth. CC BY-SA 3.0.

Anhaltende Schmerzreize, wie etwa Entzündungen, machen die feinen Nervenendigungen der Haut und des Bindegewebes, die Schmerzsensoren des Körpers, mit der Zeit überempfindlich. Wissenschaftler haben nun einen molekularen Mechanismus entdeckt, mit dem die erhöhte Sensibilität wieder rückgängig gemacht werden kann. Bisher kannte man nur zahlreiche Mechanismen, die zu einer Sensibilisierung führen, nicht jedoch solche die eine Beruhigung der Nervenzellen bewirken. Von der weiteren Erforschung des Signalwegs erhoffen sich die Forscher neue Erkenntnisse zur Entstehung chronischer Schmerzen. Zudem könnte der entdeckte Mechanismus neue Ansatzpunkte für die Schmerztherapie bieten.

Wie sich eine Überempfindlichkeit unserer Nozizeptoren, der Schmerzsensoren, anfühlt, weiß jeder, der schon einmal einen Sonnenbrand hatte. Nach dieser starken Sensibilisierung schmerzt selbst die leichte Berührungen der Kleidung und selbst die, normalerweise als wohltuend empfundene Wärme nehmen wir dann als unangenehm wahr. Ähnliches passiert bei Verletzungen oder Entzündungen. Diese Sensibilisierung des Nervensystems soll bewirken, dass die betroffenen Bereiche geschont werden und so besser heilen können.

Bekannter Botenstoff des Nervensystems, GABA, bewirkt Desensibilisierung der Nervenenden

Schmerz ist jedoch nicht gleich Schmerz: denn für jede Schmerzart gibt es unterschiedliche Detektoren. Die Forscher um Jan Siemens vom Universitätsklinikum Heidelberg untersuchten die Sensibilisierung durch Schmerzreize, die Nervenzellen über den Capsaicin-Rezeptors (TRPV1) erfassen. Dieser Schmerzsensor reagiert etwa auf Inhaltsstoffe von Pfeffer, und Chili, auf Hitze, Säure und eben auch bestimmte Botenstoffe des Immunsystems, die bei Entzündungen ausgeschüttet werden. Hält der Schmerzreiz länger an, wie das bei jeder Entzündung der Fall ist, wird der Capsaicin-Rezeptor entweder modifiziert oder in größerer Menge produziert. Als Konsequenz werden die Nervenenden leichter reizbar als sonst und geben selbst schwache Reize als Schmerz an das Gehirn weiter.

Das Signal zur Beruhigung vermittelt der im zentralen Nervensystem weit verbreitete Botenstoff, γ-Aminobuttersäure (GABA). Seine Rolle in der Schmerzregulation von Gehirn und Rückenmark ist seit langem bekannt. Er ist der wichtigste hemmende Botenstoff im zentralen Nervensystem. Das GABA jedoch auch im Bereich des peripheren Nervensystems vorkommt hatte bisher niemand angenommen. Die Forschergruppe um Siemens wies GABA und seinen Bindungspartner, den dazugehörigen Rezeptor GABA B1, nun auf der Oberfläche von Nervenenden nach. Wie die Wissenschaftler zeigen konnten, wird der Rezeptor GABA B1 vom Botenstoff GABA aktiviert und versetzt dadurch den Capsaicin-Rezeptor wieder in seinen Ausgangszustand. Wie das im Detail funktioniert, müssen die Wissenschaftler jedoch noch näher untersuchen.

Keine völlige Blockade – wichtige Reize können weiterhin verarbeitet werden

„Das Besondere an diesem Signalweg ist die differenzierte Wirkweise: Er schaltet das Schmerzprotein Capsaicin-Rezeptor (TRPV1) nicht komplett ab, sondern macht nur die erhöhte Reizbarkeit rückgängig. Die Nervenendigungen bleiben dadurch weiterhin empfänglich für Reize von außer- und innerhalb des Körpers“, so Siemens. Und das ist für die Therapie gegen die Überempfindlichkeit der Nervenenden bei anhaltenden Schmerzen von zentraler Bedeutung. Denn bisher entwickelte Wirkstoffe schalten den Capsaicin-Rezeptor komplett aus, mit fatale Folgen: Ohne den Capsaicin-Rezeptor kann das Nervensystem nämlich die Körper­temperatur nicht mehr richtig regulieren. Deshalb kommt es bei der Therapie zu einem massiven, fieberähnlichen Anstieg der Körpertemperatur.

„Der neu entdeckte Signalweg könnte eine erste Ansatzmöglichkeit sein, gezielt die Schmerz­überempfindlichkeit auf Ebene der Nervenenden zu dämpfen, ohne dabei wichtige Regulations­prozesse im Körper zu stören“, sagt der Biochemiker. Wirkstoffe, die sich diesen Mechanismus zunutze machen, könnten etwa gegen chronische Entzündungen eingesetzt werden. Denn bei ihnen bleibt der Schmerzauslöser und damit die Sensibilisierung der Nervenenden dauerhaft bestehen. Mit den neuen Erkenntnissen ließe sich aber möglicherweise auch die Entstehung chronischer Schmerzen verhindern, die bei Bandscheibenvorfällen oder an Operationsnarben auftreten.

Universitätsklinikum Heidelberg, 19.02.2015

 

Originalpublikation:

Hanack C, Moroni M, Lima WC, Wende H, Kirchner M, Adelfinger L, Schrenk-Siemens K, Tappe-Theodor A, Wetzel C, Kuich PH, Gassmann M, Roggenkamp D, Bettler B, Lewin GR, Selbach M, Siemens J. GABA Blocks Pathological but Not Acute TRPV1 Pain Signals. Cell. 2015 Feb 12;160(4):759-70. doi: 10.1016/j.cell.2015.01.022.

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