Bekommt ein Patient eine neue Hüfte, so kann diese bisher nur grob an dessen Beinlänge angepasst werden. Denn bisher gibt es hierfür keine genauen Messverfahren und auch die Implantate können nicht entsprechend eingestellt werden. Das soll sich nun ändern: Forscher haben dazu eine neuartige Messmethode und ein modulares Implantat entwickelt, mit dessen Hilfe Ärzte künftig die Beinlänge nach der Operation exakt wieder in die ursprüngliche Länge bringen können.
Die Hüfte schmerzt und fühlt sich instabil an. Auch die Beweglichkeit ist stark eingeschränkt. Jedes Jahr benötigen in Deutschland mehr als 200.000 Menschen eine künstliche Hüfte. Das stellt für die Implantat-Hersteller eine Herausforderung dar. Denn die künstlichen Gelenke unterliegen einer starken mechanischen Beanspruchung und können im Laufe der Zeit brechen. Darüber hinaus gibt es bisher keine geeignete Methode, um die Beinlänge vor der Operation präzise zu messen und die Implantate entsprechend anzupassen. Das hat zur Folge, dass das Bein durch die Operation kürzer oder länger werden kann. Was zu Problemen an der Wirbelsäule führt. Bisher können nur Einlagen diesen Fehler ausgleichen.
Künftig lässt sich die Beinlänge der Patienten deutlich genauer bestimmen. Forscher am Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU haben eine neuartige Messmethode entwickelt, gemeinsam mit ihren Projektpartnern der Klinik für Orthopädie, Unfallchirugie und Plastische Chirurgie des Universitätsklinikums Leipzig, der Westsächsischen Hochschule Zwickau und ihrem Forschungs- und Transferzentrum e.V , der AQ Implants GmbH sowie der MSB-Orthopädie-Technik GmbH. »Bei unserem Verfahren liegt der Fehler unter einem Zentimeter«, erläutert Dr. Ronny Grunert, Wissenschaftler am IWU. »Langfristig wollen wir ihn sogar auf fünf Millimeter reduzieren.« Bisher messen die Ärzte die Beinlänge mit einem Maßband, wobei der Fehler bis zu zwei Zentimeter betragen kann.
Und so funktioniert die neue Methode: Der Arzt befestigt auf dem Schienbein des liegenden Patienten ein Kunststoffkästchen, in dem sich zwei LEDs befinden. Dann ergreift er das überstreckte Bein an der Ferse und bewegt es nach oben. Die Lichtpunkte durchlaufen aufgrund der Bewegung eine Kreisbahn, die eine etwa eineinhalb Meter seitlich vom Patienten stehende Kamera aufzeichnet. Die Kreisbahn entsteht dabei ähnlich wie bei einem Zirkel: In diesem Fall stellt das Hüftgelenk, an dem das Bein »aufgehängt« ist, die Nadel dar und die LEDs entsprechen dem Bleistift. Ändert sich der Abstand, da das Bein länger oder kürzer wird, ändert sich auch die Kreisbahn, die die LEDs ziehen. Diese Messung führt der Mediziner einmal direkt vor der Operation durch und ein zweites Mal, nachdem er das Implantat probeweise eingesetzt hat – das Kästchen verbleibt während der Operation am Bein. Eine Software vergleicht die beiden Kreisbahnen und stellt auf diese Weise fest, ob das Bein immer noch genauso lang ist wie vor dem Eingriff. Falls notwendig, passt der Arzt die künstliche Hüfte an. Einen Prototyp des Messsystems gibt es bereits, erste Tests in der Universitätsklinik Leipzig verliefen erfolgreich. Eine klinische Studie soll noch in diesem Jahr folgen, in etwa zwei Jahren könnte die Entwicklung auf den Markt kommen.
Bruchfeste und anpassbare Hüftimplantate
Auch die Hüftimplantate selbst haben die Forscher optimiert, ebenfalls Hand in Hand mit den beteiligten Projektpartnern aus Industrie, Klinik und Forschung. »Wir haben ein Implantat entwickelt, das individuell an den Patienten angepasst werden kann«, sagt Grunert. Der Clou dabei: Statt vorgefertigter Implantate in verschiedenen Größen setzen die Forscher auf ein Baukastensystem. Daraus kann der Arzt individuell für jeden Patienten den passenden Hüftschaft sowie den richtigen Gelenkhals auswählen. Über spezielle Schraubverbindungen fixiert der Mediziner die einzelnen Teile aneinander und setzt das Implantat probeweise ein. Nun misst er die Beinlänge und kann wenn nötig die Module des Implantats leicht wieder voneinander lösen, gegen passende austauschen oder sie entsprechend justieren.
Ein weiterer Vorteil: Das künstliche Gelenk ist bruchsicherer als herkömmliche modulare Modelle mit konischer Klemmung. Bisher setzt der Arzt den Grundkörper und den Hals der vorgefertigten künstlichen Hüfte im OP mit einem gezielten Hammerschlag zusammen. Die Verbindungsstelle – eine konischen Klemmung – wird dabei stark belastet. Zum anderen lassen sich einmal zusammengefügte Teile kaum wieder voneinander lösen und anpassen. Anders dagegen die speziellen Schraubverbindungen, die die Teile des neuen Implantats zusammenhalten: Diese Verbindungsstelle ist mechanisch stabil und vermeidet Implantatbrüche.
Die Arbeiten entstanden im Kooperationsnetzwerk Kunstgelenk, das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie BMWi gefördert sowie vom Fraunhofer IWU koordiniert wird. Auf der Messe Medtec (21.- 23. April in Stuttgart, Halle 7, Stand B04) stellen die Forscher sowohl das Messsystem für die Beinlänge, das modulare Hüftimplantat sowie das Netzwerk »Kunstgelenk« vor.
Frauenhofer Gesellschaft, 8.4.2015