Von der Miesmuschel gelernt: Wie Körperzellen Knochenimplantate besser besiedeln können

Miesmuschel. © Darkone. CC BY-SA 2.0.

Miesmuschel. © Darkone. CC BY-SA 2.0.

Nach Unfällen oder Verschleißerscheinungen müssen Knochenteile nicht selten durch künstliche Implantate ersetzt werden. Doch viele für das Implantat verwendeten Materialien können aufgrund ihrer glatten Oberfläche nicht leicht von körpereigenen Zellen besiedelt werden. Deshalb stößt der Körper diese oft ab. In Zukunft könnte dies eine neuartige Beschichtung von Implantaten verhindern, die es den Knochenzellen erleichtert sich anzuheften. Die Idee für die neue Technik lieferte der Feind aller Seefahrer: Die Miesmuschel. Sie verfügt über Proteine, mit denen sie sich an jeder noch so glatten Oberfläche eines Schiffsrumpfs anheften kann.

Seit zwei Jahrzehnten gilt es als eines der besten Materialien für künstliche Hüftgelenke, Zahnimplantate, Schienbeine und Unterarmknochen: Titan. Denn es ist besonders korrosionsbeständig und verträglich. Daher wird es bei über 95 Prozent aller Knochenimplantate verwendet. Doch bisher birgt der metallene Knochenersatz einen gravierenden Nachteil: Die Zellen des Knochens können sich an der glatten Oberfläche des Metalls nur schlecht anheften. Mit gravierenden Folgen: Das Implantat wird nicht richtig von Körperzellen besiedelt, um bei der Operation entstandene Lücken zu füllen. Das kann dazu führen, dass der Knochenersatz abgestoßen wird.

Ein Team von Biochemikern um Annette Beck-Sickinge an der Universität Leipzig hat nun eine Entdeckung gemacht, die dieses Problem bald Geschichte sein lassen könnte: Sie haben aus Peptiden, kleinen Proteinbruchstücken, eine neuartige Beschichtung entwickelt, die das Anwachsen von Knochenzellen an Titanoberflächen und damit an Implantaten wesentlich verbessern könnte. Inspirieren ließen sie sich dabei von der Natur.

„Wie macht das eigentlich die Miesmuschel, wenn sie im Hafen an den Rumpf unzähliger Schiffe andockt“, fragte sich vor fast vier Jahren, die Arbeitsgruppe für Bioorganische Chemie an der Universität Leipzig. Was in der Schifffahrt als ausgesprochen lästig empfunden wird und ganze Schiffsrümpfe zerstört, erwies sich für die Biochemiker als ein Geschenk der Natur. Sie untersuchten den Klebstoff, der die Muscheln haften lässt und fanden darin die Lösung für das medizintechnische Problem. Dazu identifizierten sie das Protein, mit dem sich die Muscheln an die Schiffsrümpfe anheften. Wie sie herausfanden ist nur ein kurzer Bereich dieses Eiweißmoleküls für die Klebeeigenschaften verantwortlich. Diese sogenannten Peptide bauten sie künstlich nach und passten sie an ihre Bedürfnisse an.

Daraus entwickelten die Forscher eine Art Klebstoff, der auf die Oberfläche von Titanimplantaten aufgebracht werden kann. Wie die von den Muscheln hergestellten Peptide haftet diese Bindungsstruktur ausgezeichnet auf der glatten Oberfläche des Metalls. Der Trick dabei: Damit der Körper die Peptidstrukturen auf der Metalloberfläche nicht als fremd erkennt und abstößt haben die Forscher zwei „Zellklebstoffe“, die von Proteinen des menschlichen Körpers abgeleitet wurden, verwendet. Mit ihrer Hilfe können sich die Knochenzellen an die künstlichen Körperteile heften.

Zur Zeit testen die Forscher diese Methode im Tiermodell. Wenn diese Studien erfolgreich abgeschlossen sind, könnte sie in einigen Jahren auch beim Menschen eingesetzt werden. Langwierige Heilungsprozesse, in deren Verlauf es auch zu gefährlichen Entzündungen kommen kann, könnten dann der Vergangenheit angehören.

Universität Leipzig, 19.April 2016

Originalpublikation:

Pagel M, Hassert R, John T, Braun K, Wießler M, Abel B, Beck-Sickinger AG. Multifunctional Coating Improves Cell Adhesion on Titanium by using Cooperatively Acting Peptides. Angew Chem Int Ed Engl. 2016 Apr 4;55(15):4826-30. DOI:10.1002/ange.201511781

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