Wie gut wirkt ein Medikament gegen Lungenkrebs? Bisher ließ sich diese Frage nur mit Tierversuchen beantworten. Ein neues, dreidimensionales Lungenmodell soll künftig genauere Resultate erzielen und Tierversuche langfristig vermindern oder gar ersetzen. Auf der Messe BIO vom 23. bis 26. Juni in San Diego, USA präsentieren die Forscher das neue Modell (German Pavillon, Stand 4513-03).
Die Diagnose Lungenkrebs ist ernst. Den Patienten bleibt nur noch die Hoffnung auf eine Chemotherapie. Doch ob sie helfen wird, kann niemand genau vorhersagen: Zum einen wirken die Medikamente nicht bei jedem Patienten gleich gut. Zum anderen sind die Systeme, mit denen Pharmakonzerne die Therapeutika testen, nicht optimal. »Zwar sind Tiere die besten Modelle, die wir zurzeit haben: Dennoch versagen beim Menschen 75 Prozent der Medikamente, die im Tierversuch positiv getestet wurden«, erklärt Prof. Dr. Heike Walles. Sie leitet die Würzburger Projektgruppe »Regenerative Technologien für die Onkologie« des Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB.
Künftig sollen die Tests bessere Ergebnisse bringen: »Wir haben ein neuartiges dreidimensionales Testsystem entwickelt, über das wir die Situation im menschlichen Körper sehr gut nachstellen können – und mit dem wir Tierversuche künftig ersetzen wollen«, erläutert Walles. Im Prinzip bauen die Forscher menschliche Lungen im Miniformat nach – mit 1 mal 1 mal 0,5 Zentimetern sind sie nicht größer als ein Zuckerstückchen.
Gleichzeitig simulieren die Kollegen am Lehrstuhl für Bioinformatik der Universität Würzburg die Therapie für die jeweiligen Patientengruppen auf dem Computer. Denn tragen die Patienten genetische Veränderungen in sich, sprechen Therapien oft nicht wie gewünscht an. Durch den Vergleich der theoretischen Modelle mit den biologischen können beide Forschergruppen, ihre Voraussagen optimieren.
Das biologische Testystem basiert auf menschlichen Lungentumor-Zellen. Diese wachsen auf einem Gerüst aus Bindegewebe. So entsteht eine künstlichen Lunge. Ein Bioreaktor lässt diese atmen und pumpt Nährmedium durch die Blutgefäße – ganz so, wie der Körper das natürliche Organ mit Blut versorgt. Mit Hilfe des Reaktors lässt sich sogar einstellen, wie schnell und wie tief die Atmung ist.
Das Lungengewebe konnten die Wissenschaftler bereits erfolgreich aufbauen. »Therapien, die in der Klinik zu Resistenzen führen, tun dies auch in unserem Modell«, erläutert Walles. Ziel der Forscher ist es jetzt, mit ihrer künstlichen Lunge neue Therapeutika auszutesten. Zeigen sich dort Resistenzen, können die Ärzte von Anfang an auf eine Kombi-Therapie setzen und diese Probleme umgehen. Langfristig ist es sogar denkbar, für jeden Patienten ein eigenes Lungenmodell zu erstellen: Dann ließe sich genau vorhersagen, welche Therapien bei eben diesem Patienten ansprechen und welche nicht. Die menschlichen Lungenzellen, die dafür nötig sind, erhält man über die Biopsie, mit der die Ärzte den Tumor untersuchen.
Den Metastasen auf der Spur
Neue Medikamente zu testen, ist allerdings nicht die einzige Anwendung des Lungenmodells. Es soll den Forschern auch dabei helfen, die Bildung von Metastasen zu verstehen. Denn sie sind es, die den Krebs oft tödlich enden lassen. »Bisher hat man die Metastasierung kaum verstanden, denn sie lässt sich weder im Tier noch mit Hilfe von zweidimensionalen Modellen untersuchen, bei denen die Zellen nur flach auf einer Oberfläche wachsen. Unser dreidimensionales Lungengewebe ermöglicht erstmals eine solche Analyse – und erlaubt es auf lange Sicht vielleicht sogar, Patienten vor Metastasen zu schützen«, freut sich Walles. Denn um durch den Körper zu wandern, ändern die Tumorzellen ihre Oberflächenmarker, also die Moleküle, die sie in einer bestimmten Region festhalten. Die Krebszellen verteilen sich dann über das Blutsystem im Organismus. Dort können sie sich erneut festsetzen, indem sie wieder ihre ursprünglichen Oberflächenmarker ausbilden. Wie diese Verwandlung im Einzelnen vor sich geht, wollen die Wissenschaftler mit ihrem künstlichen Blutkreislauf im Lungenmodell erforschen – und so vielleicht eines Tages Metastasen mit Medikamenten entgegenwirken, noch bevor sie entstehen.
Presseinformation der Fraeunhofer Gesellschaft vom 26.5.2014