Die empfindliche Balance des Immunsystems

Im Immunsystem besteht ein empfindliches Gleichgewicht zwischen der Neubildung von Zellen und deren Abbau. © twinmo  / pixelio.de

Im Immunsystem besteht ein empfindliches Gleichgewicht zwischen der Neubildung von Zellen und deren Abbau.
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Die Aktivität des Immunsystems muss strikt kontrolliert werden, um dessen empfindliches Gleichgewicht aufrecht zu erhalten. Damit unser Immunsystem fremde Eindringlinge erfolgreich abwehren kann, muss es erst viele Immunzellen bilden und aktivieren, um die Infektion abzuwehren. Anschließend müssen die zahlreichen, aggressiven Zellen jedoch wieder abgetötet werden, damit sie ihre zerstörerische Aktivität, nach dem Verschwinden der Keime, nicht gegen unseren eigenen Körper richten. Forscher haben nun ein Protein entdeckt, das in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle spielt.

Wenn unser Körper von Bakterien, Viren oder Pilzen infiziert wird, sorgt unser Immunsystem für eine Abwehr der Eindringlinge. Die weißen Blutkörperchen, Lymphozyten genannt, teilen sich massiv und vermehren sich so um ein mehrere Hundertfaches. Die neu gebildeten T-Killerzellen töten dann körpereigene Zellen ab, die mit Viren infiziert sind. B-Zellen produzieren Antikörper, die an Proteine auf der Oberfläche der Eindringlinge binden. Und Makrophagen fressen dann die so markieren Keime auf und machen sie damit unschädlich.

Sobald die Keime erfolgreich vernichtet sind, muss die Zahl der Immunzellen wieder zurückgefahren werden. Denn eine zu große Zahl an nicht mehr benötigten Zellen verbraucht zum einen unnötig viel Energie und birgt die Gefahr, dass einige der Zellen eigene Gewebe angreifen und zerstören. Und im Extremfall können die überzähligen Zellen sogar Blutkrebs verursachen. Der Abbau der überschüssigen Zellen wird durch den programmierten Zelltod, Apoptose genannt, bewerkstelligt. Der Mechanismus der Apoptose wird streng reguliert, damit die Zellen tatsächlich erst absterben, wenn sie ihre Aufgaben vollständig erfüllt haben. Wenn der Prozess der Apoptose gestört ist, kann es zu Autoimmunerkrankungen kommen, bei denen Immunzellen körpereigenes Gewebe angreifen und zerstören. Zu diesen Krankheiten gehören unter anderem viele neurodegenerative Erkrankungen wie Guillain-Barré-Syndrom und Multiple Sklerose aber auch Diabetes mellitus Typ 1, Lupus erythematodes, Morbus Crohn und Rheumatoide Arthritis.

Ingo Schmitz und sein Team am Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig haben nun herausgefunden, dass das Protein c-FLIP eine wesentliche Bedeutung für die Kontrolle der Apoptose hat. c-FLIP liegt in unserem Körper in verschiedenen Varianten, sogenannten Isoformen, vor: c-FLIP-L, c-FLIP-S und c-FLIP-R. Die beiden Isoformen c-FLIP-L und c-FLIP-S waren schon genauer charakterisiert worden. Von c-FLIP-R war aber noch keine Funktion bekannt. Deshalb haben die Wissenschaftler aus Braunschweig diese Isoform genauer untersucht. Dabei haben sie herausgefunden, dass c-FLIP-R Immunzellen vor der Apoptose schützt. Solange c-FLIP-R in den Zellen aktiv ist, sind die Lymphozyten vor dem programmierten Zelltod geschützt. Sobald aber das Protein c-FLIP-R nicht mehr in der Zelle vorhanden ist, findet bei den Lymphozyten eine Apoptose statt und die Zellen sterben ab.

Normalerweise wird Forschung zuerst an Mäusen als Modellorganismen durchgeführt und später wird untersucht, wieweit man diese Versuchsergebnisse auf den Menschen übertragen kann. Im diesem Fall war es jedoch genau umgekehrt. Schmitz und sein Team wussten bereits von Patienten mit Akuter Lymphoblastischer Leukämie (ALL), dass ihre Lymphozyten durch eine Aktivierung von c-FLIP-S und c-FLIP-R vor Apoptose geschützt sind. Wie c-FLIP-Proteine im Zusammenhang eines gesamten Organismus funktionieren wollten die Forscher nun an einem geeigneten Modellorganismus untersuchen. Es war zu vermuten, dass die c-FLIP-Proteine einer strengen Regulierung unterliegen. Eine solche Situation lässt sich jedoch nur schwer untersuchen. Um eindeutige Effekte beobachten zu können, greifen Forscher deswegen gerne auf Mäusezuchtlinien zurück, bei denen ein bestimmtes Protein, unabhängig von seiner natürlichen Regulation, permanent aktiviert ist. Um die Wirkung von c-FLIP-R zu erforschen, wählten die Wissenschaftler deshalb Mäuse aus, bei denen c-FLIP-R ständig in allen Blutzellen gebildet wird.

Bei jungen Mäusen dieser Linie sieht das Immunsystem der Tiere unverändert aus. Aber die weißen Blutkörperchen sind bei ihnen durch das ständig vorhandene c-FLIP-R vor Apoptose geschützt. Das wirkt sich direkt auf ihre Immunabwehr aus: Sie können eine Infektion mit Listerien besser abwehren. Listerien sind Bakterien, die durch verunreinigte Lebensmittel übertragen werden und auch den Menschen befallen können. Während der Infektion ist bei diesen Mäusen die Zahl der Bakterien im Blut niedriger als bei normalen Mäusen und die durch den Befall verursachten Organschäden fallen geringer aus. Normalerweise würde gegen Ende der Immunreaktion das Protein c-FLIP-R wieder abgebaut werden, damit die große Zahl der im Verlaufe der Immunantwort gebildeten Zellen wieder absterben kann und das empfindliche Gleichgewicht des Immunsystems gewahrt bleibt. Wegen des auf Dauer künstlich erhöhten c-FLIP-R-Spiegels sterben die überzähligen Immunzellen jedoch nicht ab, was gravierende Folgen für die Gesundheit der Tiere im Alter hat.

Schon die Zusammensetzung der Lymphozyten von alten Mäusen war deutlich verändert: Die Anzahl der T-Zellen lag niedriger, als bei normalen Mäusen, dagegen war die Zahl der B-Zellen etwas erhöht. Zudem waren die Immunzellen der alten Mäuse stark aktiviert. Als Folge dieser Überaktivierung fanden die Forscher im Blut der Tiere sogenannte antinukleäre Antikörper (ANA), Autoantikörper, die gegen Zielproteine im Zellkern gerichtet sind. Diese Art von Antikörpern sind symptomatisch für Erkrankungen, bei denen Zellen zerstört werden. Dabei gelangt der Inhalt des Zellkerns ins Blut und das Immunsystem bildet Antikörper dagegen. In den Nieren der Tiere fanden die Forscher als Folge einer fehlgeleiteten Immunreaktion krankhafte Proteinablagerungen, wie sie für ein Immunsystem typisch sind das begonnen hatte sich gegen den eigenen Körper zu wenden. Auch das Lungengewebe zeigte deutliche Spuren dieses fehlgeleiteten Immunsystem. Wenn c-FLIP-R ständig aktiviert war, wanderten Immunzellen in die Lunge und die Nieren ein und griffen dort das Gewebe an. Den Forschern bot sich ein Krankheitsbild, das stark an Systemischen Lupus Erythematodes (SLE), eine Autoimmunkrankheit beim Menschen, erinnert.

Nova Scotia Duck Tolling Retriever bekommen häufig SLE. Grund für die besondere Anfälligkeit für diese Autoimmunkrankheit könnte eine in der Vergangenheit aufgetretene Epidemie von Hundestaupe sein, bei der nur Hunde mit einem besonders starken Immunsystem überlebten. © Aecrane. CC BY-SA 3.0.

Nova Scotia Duck Tolling Retriever bekommen häufig SLE. Grund für die besondere Anfälligkeit für diese Autoimmunkrankheit könnte eine in der Vergangenheit aufgetretene Epidemie von Hundestaupe sein, bei der nur Hunde mit einem besonders starken Immunsystem überlebten.
© Aecrane. CC BY-SA 3.0.

Ein weiteres Beispiel für ein aus dem Gleichgewicht geratenes Immunsystem und dessen Folgen stellt eine Hunderasse dar. Die Krankheit SLE ist beim Nova Scotia Duck Tolling Retriever besonders weit verbreitet. Diese Hunderasse wurde Anfang des 20ten Jahrhunderts durch einen Ausbruch der Hundestaupe stark dezimiert. Die Hunde, die diese Seuche überlebt haben, waren wahrscheinlich die mit dem stärksten Immunsystem. Als Nebeneffekt dieses starken Immunsystems entwickeln sie nun aber vermutlich verstärkt die Autoimmunkrankheit SLE. Im Rahmen des LUPA Projekts, sollen bei den massiv ingezüchteten Hunderassen Krankheitsgene identifiziert werden, die auch für beim Menschen auftretende Krankheiten relevant sein könnten. Bei vielen Hunderassen treten aufgrund der Inzucht ganz bestimmte Krankheiten gehäuft auf. Beim Nova Scotia Duck Tolling Retriever wurde in diesem Projekt nach Genen gesucht, die dafür verantwortlich sind, dass sie so häufig an SLE leiden. Bisher konnten aber nur grobe Bereiche im Genom dieser Rasse eingegrenzt werden, die für die Krankheit verantwortlich sein könnten. Zudem wurde die Studie mit Genomweiten Assoziationsstudien durchgeführt, einer statistischen Methode, die oft nicht zu reproduzierbaren Ergebnissen führt. Alle in diesem Ansatz identifizierten Genombereiche fallen nicht mit der Lage des c-FLIP-Gens zusammen. Wegen der Fehleranfälligkeit der verwandten Methode wäre es aber dennoch interessant zu untersuchen, ob das Gen c-FLIP-R beim Nova Scotia Duck Tolling Retriever ebenfalls verändert ist.

Fazit

Die Apoptose bei akuten Infektionen zu hemmen, wirkt sich also positiv auf die Bekämpfung von Keimen aus. Wenn jedoch das Absterben der Immunzellen wegen einer mangelhaften Regulation der Apoptose nicht stattfinden kann, führt die Anwesenheit einer Überzahl von übermäßig aktivierten Immunzellen langfristig zu Autoimmunkrankheiten. c-FLIP-R spielt also eine wichtige Rolle beim aufrecht erhalten des Gleichgewichts im Verlaufe einer Immunreaktion. Hier könnte man möglicherweise mit therapeutischen Wirkstoffen eingreifen, wenn das Immunsystem aus der Balance gerät.

von Ute Keck

 

Frida Ewald, Michaela Annemann, Marina C. Pils, Carlos Plaza-Sirvent, Frauke Neff, Christian Erck, Dirk Reinhold, Ingo Schmitz. Constitutive expression of murine c-FLIPR causes autoimmunity in aged mice. Cell Death & Disease, 2014 doi:10.1038/cddis.2014.138

Tanja Telieps, Frida Ewald, Marcus Gereke, Michaela Annemann, Yvonne Rauter, Marc Schuster, Nana Ueffing, Dorthe von Smolinski, Achim D. Gruber, Dunja Bruder, Ingo Schmitz Cellular-FLIP, Raji isoform (c-FLIPR) modulates cell death induction upon T-cell activation and infection European Journal of Immunology, 2013, DOI: 10.1002/eji.201242819

M Wilbe et al. Genome-wide association mapping identifies multiple loci for a canine SLE-related disease complex.
Nature Genetics, 2010. DOI : 10.1038/ng.525

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