Bei dem Fadenwurm C. elegans, einem beliebten „Versuchskaninchen“ der Biologen, beginnt der Alterungsprozess unmittelbar nachdem die Tiere die Geschlechtsreife erlangt haben, wie Forscher nun herausgefunden haben. Ausgelöst wird die Alterung der Tiere durch ein Abschalten der zellulären Stressantwort. Sie sorgt normalerweise dafür, dass die Proteine in der Zelle richtig gefaltet und funktionsfähig bleiben. Beim Fadenwurm wird dieser lebenswichtige Mechanismus durch das Umlegen eines genetischen Schalters in den Stammzellen der Keimbahn ausgeschaltet. In der frühen Jugend sorgt er bei den winzigen Würmchen dafür, dass sie zu altern beginnen, sobald sie damit anfangen sich zu vermehren. Die für diesen Mechanismus verantwortlichen Gene kommen auch bei uns Menschen vor. Demnach könnte auch für uns gelten, dass bereits mit dem Beginn der Geschlechtsreife die Alterung eingeleitet wird.
Wie Richard I. Morimoto und sein Mitarbeiter Labbadia von der Northwestern University in den USA beobachteten, beginnt der Alterungsprozess bei C. elegans sobald die 1 mm winzigen Würmchen erwachsen geworden sind. Dann wird quasi ein genetischer Schalter umgelegt, der den Mechanismus ausschaltet, der die Zellen vor Stress schützt. Veranlasst wird das Umlegen dieses Schalters von den Stammzellen der Keimbahn, die Eier und Spermien der Würmer bilden.
Bei allen Lebewesen spielen sogenannte Hitzeschock- oder Stressproteine eine wesentliche Rolle bei der Aufrechterhaltung der korrekten Faltung von Proteinen. Denn verklumpen diese aufgrund einer falschen Faltung, so kann das gravierende Probleme auslösen, wie etwa bei den Krankheiten Alzheimer, Parkinson, Creutzfeld Jakob, der Pick-Krankheit und Chorea Huntington, die alle mit Proteinaggregaten einhergehen. Da mit zunehmendem Alter die Qualitätskontrolle bei der Proteinfaltung immer schlechter funktioniert nahmen die Forscher die Stressantwort bei C. elegans genauer unter die Lupe.
Und tatsächlich geht die Stressantwort der Würmer bereits im frühen Erwachsenenalter dramatisch zurück. Grund für das Umlegen des Schalters ist eine Kommunikation zwischen der Keimbahn, die zur Vermehrung notwendig ist und den normalen Körperzellen. Sowie die Keimbahn ihre Aufgabe erfüllt hat, indem sie Eier und Spermien gebildet hat schickt sie an die Zellen des restlichen Körpers ein Signal, der den Alterungsprozess der Tiere einleitet.
Diese Beobachtungen an C. elegans beweisen laut den Forschern, dass der Alterungsprozess nicht, wie bisher angenommen, durch eine Vielzahl einzelner Ereignisse hervorgerufen wird. Vielmehr konnten sie am Modellsystem C. elegans zeigen, dass der Alterungsprozess direkt durch das Umlegen eines genetischen Schalters angeworfen wird.
Wie die Forscher in ihren Experimenten nachweisen konnten geht die schützende Hitzeschockantwort bereits im frühen Erwachsenenalter über einen Zeitraum von vier Stunden drastisch zurück (Insgesamt lebt C. elegans etwa 20 Tage). Das ist genau der Zeitpunkt, zu dem die Tiere geschlechtsreif werden. Mit bloßem Auge betrachtet wirken die Würmer dann noch normal. Doch mit biochemischen Methoden konnten die Forscher bereits molekulare Veränderungen und ein Nachlassen der Qualitätskontrolle bei den Proteinen nachweisen.
Um ihre Hypothese zu überprüfen hinderten die Forscher in einem Experiment die Keimbahn daran, das Signal zum Ausschalten der zellulären Qualitätskontrolle an die normalen Körperzellen zu senden. In diesem Fall veränderten sich die Körperzellen der ausgewachsenen Tiere nicht und blieben weiterhin unempfindlich gegenüber Stress. Fasziniert stellten die Forscher fest, dass sie durch das Ausschalten des Schalters, der die Alterung einleitet besonders stressresistente Würmer erhielten, die gegen alle möglichen zellulären Stressoren gefeit waren. An diesem Punkt wollen Morimoto und Labbadia nun ansetzen, um mehr über diesen Mechanismus herauszufinden und ihn möglicherweise auch therapeutisch zu unterbinden.
Wenn die Ergebnisse bei C. elegans auch auf Säugetiere und sogar den Menschen übertragbar wären, sollte man erwarten, dass kastrierte Tiere oder etwa auch Eunuchen länger leben, als ihre normalen Geschlechtsgenossen. Ratten und Hunde, die kastriert wurden leben erwiesenermaßen länger. Und selbst für den Menschen gibt es Hinweise darauf, dass etwa Eunuchen länger leben, als normale Männer. Zu diesem Schluss kam 2012 ein südkoreanisches Forscherteam, das historische Daten über die Lebenserwartung von Eunuchen im koreanischen Kaiserreich untersuchte. Dazu werteten sie Familienchroniken aus der Zeit der Joseon-Dynastie aus. Diese herrschte vom vierzehnten bis ins zwanzigste Jahrhundert in Korea. Die Dynastie setzte an ihrem Hof Eunuchen ein, die dort als Torwächter, Verwalter und Boten ein privilegiertes Leben führten. Sie durften als einzige Männer, die nicht zur Kaiserfamilie zählten, nachts im Palast bleiben.
Als Privilegierte durften sie auch heiraten und Kinder adoptieren: Mädchen oder ebenfalls kastrierte Jungen. Die Geschichte dieser nicht miteinander verwandten Familienmitglieder wurde in akribisch dokumentierten Chroniken festgehalten. Zum Glück der Forscher. So konnten sie die Lebensdauer von 81 Kastraten nachvollziehen. Diese erreichten im Schnitt ein Alter von 70 Jahre. Damit lebten sie 14 bis 19 Jahre länger, als ihre unversehrten damaligen männlichen Zeitgenossen, die eine vergleichbare sozio-ökonomische Stellung inne hatten. Drei von ihnen wurden sogar über 100 Jahre alt.
Hinweise darauf, dass mit Beginn der sexuellen Vermehrung der Alterungsprozess eingeleitet wird gibt es auch noch von einem ganz kleinen Organismus: der Süßwasserpolyp Hydra altert quasi nicht, solange er sich nur asexuell teilt. Erst wenn die Tiere durch widrige Lebensumstände dazu gezwungen werden sich sexuell zu vermehren sterben die dann nur noch Eier und Spermien produzierenden Tiere binnen ein paar Monaten. Möglicherweise wird durch die Notwendigkeit Nachkommen hervorbringen zu müssen, die besser an die veränderten Umweltbedingungen angepasst sind, der Alterungsprozess der Elterntiere aktiviert. Das könnte dafür sorgen, dass die Anpassung an eine sich verändernde Umwelt voran schreitet: Er gewährleistet, dass die weniger gut angepassten Merkmale der Elterntiere in der Population allmählich durch die ihrer besser angepasste Nachkommen ersetzt werden.
Es spricht also einiges dafür, dass das Altern bei vielen Lebewesen, und damit auch bei uns Menschen, der Preis für unsere sexuelle Vermehrung ist. Diesem Prozess verdanken wir Menschen vielleicht unsere erstaunliche Evolution zu einem der erfolgreichsten Lebewesen der Erde. Und wenn wir den zugrunde liegenden Mechanismus erst einmal richtig verstanden haben, können wir möglicherweise Wege finden gesünder alt zu werden, als das bisher der Fall ist.
von Ute Keck
Originalpublikation:
Labbadia J1, Morimoto RI2. Repression of the Heat Shock Response Is a Programmed Event at the Onset of Reproduction. Mol Cell. 2015 Jul 22. pii: S1097-2765(15)00499-2. doi: 10.1016/j.molcel.2015.06.027. [Epub ahead of print]
Min KJ, Lee CK, Park HN. The lifespan of Korean eunuchs. Curr Biol. 2012 Sep 25;22(18):R792-3. doi: 10.1016/j.cub.2012.06.036.
Beitrag der Max-Planck-Gesellschaft über die Vermehrung von Hydra: Ein Hauch von Unsterblichkeit.