Wenn Menschen älter werden berichten sie oft von Schmerzen, die den Alterungsprozess begleiten. Das legt die Vermutung nahe, Schmerzen könnten den Alterungsprozess vorantreiben. Tatsächlich konnten Forscher nun zeigen, dass ein Schmerzrezeptor wesentlichen Anteil an der Ausprägung von Stoffwechselproblemen und den daraus resultierenden Alterungsprozessen haben könnte.
Mäuse, die den Schmerzrezeptor TRPV1 nicht besitzen, haben im Alter einen jugendlicheren Stoffwechsel und leben sogar länger als normale Mäuse. Sie können besser auf einen erhöhten Blutzuckerspiegel reagieren. Zu diesen Ergebnissen kommen Andrew Dillin und sein Team an der Universität von Kalifornien, Berkley (USA). Seine Studien legen nahe, dass eine Aktivierung des Schmerzrezeptors TRPV1 an Alterungsprozessen und Stoffwechselproblemen beteiligt ist, die mit dem Abbau von Zucker zu tun haben.
In der Natur haben sich Rezeptoren entwickelt, die den Organismus schädliche Umwelteinflüsse wahrnehmen und angemessen darauf reagieren lassen. Rezeptoren, die schädliche Reize registrieren, lösen oft eine Schmerzwahrnehmungen aus. Dadurch soll der Auslöser des schmerzhaften Reizes gemieden und der Organismus so vor weiterem Schaden bewahrt werden. Der Transiente Receptor Potential Vanilloid 1 (TRPV1) kommt in sensorischen Nerven vor, wo er unter anderem die Wahrnehmung extrem heißer Temperaturen und schmerzhafter Reize auf der Haut, den Schleimhäuten von Mund und Nase, sowie an den Gelenken vermittelt.
Wie Dillin in einer Forschungsmeldung der Universität Berkley berichtet, könnte dieser Rezeptor und der dazugehörige Signalweg nicht nur für die Schmerztherapie relevant sein. Eine Hemmung von TRPV1 könnte darüber hinaus auch zu einer verbesserten Stoffwechselfunktion und als Folge davon einem längerem Leben führen. Deshalb könnte TRPV1 auch ein interessanter Angriffspunkt für die Diabetestherapie und die Bekämpfung von Übergewicht sein.
Wie bereits seit längerem bekannt ist, aktiviert das für den scharfen Geschmack der Chilischoten verantwortliche Capsaicin den TRPV1-Rezeptor. Deshalb wird TRPV1 auch oft als Capsaicin-Rezeptor bezeichnet. Eine permanente Aktivierung des Rezeptors auf einer Nervenzelle führt zu einem Absterben des Nerven. Das hat den gleichen Effekt, wie das Fehlen von TRPV1. Dieses Phänomen könnte erklären, warum Menschen, die ihre Nahrung mit viel scharfem Chili würzen, angeblich seltener an Diabetes und den damit verbundenen Stoffwechselproblemen leiden. Allerdings müsste man dazu ungefähr 5 g Chili pro Tag essen. Eine andere Studie, bei der die Versuchsteilnehmer weniger von den TRPV1-Rezeptor aktivierenden Substanzen zu sich nahmen, konnten dagegen keinen Effekt auf den Stoffwechsel beobachten.
Laut Dillin ist an der, durch den TRPV1-Rezeptor hervorgerufene Wirkung, auch ein für die Migränetherapie bekannter Angriffspunkt beteiligt. Die Migräne lindernde Substanz CGRP8-37 hemmt ein Protein namens CGRP, das in Folge der Aktivierung von TRPV1 vermehrt gebildet wird. Dillin kam zu dem Ergebnis, dass die Hemmung von CGRP einen ähnlichen Effekt hat, wie das Ausschalten von TRPV1. Bei älteren Mäusen ist der CGRP-Spiegel deutlich erhöht, was mit einer vermehrten Schmerzwahrnehmung verbunden sein könnte. Wenn Dillin älteren, normalen Mäusen CGRP8-37 verabreichte, erholte sich deren Stoffwechsel so, dass er wieder dem von jungen Mäusen glich. Allerdings wurde eine klinische Studie, bei der das am gleichen Wirkort angreifende, Telcagepant von Merck auf seine Tauglichkeit als Migränemedikament getestet wurde, wegen einer Erhöhung der Alanin-Aminotransferase (ALT) der Leber eingestellt. Der ALT-Spiegel gilt als Indikator für krankhafte Veränderungen, wie Diabetes, Herzversagen, Leberschäden, Gallenprobleme oder Muskelschwäche. Ein erhöhter ALT-Spiegel kann aber auch durch starke physische Anstrengung hervorgerufen werden. Die vorliegende Studie könnte den Effekt möglicherweise erklären. Telcagepant hat bereits drei klinische Studien der Phase III durchlaufen und wirkte in hohen Dosen ähnlich gut wie das Migränemedikament Zomig von AstraZeneca, zeigte aber angeblich weniger Nebenwirkungen. Der große Vorteil von Telcagepant lag darin, dass es, anders als die Triptane, keine Gefäßverengungen bewirkt. Es hätte damit auch bei Patienten eingesetzt werden können, die an einer Mangeldurchblutung von Herz, Gehirn und den peripheren Blutgefäßen leiden.
Wenn sich die Hemmung des TRPV1-Rezeptors beim Menschen als wirksam und unbedenklich erweisen sollte, könnte die pharmakologische Manipulation von TRPV1 und CGRP im Alter die Gesundheit des Stoffwechsels wiederherstellen und so zu einer Lebensverlängerung führen. Alternativ könnte auch eine regelmäßige Aufnahme von TRPV1-aktivierenden Substanzen den Stoffwechsel jung erhalten und das Leben verlängern. Dazu könnte man Capsaicin oder Capsiat, ein nicht scharf schmeckendes Capsinoid aus süßer Paprika, über die Nahrung aufnehmen. Allerdings müssten dazu, wie bereits erwähnt, die Dosen ziemlich hoch sein.
Die Ergebnisse im Detail
Der TRPV1-Rezeptor kommt auch in Nervenfasern vor, die den Pankreas kontaktieren. Dort stimuliert er die Freisetzung von Substanzen, die Entzündungsprozesse in Gang setzen. Gleichzeitig verhindert er durch die Aktivierung der Synthese von CGRP (Calcitonin Gene-Related Peptide) die Freisetzung von Insulin. Insulin fördert die Aufnahme von Zucker aus dem Blut und dessen Speicherung in Körpergeweben. Laut einer anderen Studie sind Mäuse, die keinen TRPV1-Rezeptor besitzen, vor ernährungsbedingtem Übergewicht geschützt. Diese Ergebnisse legen nahe, dass der TRPV1-Rezeptor eine Rolle im Stoffwechsel spielt. Wie die Mäuse ohne TRPV1-Rezeptor lebten auch Würmern und Fliegen, bei denen man TRPV1 ausschaltete, länger. Aber bisher war nicht bekannt, ob die sensorische Wahrnehmung durch TRPV1 auch den Alterungsprozess bei Säugetieren beeinflusst.
Dillin und sein Team haben nun herausgefunden, dass Mäuse, die wegen einer genetischen Manipulation keine TRPV1 Rezeptoren besitzen im Schnitt vier Monate länger als normale Mäuse leben. Das entspricht einer Lebensverlängerung um 14%. Die TRPV1-defizienten Mäuse wiesen im Alter (von 22 Monaten) zudem einen jugendlichen Stoffwechsel auf. Dieses Phänomen wurde durch die verminderte Bildung des Proteins CGRP vermittelt, einem Molekül, das die Insulinfreisetzung blockiert. Wenn der CGRP-Spiegel erhöht ist, führt dies zu einem Anstieg des Blutzuckerspiegels und kann so zu Diabetes Typ II führen. Mäuse die keinen TRPV1-Rezeptor besaßen, konnten im Alter besser Zucker aus dem Blut aufnehmen und so mehr Kalorien verbrennen, ohne sich dafür mehr bewegen zu müssen. Alte, normale Mäuse, denen das Migränemedikament CGRP8-37 gegeben wurde, das die Aktivität des CGRP-Rezeptors hemmt, wiesen ebenfalls ein jugendlicher wirkendes Stoffwechselprofil auf, als nicht behandelte Mäuse.
Fazit
Es ist sicher zu früh, um abschließend sagen zu können, ob es sich lohnt größere Mengen an Capsaicin oder Capsiat zu sich zu nehmen, um eine Verjüngung des eigenen Stoffwechsels herbeizuführen. Zumal eine Metastudie beim Menschen zu dem Schluss kommt, dass die positiven Effekte eher gering sind. Und man möchte wohl kaum erreichen, dass man Nerven zum Absterben bringt, die man vielleicht doch noch für andere wichtige, bisher noch nicht bekannte Aufgaben braucht. Schließlich hat es verheerende Folgen, wenn man sich an einer heißen Herdplatte verbrennt, weil man aufgrund der zerstörten TRPV1-Rezeptoren nicht mehr wahrgenommen hat, dass die Platte heiß war. Auch scheint mir noch nicht klar zu sein, ob die Konzentration von über die Nahrung aufgenommenem Capsaicin oder Capsiat überhaupt hoch genug ist, um im menschlichen Pankreas vergleichbare Effekte hervorzurufen, wie sie für die Mäuse ohne TRPV1-Rezeptor beschrieben sind.
Man erinnere sich an die anfangs sehr euphorischen Berichte über die angeblich lebensverlängernde Wirkung des im Rotwein vorhandenen Resveratrols. Inzwischen ist klar, dass die normalerweise im Rotwein vorhandenen Mengen an Resveratrol nicht den gewünschten Effekt bewirken können. Ähnlich ernüchternd ist die Bilanz der angeblich so gesunden Fischölkapseln. Auch sie konnten ihre anfänglichen Versprechen nicht halten. Generell sollte man bei Berichten über vermeintliche, essbare Lebenselexiere immer vorsichtig sein. Nicht selten steht hinter den euphorischen Berichten ein massives Vermarktungsinteresse.
von Ute Keck
Céline E. Riera, Mark O. Huising, Patricia Follett, Mathias Leblanc, Jonathan Halloran, Roger Van Andel, Carlos Daniel de Magalhaes Filho, Carsten Merkwirth, Andrew Dillin. TRPV1 Pain Receptors Regulate Longevity and Metabolism by Neuropeptide Signaling. Cell Volume 157, Issue 5, p1023–1036, 22 May 2014
DOI:10.1016/j.cell.2014.03.051