Sollten wir rotes Fleisch und Wurstwaren meiden, weil sie krebserregend sind?

© Gordito1869. CC BY 3.0.

© Gordito1869. CC BY 3.0.

Am 26. Oktober stufte die WHO Wurst und Schinken als krebserregend ein. Als ähnlich riskant bewertete sie auch den Verzehr von rotem Fleisch. Demnach soll jede verzehrte Portion von Wurst und Schinken von täglich 50 Gramm das Darmkrebsrisiko um 18 Prozent erhöhen. Damit steigt das absolute Risiko an Darmkrebs zu erkranken von 5 auf 6 Prozent. Und das an der Krankheit zu sterben von 2,5 auf 3 Prozent. Die gleichen Studien fanden eine Erhöhung des Darmkrebsrisikos um 17% pro Portion von 100g verzehrten roten Fleisches. Sollten wir deshalb unseren Fleisch und Wurstkonsum stark einschränken? Oder gibt es möglicherweise noch andere Erklärungen für die hohe Darmkrebsrate in den westlichen Industrienationen?

Alle paar Wochen werden uns die Ergebnisse einer neuen Ernährungsstudie aufgetischt. Diesmal handelt es sich um eine Metastudie von 22 Wissenschaftlern im Dienste der WHO, die 800 Studien auswerteten, die sich mit dem Zusammenhang zwischen einem hohen Wurst- und Fleischkonsum und dem Darmkrebsrisiko befassten. Aufgrund der zahlreichen Studien, die eine Korrelation zwischen dem Wurst und Fleischverzehr und dem Risiko für Darmkrebs aufführen stuften sie verarbeitetes Fleisch, also Wurst und Schinken, als erwiesenermaßen krebserregend ein. Bei rotem Fleisch sahen sie den Zusammenhang zwischen dem Fleischkonsum und dem Darmkrebsrisiko als nicht ganz so eindeutig an. Vermuten jedoch auch dort einen Kausalzusammenhang.

Dabei gilt für alle Ernährungsstudien das immer gleiche Manko: Es handelt sich fast immer um reine Korrelationen. Diese sind jedoch in den meisten Fällen rein zufälliger Natur. In vielen Fällen besteht also zwischen den beiden korrelierenden Ereignissen kein Kausalzusammenhang. So kann man etwa daraus, dass in Sommern mit hohem Speiseeisumsatz viele Sonnenbrände auftreten, nicht schließen, dass Eisessen Sonnenbrand verursacht.

Aber mal angenommen, rotes Fleisch würde tatsächlich Darmkrebs verursachen. Dann müssten Völker, wie etwa die Mongolen, die sich fast nur von rotem Fleisch, wie Lamm, Yak und Rind ernähren eine massiv erhöhte Darmkrebsrate aufweisen. Tatsächlich war jedoch die Darmkrebsrate laut einer WHO Statistik in der Mongolei 2012 etwa um den Faktor fünf niedriger als in Deutschland. Und das obwohl die Mongolen auch gerne eine besondere Variante von Trockenfleisch verzehren, das sogenannte Borts. Gleiches gilt für die Bevölkerung Boliviens und Botswanas. Auch sie verzehren große Mengen an Fleischprodukten und rotem Fleisch, die Häufigkeit von Darmkrebs ist jedoch in Bolivien nur ein drittel und in Botswana sogar nur ein Zehntel so hoch, wie bei uns. So einfach, wie von dem WHO-Team dargestellt kann der Zusammenhang zwischen dem Genuss von Fleischprodukten und rotem Fleisch und der Entstehung von Darmkrebs also nicht sein.

Hausyak. © Dennis Jarvis. CC BY-SA 3.0

Hausyak. © Dennis Jarvis. CC BY-SA 3.0

Nun gibt es eine weitere, wissenschaftlich noch nicht gut belegte Theorie, nach der im Fleisch von Hausrindern Viren vorhanden sein sollen, die eine hohe Darmkrebsrate von Bevölkerungen erklären könnten, denen diese Rinder als Nahrung dienen. Diese Hypothese stammt von dem Nobelpreisträger Harald zur Hausen vom Deutschen Krebsforschungszentrum. Er argumentiert folgendermaßen: Auch beim Grillen, Braten und Rösten von Geflügel und Fisch entstehen die gleichen chemischen Verbindungen, sogenannte Nitrosoverbindungen und aromatische Kohlenwasserstoffe, wie bei der entsprechenden Verarbeitung von rotem Fleisch. Nagetiere, die mit hohen Dosen dieser Verbindungen gefüttert wurden entwickelten Darmkrebs. Die Tatsache, dass manche Völker trotz hohen Fleischkonsums kaum unter Darmkrebs leiden deute darauf hin, dass man genau unterschieden muss, welche Art von Fleisch diese Menschen verzehren. Laut zur Hausen könnte ein im Hausrind vorhandenes Virus für die hohe Darmkrebsrate in westlichen Ländern verantwortlich sein. Während die niedrigen Darmkrebsraten in Ländern wie der Mongolei, Bolivien und Botswana darauf zurückzuführen seien, dass die dortige Bevölkerung keine Hausrinder sondern eine andere Rinderrasse halte. Zur Hausen und sein Team sind im Moment noch dabei handfeste Beweise für ihre Virenhypothese zu suchen.

Allerdings ist schon seit mehr als einem Jahrhundert bekannt, dass viele Viren bevorzugt Tumorzellen befallen. Denn die charakteristischen Eigenschaften einer Tumorzelle können die normale Virenabwehr außer Gefecht setzen. Bereits im 19ten Jahrhundert beobachteten Mediziner mitunter, dass ihre Krebspatienten die Krankheit unerwarteterweise überwanden, nachdem sie sich eine Vireninfektion zugezogen hatten. Diese Beobachtungen verleiteten Onkologen in den 1950er und 1960er Jahren dazu ihre Patienten mit wechselndem Erfolg mit den verschiedensten Viren zu behandeln. Diese Therapien erleben nun eine Renaissance durch die Zulassung einer neuen Virentherapie gegen Melanome in den USA.

Die Tatsache alleine, dass ein Virus in einer Tumorzelle vorhanden ist sagt also nichts darüber aus, ob er den Tumor verursacht hat. Es kann sich bei ihm auch nur einfach um einen der zahlreichen Viren handeln, die bevorzugt Tumorzellen infiziert. Es bleibt also abzuwarten, ob zur Hausen und seinem Team ein schlüssiger Beweis für ihre Virenhypothese gelingt.

Eine andere mögliche Erklärung für die relativ niedrige Darmkrebsrate in Ländern wie der Mongolei, Bolivien und Botswana könnte jedoch auch einfach in der niedrigeren Lebenserwartung der Bevölkerung liegen. So betrug die Lebenserwartung laut WHO für ein 2012 geborenes Kind in der Mongolei 67, in Botswana 62 und in Bolivien 68 Jahre. Im selben Jahr lag die Lebenserwartung eines 2012 geborenen Deutschen dagegen bei 82 Jahren. Mit zunehmendem Alter nimmt jedoch auch das allgemeine Krebsrisiko kontinuierlich zu. Deshalb ist zu erwarten, dass auch in diesen drei Nationen mit zunehmender Lebenserwartung mehr Krebsfälle und damit auch mehr Darmkrebsfälle auftreten werden. Ähnliches dürfte für andere Länder mit vergleichbar niedriger Lebenserwartung gelten. Und das vermutlich ganz unabhängig von ihrem Fleisch- und Wurstverzehr.

Denn im Januar diesen Jahres stellten Cristian Tomasetti und Bert Vogelstein eine neue Theorie vor, nach der die Häufigkeit, mit der eine bestimmte Krebsart auftritt zu zwei Dritteln davon abhängt, wie oft sich im Leben eines Menschen die Stammzellen des jeweiligen Gewebes teilen. Diese Krebsfälle gehen den beiden Forschern zufolge auf das Konto von „biologischem Pech“. Denn bei jeder Teilung einer Stammzelle erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sich bei der Kopie des Erbguts ein Fehler einschleicht, der schließlich zu einem Tumor führen kann. Nur ein Drittel aller Krebsfälle ist demnach ungünstigen Erbanlagen und negativen Umwelteinflüssen zuzuschreiben. Wenn diese Hypothese stimmen sollte ist unser Einfluss darauf, ob wir Krebs bekommen also recht übersichtlich. Heute ist bei uns in Deutschland Darmkrebs die zweithäufigste Krebsart an der wir mit rund 5%iger Wahrscheinlichkeit erkranken werden.

Bleibt uns also nur, die Risiken zu minimieren, auf die wir einen Einfluss haben. Etwa indem wir uns so ausgewogen, vielfältig und natürlich wie möglich ernähren. Die Natur hat uns nicht für ein Leben als Raubtier optimiert, das sich nur von Fleisch ernährt, sondern zu einem vielseitigen „Alles(fr)esser“. Wenn wir das beherzigen, wird unser Körper uns das sicher danken. Auch sind wir nicht für ein rein sitzendes Leben angepasst, sondern um lange Strecken laufend zu bewältigen. Das könnte ein zusätzlicher Grund dafür sein, warum Menschen in sogenannten weniger entwickelten Ländern unter weniger Zivilisationskrankheiten, wie auch Krebs leiden. Sie bewegen sich im Laufe eines Tages einfach viel mehr als wir Bürohengste und -stuten in den westlichen Industrienationen.

Doch wir sollten uns nicht auf zu hohem Niveau beklagen: Es sind die westlichen Industrienationen, wo die Menschen die höchste Lebenserwartung bei einem sehr hohen Lebensstandard haben. Gerade in Deutschland erfreuen sich auch die Senioren einer langen Phase der rüstigen Gesundheit, die zunehmend bis ins hohe Alter erhalten bleibt.

von Ute Keck

Originalpublikationen:

WHO: Q&A on the carcinogenicity of the consumption of red meat and processed meat

zur Hausen H: Red meat consumption and cancer: Reasons to suspect involvement of bovine infectious factors in colorectal cancer. Int. J. Cancer 2012; 130: 2475-2483.

zur Hausen, H. and de Villiers, E.M. Dairy cattle serum and milk factors contributing to the risk of colon and breast cancers. Int J Cancer. 2015; 137: 959-967

zur Hausen H. Risk factors: What do breast and CRC cancers and MS have in common? Nat Rev Clin Oncol. 2015; 12: 569-70

Tomasetti C1, Vogelstein B2. Cancer etiology. Variation in cancer risk among tissues can be explained by the number of stem cell divisions. Science. 2015 Jan 2;347(6217):78-81. doi: 10.1126/science.1260825.

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