Menschen in ärmeren Ländern bleiben ihr ganzes Leben über risikobereit

© Ferdinand Reus. CC BY-SA 2.0

Familie in Mali. © Ferdinand Reus. CC BY-SA 2.0

Die Risikobereitschaft nimmt mit dem Alter ab: Das gilt zumindest für die meisten Staaten. Menschen in ärmeren Ländern sehen sich dagegen ihr gesamtes Leben lang in ähnlicher Weise gezwungen, Risiken einzugehen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie, die das Risikoverhalten in 77 Ländern untersuchte.

In den meisten Ländern nimmt die Neigung, im Alltag Risiken einzugehen, mit dem Alter ab. Das gilt etwa für Deutschland, Russland und die USA. In diesen Ländern zeigen sich Männer im Durchschnitt als deutlich risikobereiter, als Frauen. In manchen Ländern verändert sich jedoch die Neigung, Risiken einzugehen, im Alter nicht. Dort sind auch die Unterschiede zwischen den Geschlechtern weniger ausgeprägt. Das gilt etwa für Nigeria, Mali und Pakistan.

Armut fördert Risikobereitschaft

Wie die Wissenschaftler herausfanden, nimmt die Risikobereitschaft nicht überall mit dem Alter ab. Als Ursache vermuteten die Forscher Unterschiede der Lebensbedingungen in den einzelnen Ländern. Um diese Annahmen zu überprüfen, verglichen sie die vorherrschenden Lebensumstände in den einzelnen Ländern miteinander. Dazu ermittelten sie die wirtschaftliche und soziale Armut, die Mordrate, das Pro-Kopf-Einkommen und auch die Einkommensungleichheit. Tatsächlich korreliert die Situation in einem Land mit der Neigung der dort lebenden Menschen, Risiken einzugehen. Demnach könnte die Risikobereitschaft im Alter von den äußeren Umständen abhängen.

«Wir konnten zeigen, dass in Ländern mit großer Armut und schwierigen Lebensumständen die Neigung zu Risikobereitschaft auch im Alter unverändert hoch bleibt», sagt Rui Mata von der Universität Basel. «Ein Grund dafür könnte sein, dass die Menschen in Ländern, in denen die Ressourcen knapp sind, stärker miteinander konkurrieren müssen, als Menschen in reichen Ländern». Dies gelte für Männer wie Frauen gleichermaßen und erkläre die geringeren Geschlechterunterschiede.

Zusammenspiel Mensch – Umwelt

«Die Ergebnisse unterstreichen, dass für die Untersuchung von Phänomenen menschlicher Entwicklung das Zusammenspiel von Mensch und Umwelt berücksichtigt werden muss», sagt Ralph Hertwig vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. «Für die Entscheidungsforschung bedeutet das, dass die individuelle Risikoneigung nicht, wie oftmals in der Ökonomie unterstellt wird, als konstant in der Zeit angesehen werden kann. Unsere Studie zeigt vielmehr, dass Menschen – und dies gilt über viele Kulturen hinweg – dazu neigen, mit zunehmenden Altern weniger Risiken einzugehen. Gleichzeitig hängt diese Anpassungsleistung aber auch von den lokalen Lebensbedingungen und existenziellen Erfordernissen ab», betont Ralph Hertwig.

Für ihre Studie analysierten die Forscher Daten des World Values Survey, einer internationalen Erhebung, die Wertevorstellungen und Anschauungen von Menschen aus der ganzen Welt zusammenführt. Dafür verglichen sie insgesamt 147‘118 Antworten von Menschen im Alter zwischen 15 und 99 Jahren – darunter 52% Frauen – aus 77 Ländern. Im Fokus der Untersuchung stand die Neigung zur Risikobereitschaft. Die Befragten sollten angeben, wie sehr sie zu abenteuerlustigen und riskante Aktivitäten neigen. Dafür nutzten sie eine Skala von eins (Trifft voll und ganz auf mich zu) bis sechs (Trifft überhaupt nicht auf mich zu).

Erste Studie über längere Zeit

In weiterführenden Untersuchungen nutzen die Forscher Längsschnittdaten des Sozioökonomischen Panels (SOEP). Ziel ist es, individuelle und altersbedingte Veränderungen in der Risikobereitschaft in verschiedenen Lebensbereichen und über die Zeitspannen von bis zu zehn Jahren verfolgen zu können. «Das ist die erste Studie, die Menschen von Jung bis Alt über einen längeren Zeitraum befragt, um Änderungen in der Risikobereitschaft zu untersuchen. Der Fokus liegt hier vor allem auf den Bereichen Finanzen, Gesundheit, Beruf, Freizeit und Soziales», sagt Anika Josef vom Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung.

Universität Basel, 08. Januar 2016

 

Originalpublikation:

Rui Mata, Anika K. Josef, Ralph Hertwig. Propensity for risk taking across the life span and around the globe. Psychological Science (2015), doi: 10.1177/0956797615617811

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