Bakterienzellen funktionieren wie winzige Augäpfel

Augapfel im Mini-Format: Das Modell eines Cyanobakteriums zeigt, wie das Licht auf dem Weg durch die Zelle in einem Punkt gebündelt wird. © Ronald Kampmann/KIT

Augapfel im Mini-Format: Das Modell eines Cyanobakteriums zeigt, wie das Licht auf dem Weg durch die Zelle in einem Punkt gebündelt wird. © Ronald Kampmann/KIT

Cyanobakterien sind nur drei Mikrometer groß und damit zu klein, um den Lichtunterschied zwischen der Vorder- und der Rückseite der Zelle wahrzunehmen. Denn sie sind nur wenige Längen einer Lichtwelle lang. Dennoch schwimmen sie gezielt auf eine Lichtquelle zu. Seit ihrer Entdeckung vor 300 Jahren rätseln Forscher, wie den Winzlinge dieses Kunststück gelingt. Nun haben Forscher das Rätsel gelöst: Demnach funktioniert das gesamte Bakterium wie ein winziger Augapfel. Das berichtet das Karlsruher Institut für Technik (KIT) und die Universität Freiburg.

Cyanobakterien gehören zu den ältesten Lebensformen auf unserer Erde, die sie seit 3,5 Milliarden Jahren besiedeln. Sie leben überall dort, wo sie genügend Licht vorfinden: im Eis, in Wüsten, Flüssen und Seen, aber auch an Hauswänden und in Aquarien. Das Licht benötigen sie, um damit die für das Leben notwendige Energie zu gewinnen, indem sie Photosynthese betreiben. Trotz ihrer geringen Größe gehören Cyanobakterien in unseren Ozeanen, die rund zwei Drittel der Erdoberfläche bedecken, zu den bedeutendsten Kohlendioxid fixierenden und Sauerstoff freisetzenden Organismen und bilden somit einen Grundpfeiler unserer Biosphäre.

Als zentrale Energiequelle ist Licht für Cyanobakterien unerlässlich. Obwohl sie nur aus einer einzigen Zelle bestehen, können sie gezielt auf eine Lichtquelle zuschwimmen. Doch wie es ihnen überhaupt gelingt, die Richtung auszumachen, aus der das Licht kommt, war rund 300 Jahre lang ein Rätsel. Nun hat ein internationales Forscherteam herausgefunden, dass ein Cyanobakterien wie ein winziges Linsenaugen wirkt, das es ihm erlaubt die Lichtrichtung wahrnehmen und seine Bewegung an ihr auszurichten.

Ein ungewöhnliches Experiment

„Die Zusammenarbeit begann bei einem Mittagessen in Freiburg“, berichtet Jan Gerrit Korvink vom KIT.  „Conrad Mullinieux von der Queen Mary University London, besuchte gerade die Freiburger Arbeitsgruppe um Professor Annegret Wilde und fragte mich, ob ich einen Weg wüsste, den Brechungsindex eines winzigen Bakteriums zu messen. Der Brechungsindex beschreibt eine wesentliche optische Eigenschaft von Linsen, die das Licht brechen.“

„Zunächst musste ich Conrad Mullinieux enttäuschen: Bakterien mit einem Durchmesser von 3 Mikrometern – also 3 Millionsteln eines Meters – sind so klein, dass schlicht geeignete Geräte fehlen, um so eine Messung vorzunehmen. Doch die Frage ließ mir keine Ruhe. Und schließlich kam mir eine Idee“, erklärt Korvink.

Korvink und sein Team am KIT beschichteten eine flache, etwa 10 Zentimeter dicke Scheibe aus Silizium mit einer extrem dünnen Schicht eines Photo-Polymers, das aushärtet, wenn es ultraviolettem Licht ausgesetzt wird. Dann platzierten sie einige Cyanobakterien auf dem Polymer und ließen UV-Licht auf die Platte fallen.

„Überall, wo keine Bakterien platziert waren, fiel das Licht gleichmäßig auf die Scheibe und auch das Polymer härtete gleichmäßig aus. Aber in Bereichen mit Bakterien, wurde das Licht gebündelt. Es formte einen konzentrierten Nanojet aus Photonen, so dass das Polymer unterhalb der Bakterien in einem bestimmten Muster aushärtete“, erläutert Jan Gerrit Korvink.

Im nächsten Schritt fixierten die Forscher das Photopolymer chemisch und bestimmten die Oberflächenstruktur mit einem Rasterkraftmikroskop. So konnten sie genau nachvollziehen, wie die Bakterien das Licht gebrochen haben. „Schließlich konnten wir mithilfe einer Simulation die genauen Lichtbündelungseigenschaften von Cyanobakterien bestimmen und vorhersagen.“

Entwickelten die Cyanobakterien das erste „Auge“ der Evolutionsgeschichte?

In weiteren Untersuchungen konnte das internationale Forscherteam zeigen, dass ein Cyanobakterium tatsächlich wie ein winziger Augapfel funktioniert. Wenn das Licht auf die Oberfläche der runden Einzeller trifft, wird es an ihrem Körper wie durch eine mikroskopisch kleine Linse gebrochen. Dadurch entsteht auf der Membran an der gegenüberliegenden Seite der Zelle ein Brennpunkt. Im Bereich diese Lichtpunkts werden daraufhin winzige, fadenförmige Fortsätze außerhalb der Zelle aktiviert, die das Bakterium in Richtung des Lichts vorantreiben.

„Cyanobakterien sind die ersten bekannten Organismen, die wir aus fossilen Funden kennen“, sagt Jan Gerrit Korvink. „In einer – zugegeben – sehr primitiven Form funktionieren die Bakterienzellen wie winzige Augäpfel. Möglicherweise war es also das erste Mal in der Evolutionsgeschichte, dass sich mit der Entstehung der frühen Cyanobakterien ein mit dem Linsenauge vergleichbarer Mechanismus zur Lichtwahrnehmung entwickelt hat. Ein spannender Gedanke!“ Gleichzeitig handelt es sich um das kleinste „Auge“ der Welt: Es ist 500 Milliarden mal kleiner, als der menschliche Augapfel.

von Ute Keck

Originalpublikation:

Nils Schuergers, Tchern, Ronald Kampmann, Markus V. Meissner, Tiago Esteves, Maja Temerinac-Ott, Jan G. Korvink, Alan R. Lowe, Conrad W. Mullineaux, Annegret Wilde. Cyanobacteria use micro-optics to sense light direction. DOI: 10.7554/eLife.12620

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