Bisher glaubte man, Kultur wäre eine Errungenschaft, die nur höheren Lebewesen, wie etwa Wirbeltieren vorbehalten ist. Doch Versuche mit Hummeln legen nun nahe, dass Kultur möglicherweise bereits durch wesentlich einfachere Mechanismen zustande kommen könnte, als bisher angenommen. Denn Forschern gelang es selbst Hummeln beizubringen, wie sie durch Ziehen an einer Schnur an Futter herankamen. Unerfahrene Tiere lernten durch Beobachtung einer erfahrenen Artgenossin diese Aufgabe zu lösen. Darüber hinaus verbreitete sich das neu erworbene Wissen über mehrere Generationen der Hummelkolonie.
Viele kennen die Versuche, bei denen Affen, Vögel oder Ratten an einem Seil ziehen, um einen Leckerbissen zu ergattern. Doch wer hätte gedacht, dass auch Hummeln lernen können, auf diese Weise an Zuckerwasser zu gelangen. Das Forscherteam um Lars Chittka von der Queen Mary Universität in London war selbst überrascht, wie lernfähig ihre kleinen Bienchen waren. Glaubte man doch bisher, das Verhalten dieser Tiere würde hauptsächlich durch Instinkte geleitet.
Zunächst brachten die Forscher den Tieren bei, dass es in der Mitte einer farbigen Kunststoffblume Zuckerwasser gab. Dann legten die Forscher die Kunststoffblume unter einen kleinen Plastiktisch und versahen sie mit einem Seil. So konnten die Hummeln das begehrte Zuckerwasser nur erreichen, wenn sie an dem Seil zogen, bis die Blume unter dem Tisch hervorkam.
Der erste Test verlief jedoch enttäuschend: Von den 291 Hummeln aus acht verschiedenen Kolonien zog in den ersten fünf Minuten kein einziges Tier an dem Seil, um an die Belohnung zu kommen. Vielmehr versuchten die Bienchen durch das Plexiglas über der Blume an die Leckerei zu gelangen. Doch die Forscher ließen sich nicht abschrecken und schickten die Hummeln ein weiteres Mal in die Arena. Beim zweiten Ablauf gelang es immerhin zwei von 25 Tieren, so lange an dem Seil zu ziehen, bis sie an ihre süße Belohnung kamen. Die Hummeln waren also prinzipielle doch dazu in der Lage das Problem zu lösen. Doch offenbar waren die innovativen Tiere relativ selten. Vielleicht musste man den weniger experimetierfreudigen unter ihnen etwas auf die Sprünge helfen. Deshalb modifizierten die Forscher den Versuchsaufbau, um es den pelzigen Insekten etwas leichter zu machen: Sie schoben bei jedem Versuchsdruchgang die Plastikblume ein Stückchen weiter unter den Plastiktisch. Das brachte den Durchbruch: Auf diese Weise lernten immerhin 23 von 40 Hummeln an dem Seil zu ziehen bis die Blume unter dem Plastiktisch hervor kam. Da Blüten erwiesenermaßen in der Natur nicht mit Seilen ausgestattet sind ist dies ein klarer Beleg für die Lernfähigkeit dieser Insekten. Doch sie beruht laut den Forschern auf einer Kombination einer einfachen Assoziation sowie Versuch und Irrtum. Einsicht in die tatsächlichen Zusamenhänge war hierfür nicht notwendig.
Beeindruckt von den Fähigkeiten ihrer Versuchstiere wollten die Forscher wissen, ob Hummeln auch von erfahrenen Kolleginnen lernen können. Dazu ließen sie eine unerfahren Hummel hinter einer Plexiglasscheibe zusehen, wie eine Kollegin am Seil arbeitete, um die Blume mit dem Zuckerwasser unter dem Tischchen hervorzuziehen. Und tatsächlich: Auf diese Weise lernten 60% der Zuschauerinnen, dass sie an dem Seil ziehen mussten.
Und was passierte, wenn man die erfahrenen Hummeln in ihre Kolonie zurück setzte? Sie gaben ihr Fähigkeiten binnen kurzer Zeit an die meisten ihrer Kolleginnen weiter. Wobei dieses Wissen selbst dann in der Kolonie weiter bestehen blieb, wenn die erfahrene Hummel, die ihren Kolleginnen ursprünglich als Vorbild gedient hatte längst verstorben war.
Hummeln haben also durchaus auch die Fähigkeit eine einfache Form von Kultur aufzubauen, die von Generation zu Generation weiter gegeben wird. Da Bienen sehr kleine und einfache Gehirne haben liegen ihrem Verhalten relativ simple Mechanismen zugrunde. Diese wollen die Forscher als nächstes untersuchen und herausfinden, was sich im Gehirn einer Hummel abspielt, wenn sie diese Aufgabe löst. Dazu modellieren sie die Informationsverarbeitung im Gehirn der Tiere. Bereits zuvor haben die Forscher aufgedeckt, dass scheinbar komplizierten Lernvorgängen, wie dem Erkennen visueller Muster oder Blumendüfte einfachste neuronale Schaltkreise zugrunde liegen.
Die Ergebnisse zeigen, dass bereits simple Mechanismen der Assoziation und des motorischen Lernens ausreichen, um eine einfache Kultur zu begründen. Sie ermöglichen die Verbreitung ungewöhnlicher, erlernter Fertigkeiten. Komplexe Denkleistungen sind hierfür offensichtlich nicht erforderlich.
von Ute Keck, 13. Oktober 2016
Originalpublikation:
Alem S, Perry CJ, Zhu X, Loukola OJ, Ingraham T, Søvik E, et al. (2016) Associative Mechanisms Allow for Social Learning and Cultural Transmission of String Pulling in an Insect. PLoS Biol 14(10): e1002564. doi: 10.1371/journal.pbio.1002564