Lecithin könnte Charcot-Marie-Tooth Erkrankung lindern

Die Charcot-Marie-Tooth Erkrankung ist die am weitesten verbreitete erbliche Erkrankung des peripheren Nervensystems. Weltweit sind über zwei Millionen Menschen von ihr betroffen. Forscher haben nun entdeckt, dass sich die bisher unheilbare Krankheit durch den Verzehr von Lecithin, einem harmlosen Nahrungsergänzungsmittel, behandeln lassen könnte.

Im Vergleich zu gesunden Ratten (links) haben an Charcot-Marie-Tooth erkrankte Ratten (mitte) im Nervenquerschnitt weniger mit Myelin ummantelte Nervenfasern, erkennbar als blaue Ringe. Eine Therapie der erkrankten Ratten mit Lecithin (rechts) erhöht die Anzahl myelinisierter Fasern. [weniger]
© Max-Planck-Institut für experimentale Medizin

Etwa 30.000 Menschen leiden in Deutschland an der Charcot-Marie-Tooth Erkrankung, die damit zu den seltenen Erkrankungen zählt. Aufgrund eines Gendefektes, bei der das Gen für PMP22 verdoppelt ist, entwickeln Patienten eine langsam fortschreitende Nervenschädigung (CMT1A). Die ersten Symptome wie Gehschwierigkeiten oder Fußdeformationen können bereits im Kindesalter auftreten. Später kommt es zu Sensibilitätsstörungen wie Taubheit, Kribbeln und Schmerzen und es schwindet zunehmend die Kraft in Beinen und Armen. In seltenen Fällen sind Patienten an den Rollstuhl gefesselt. Bisher ist die Charcot-Marie-Tooth Erkrankung nicht heilbar, da die grundlegenden Erkrankungsmechanismen nicht geklärt sind.

Aufbau einer Nervenzelle. © Quasar Jarosz. CC BY-SA 3.0.

Die Fortsätze von Nervenzellen im peripheren Nervensystem, die Axone, sind über ihre gesamte Länge von Stützzellen umgeben. Diese sogenannten Schwannzellen umhüllen die Axone mit einer isolierenden fettreichen Schicht, dem Myelin, welches eine schnelle Weiterleitung elektrischer Impulse ermöglicht. Mit Hilfe von genetisch veränderten Ratten haben Forscher nun herausgefunden, dass erkrankte Schwannzellen während ihrer Entwicklung aufgrund eines gestörten Fettstoffwechsels nicht ausreichend Myelin bilden können. „Die Myelinproduktion ist für die Schwannzellen sehr aufwendig. Bei einer Störung wie der Charcot-Marie-Tooth Erkrankung bleiben viele Nervenfasern ohne Myelin. Sie sind damit in ihrer Funktion beeinträchtigt“, erklärt Robert Fledrich, Erstautor der Studie.

Schwannzellen nutzen Phospholipide für Myelinbildung

Mit Lecithin ließe sich womöglich die beeinträchtigte Fettproduktion der Schwannzellen umgehen und damit die Erkrankung lindern. Denn Lecithin ist ein Hauptbestandteil des Myelins. Das Fettmolekül Lecithin lässt sich aus Soja oder Eigelb gewinnen, in dem es als Mix sogenannter Phospholipide vorliegt. Es ist ein harmloses Nahrungsergänzungsmittel. Zunächst haben die Wissenschaftler in Zellkulturexperimenten sowie in genetisch veränderten Ratten gezeigt, dass Phospholipide von Schwannzellen aufgenommen und für die Myelinproduktion genutzt werden können.

Durch mehrere Therapiestudien von erkrankten Ratten mit Lecithin in unterschiedlichen Dosen und Behandlungszeiträumen haben die Forscher nicht nur herausgefunden, dass eine Phospholipid-Therapie die Myelinisierung fördert. „Sie lindert auch maßgeblich den Krankheitsverlauf, und zwar unabhängig vom Behandlungsbeginn“, sagt Ruth Stassart, Co-Leiterin der Studie. „Die vielversprechenden Daten aus den Tierversuchen und insbesondere die bereits erwiesene gute Verträglichkeit in Menschen prädestinieren Lecithin als Therapeutikum für die Charcot-Marie-Tooth Erkrankung und möglicherweise auch andere demyelinisierende Erkrankungen“, ergänzt Michael Sereda, Oberarzt an der Klinik für Klinische Neurophysiologie, Gruppenleiter am Max-Planck-Institut. Die Neurowissenschaftler arbeiten nun daran, die neu gewonnenen Erkenntnisse für Patienten im Rahmen von klinischen Studien nutzbar zu machen.

Unter www.CMT-NET.de können sich Patienten, Wissenschaftler und Ärzte über die Fortschritte bei der Erforschung dieser in Deutschland wenig bekannten Erkrankung informieren.

Max-Planck-Gesellschaft, 9. August 2018

Originalpublikation:

R. Fledrich et al. Targeting myelin lipid metabolism as a potential therapeutic strategy in a model of CMT1A neuropathy. Nature Communications; 2 August, 2018 DOI: 10.1038/s41467-018-05420-0

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