Lebendige Architektur durch robotergesteuertes Pflanzenwachstum

Doppeldecker-Brücke in Indien. © Vinayak Hegde. CC BY 2.0.

Seit unsere Vorfahren sesshaft wurden und mit dem Ackerbau begannen hat der Mensch gelernt, das Wachstum von Pflanzen für seine Zwecke zu manipulieren. Über die Jahrtausende ist diese Fähigkeit immer effektiver geworden, indem wir Menschen uns stetig neues Wissen über die Bedürfnisse der Pflanzen angeeignet haben. Doch für den Bau unserer Häuser und Brücken greifen wir bisher noch auf tote Pflanzenteile zurück. Ein fächerübergreifendes Team von Forschern möchte dies nun ändern: Sie haben sich das hoch gesteckte Ziel gesetzt, das Wachstum von Pflanzen so zu manipulieren, dass sich dabei architektonische Strukturen bilden. Wie die Universität Lübeck berichtet.

Als Jugendliche hatte ich einen Traum: Ein Haus, das aus einem Baum gewachsen ist. Braucht man ein weiteres Zimmer, so gibt man dies irgendwie der Pflanze zu verstehen und sie bildet dann durch Wachstum ein weiteres Zimmer aus. Das Forscherteam von den europäischen Projekt Flora Robotica muss wohl einen ähnlichen Traum gehabt haben. Denn die Gruppe aus Informatikern, Robotikern, Zoologen, Zellbiologen, Mechatronikern und Architekten versucht genau diese Ziel in die Tat umzusetzen. Sie wollen Roboterschwärme so programmieren, dass sie Pflanzen dazu anregen Formen für eine neuartige, natürliche Architektur zu bilden.

Synthetische Materialien, die wir inzwischen meist benutzen, um Produkte und Gebäude herzustellen, haben nur eine begrenzte Lebensdauer. Das ist anders mit lebenden Pflanzen. Sie gewinnen durch ihr Wachstum und das sich festigende Gewebe stetig an Größe und Stärke und erneuern, als lebendige Organismen, ständig ihre Bestandteile.

Da Pflanzen komplexe Lebewesen sind, verarbeiten sie Reize, die sie aus ihrer Umwelt aufnehmen und reagieren auf sie. Dies machen sich seit jeher Gärtner und Kunsthandwerker zunutze, indem sie Hecken und Bäume nach ihrem Gusto formen.

In Cherrapunji im indischen Bundesstaat Meghalaya stellt das Volk der Khasi  lebende Brücken aus den Wurzeln des Gummibaumes her. Dazu lassen sie die Wurzeln des Baumes an ausgehöhlten Stämmen der Betelnusspalme entlangwachsen. So werden diese dazu veranlasst, die gewünschte Wuchsrichtung einzunehmen. Haben die Wurzeln ihr Ziel erreicht, werden die Stämme entfernt und die Wurzeln verankern sich im Boden. Durch ein weiteres Wurzelwachstum bildet sich mit der Zeit eine haltbare und sehr robuste Brücke. Solche Brücken können jedoch auch aus den Wurzeln des Banyan-Baumes gebildet werden, wie bei der Umnnoi-Brücke bei Laitkynsew. Einige dieser Brücken sind mehr als 100 Jahre alt. Diese Art von Brücken halten bei dem feuchten Klima Indiens wesentlich besser als Stahlbrücken.

Das Forscherteam von Flora Robotica entwickelt bio-hybride Roboter, die Pflanzen bei ihrem Wachstum so manipulieren, dass sie eine gewünschte Form einnehmen. Mit ihrer Hilfe können Menschen auf eine neue Weise mit den Pflanzen kommunizieren und deren Wachstumsentscheidungen beeinflussen. So kann der Benutzer der Roboter gezielt das Wachstum der Pflanzen steuern und nach belieben formen.

Dazu machen sich die Roboter die natürliche Reaktion der Pflanzen auf ihre Umwelt zunutze, indem sie gezielt Lichtreize an die Pflanzen senden. Auf diese Weise wird deren Wachstum dazu angeregt Formen und Muster zu bilden, die sie sonst nicht einnehmen würden. Mit dieser Technik konnten die Forscher Kletterpflanzen dazu bewegen ein Muster entlang einem ca. zwei Meter hohen Klettergerüst auszubilden.

Roboter haben sich bereits seit längerem in automatisierten Gewächshäusern bewährt, wo sie ebenfalls gezielt das Wachstum der pflanzen manipulieren. Das Team von Flora Robotica möchte das Pflanzenwachstum ständig beeinflussen und so neuartige architektonische Gebilde erschaffen.

Die Vision der Forscher ist folgende: Die von den Robotern in ihrem Wachstum gesteuerten Pflanzen sollen dabei helfen, nachhaltige Städte und Lebenswelten aufzubauen. Das reicht von “lebendigen Mauern” über Möbel bis hin zu ganzen Häusern. Aber nicht zuletzt geht es ihnen auch um architektonische Ästhetik und die Entwicklung flexibler, leicht anzupassender und ressourcenschonender architektonischer Systeme.

von Ute Keck, 31. Oktober 2018

The living bridges of Meghalaya

Originalpublikation:

Mostafa Wahby, Mary Katherine Heinrich, Daniel Nicolas Hofstadler, Ewald Neufeld, Igor Kuksin, Payam Zahadat, Thomas Schmickl, Phil Ayres, Heiko Hamann. Autonomously shaping natural climbing plants: a bio-hybrid approach. Journal Open Science der Royal Society  DOI: 10.1098/rsos.180296

Kommentare sind geschlossen.