12 Millionen Deutsche leiden an Parodontose. Wenn die Entzündung nicht rechtzeitig behandelt wird droht Zahnverlust. Doch Parodontose steht auch im Verdacht viele weitere Erkrankungen, wie etwa Herz-Kreislaufschäden zu verursachen. Forscher wollen diese Zusammenhänge nun in einem internationalen Projekt aufklären und Wirkstoffe zu Bekämpfung der Parodontose-Erreger entwickeln.
Wenn beim Zähneputzen oder beim Biss in einen Apfel das Zahnfleisch blutet, könnten dies die ersten Symptome einer Parodontitis sein – einer entzündlichen Erkrankung des Zahnhalteapparats. Sie entsteht, wenn bakterielle Plaque den Knochen angreifen. Das kann zur Folge haben, dass sich der Zahn mit der Zeit lockert. Wenn die Erkrankung über einen längeren Zeitraum unbehandelt bleibt kann es zu einem Verlust des Zahns kommen. Die Parodontitis, umgangssprachlich Parodontose genannt, kann aber auch einen Krankheitsherd bilden der auf den gesamten Körper übergreift: Wenn die zum Teil sehr aggressiven Bakterien in den Blutkreislauf gelangen können diese sich im ganzen Körper ausbreiten und dort weiteren Schaden anrichten. Wie medizinische Studien belegen könnten Parodontose-Erreger an der Entstehung von so verschiedenen Krankheiten, wie Herz-Kreislaufschäden, rheumatoider Arthritis und chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) beteiligt sein. Nachweislich haben an Parodontitis leidende ein erhöhtes Risiko an verengten Herzkranzgefäßen und Alzheimer zu erkranken.
Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) leiden weltweit etwa 60 Prozent aller Erwachsenen unter behandlungsbedürftigen Zahnfleischentzündungen. Daher wurde das EU-Projekt TRIGGER ins Leben gerufen, bei dem elf europäische Forschungsorganisationen aus neun Ländern nun diese Volkskrankheit genauer untersuchen wollen. Sie werden den Einfluss von Parodontitiserregern auf die genannten Erkrankungen erforschen. Dabei wollen sie vor allem die Zusammenhänge zwischen Parodontose und anderen entzündlichen Erkrankungen klären und herausfinden, ob eine effektive Mundhygiene und Behandlung der Parodontose den allgemeinen Gesundheitszustand verbessern kann. Die Wissenschaftler wollen in Rahmen dieses Projektes auch Wirkstoffe entwickeln, mit denen sich die krankheitsauslösenden Mundkeime effektiv behandeln lassen.
»Wir suchen nach Wirkstoffen, um das hochtoxische Bakterium Porphyromonas gingivalis zu bekämpfen. Dieser aggressive Haupterreger bewohnt die Zahnfleischtaschen. Er ist verantwortlich für die Gingivitis, also die Zahnfleischerkrankung im Mund, aus der sich die Parodontose entwickeln kann«, sagt Hans-Ulrich Demuth vom Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie (IZI).
Porphyromonas gingivalis lebt vom Abbau des Kollagens im Mund, einem wesentlichen Bestandteil des Bindegewebes. Das Bakterium zerstört das Zahnfleisch, indem es selbst eiweißabbauende Enzyme bildet und diese aktiviert, kurz bevor es sie in die Mundhöhle freigesetzt. Zur Aktivierung dieser eiweißabbauenden Enzyme setzt Porphyromonas gingivalis ein weiteres Enzym ein: die bakterielle Glutaminyl-Zyklase, die an der Proteinreifung beteiligt ist. Dieses Enzym haben die Wissenschaftler schon vor einigen Jahren in Säugetieren beschrieben und seine Eigenschaften charakterisiert. »Es spielt eine essentielle Rolle bei der Immunüberreaktion in Krankheitsbildern und ist bei entzündlichen Krankheiten wie etwa rheumatoider Arthritis, COPD und Alzheimer beteiligt. Es gibt hier offenbar einen grundsätzlichen Zusammenhang zwischen bestimmten bakteriellen Infektionen und verschiedenen entzündlichen Erkrankungen, der noch ungeklärt ist. Wir vermuten, dass die humane Glutaminyl-Zyklase zum Beispiel bei Alzheimer-Patienten eine für Nervenzellen besonders schädliche Variante des Amyloidbeta-Peptids bildet. Eine darauf basierende Alzheimertherapie befindet sich inzwischen in klinischen Prüfungen.“ so Demuth. Wenn man das entsprechende bakterielle Enzym mit einem Medikament blockieren würde könnte der Parodontitise-Erreger kein Kollagen mehr in unserem Mund abbauen und müsste statt dessen verhungern. Der Biochemiker und sein Team suchen daher nach einem Hemmstoff, der die Aktivität des Enzyms blockiert.
Erste Erfolge können die Forscher bereits vorweisen. Aus einer Gruppe von 20 in Frage kommenden Substanzen konnten sie einige hochwirksame identifizieren, die das Wachstum von Porphyromonas gingivalis in Zellkultur um 95 Prozent herabsetzen. Demnächst soll mit Tierexperimenten begonnen werden. Doch bis zur marktreife eines Präparats gegen Parodontose ist es noch ein langer Weg. Erst muss die Substanz optimiert werden, bevor in klinischen Studien ermittelt werden kann, in welcher Form und Menge der Wirkstoff verabreicht werden muss. »Das ist ein langwieriger Prozess. Aber um Parodontose zu bekämpfen, reicht eine gute Mundhygiene allein nicht aus. Hier muss man zusätzlich medikamentös eingreifen und so auch verhindern, dass Porphyromonas gingivalis weitere entzündliche Erkrankungen auslöst«, so Demuth.
Frauenhofer-Gesellschaft, 1.10.2014